Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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Durst verzehrte ihr Eingeweide und es fehlte selbst an Wasser. Den ganzen Tag segelten sie mit gutem Fahrwind an der italienischen Küste hin, doch mit Mißfallen sah Garibaldi den Vollmond, den alten Gefährten des Seemanns, mit niegesehener Pracht aufgehen, und in der That, der Mond wurde ihnen verderblich.
Das österreichische Geschwader lag in diesen Gewässern, und bei der großen Helle, die sich über das ganze Meer verbreitete, wurden die kleinen Nachen zuerst von einer Brigg entdeckt, die sich sogleich zur Jagd anschickte und im Nu das ganze Geschwader alarmirte. Garibaldi, taub gegen den Kanonendonner, nahm seine ganze Seemannskunst zusammen, um sich noch einmal, wie so oft schon, zwischen der Küste und den feindlichen Schiffen durchzuretten; aber seinen Genossen schwindet der Muth, ihre Nachen weichen zurück und er mit ihnen, um sie nicht zu verlieren. Bei Tagesanbruch sind sie völlig von dem viel beweglicheren Geschwader umringt; es bleibt kein Ausweg als der Küste zuzusteuern, wo sie, von feindlichen Booten und von Kanonenschüssen verfolgt, mit nicht mehr als vier Nachen ankommen; alle übrigen haben sich längst ergeben.
„Man denke, was meine Lage in diesen fürchterlichen Augenblicken war: mein unglückliches Weib sterbend, in unserem Rücken der Feind und vor uns eine Küste, wo aller Wahrscheinlichkeit nach andere zahlreiche Feinde auf uns warteten, nicht nur Oesterreicher, sondern auch Päpstliche, die sich damals in wüthender Reaktion befanden.
Doch gleichviel, wir mußten landen, ich nahm meine theure Genossin, trug sie ans Land und legte sie am Ufer nieder. Meine Gefährten, die mich durch Blicke befragten, hieß ich sich zerstreuen und jeden einzeln eine Zuflucht suchen. – Mir selbst war es unmöglich weiterzugehen, da ich mein sterbendes Weib nicht verlassen konnte.“
So trennte er sich von den Besten, die ihm geblieben waren, von Ugo Bassi, dem Priester und Soldaten, und Ciceruacchio mit seinen beiden Söhnen, darunter ein Junge von dreizehn Jahren! Sie fielen mit andern seiner Getreuesten den Feinden in die Hände und beim Bericht ihres Märtyrertods klingt es aus der Erzählung des greisen Helden wie ein Schrei des Schmerzes und der Wuth.
Er selbst blieb mit seiner Anita und einem Offizier in einem Moorhirsenfeld nahe beim Ufer zurück, unschlüssig, was er zunächst beginnen solle. Am Ende sandte er den unerschrockenen Begleiter auf Kundschaft aus und sah ihn nach kurzem Warten mit einem Andern zurückkommen, in dem er zu unbeschreiblicher Freude einen seiner besten Offiziere von der Vertheidigung Roms her, den Obersten Rino Bonnet, erkannte. Mit einem Jubelruf warf er sich dem Waffenbruder an den Hals; Bonnet, der in der Gegend ansässig und begütert war, hatte den Kanonendonner gehört und da er Garibaldis Landung vermuthete, war er herbeigeeilt, um ihm mit äußerster Lebensgefahr beizustehen. Mit seiner Hilfe konnte Garibaldi die unglückliche Frau in eine Hütte zu armen Leuten bringen, wo wenigstens ihr quälender Durst gestillt wurde. Doch auch hier war ihr keine Ruhe gegönnt; schon war der Feind den Geächteten auf der Spur und ihre Sicherheit erforderte schleunigen Aufbruch. In ein anderes Haus zu Bonnets Schwester gebracht, wurden sie zwar herzlich empfangen, durften aber auch dort nicht verweilen. Mit Aufbietung all seines Einflusses gelang es Bonnet, von hier aus die gefährliche Flucht durch die Thäler von Comacchio zwischen Sbirren und Spionen hindurch zu bewerkstelligen und Anita wurde auf einer Matratze liegend bei Nacht in einem elenden Karren nach Mandriola bei Sant’ Alberto geführt, wo sie erst am folgenden Nachmittag ankamen. Den Arzt, dem er zufällig in dieser Farm begegnete, beschwor Garibaldi, die Kranke zu retten. Aber während man sie auf ihrer Matratze die kleine Treppe hinauf nach einem oberen Zimmer trug, erlosch ihr Leben. Als Garibaldi sie zu Bette legte, gewahrte er in ihrem Gesicht einen fremdartigen Ausdruck; erschrocken griff er nach ihrem Puls, der schlug nicht mehr – seine heißgeliebte Anita, die Mutter seiner Kinder, war eine Leiche.
So endete Anita Ribeira Garibaldi am 4. August 1849 wie ein gehetztes, verwundetes Wild ihr Leben. Kaum blieb dem verfolgten Mann die Zeit, der Geliebten die Augen zuzudrücken und den Anwesenden ihre Bestattung ans Herz zu legen: so eilig wurde er von diesen aus dem Hause gedrängt, das er durch längeres Bleiben in Gefahr brachte. Schon erschienen die österreichischen Soldaten unter den Fenstern, und allein mit einem Führer setzte er taumelnd und fassungslos seine Flucht durch die feindliche Gegend fort.
Und hier ist auch das tiefste Interesse an diesen Memoiren zu Ende. Wohl folgen neue Abenteuer, neue Schicksalswendungen, jäher und wunderbarer als die früheren; wohl folgt das unsterbliche Heldengedicht der Tausend von Marsala, aber ein Gluthstrom von
Patriotismus hat alles Persönliche weggeschmolzen, kaum daß noch da oder dort eine Gestalt deutlich hervortritt; selbst wo der General von seinen Söhuen spricht, sind sie nur die Untergebenen des Feldherrn und für ihn „wie ein anderer Mann“. Keines Weibes Name wird mehr in dem Buch genannt. Bekanntlich hielt es Garibaldi im Leben anders, aber sein Schweigen beweist, daß er wenigstens den ungeheuren Abstand zwischen dieser und jeder späteren Liebe zu messen wußte: in die Unsterblichkeit nimmt er nur seine Anita mit hinüber.
Ein halbvergessenes Metall.
Wer kennt sie heutzutage noch, die alten urbehäbigen zinnernen Teller und Kaffeekannen, die uns so gutmüthig anblinkten und an denen wir den Namen der Großmutter mitsammt dem Datum ihrer Hochzeit zum so und so viel hundertsten Male lasen?
Das Zinn, das mildglänzende, weichgriffige Familien-, Küchen- und Hausmetall, ist abgesetzt und verdrängt worden – durch was? Durch frostiges, klirrendes Porzellan und Steingut. Die zierlich gravirten Zinnteller aber, die stolzen Humpen, die schönen Bratenplatten warf der Zinngießer betrübten Herzens in den Schmelztiegel und machte Biergläserdeckel daraus; denn das war in den letzten 25 Jahren fast der einzige Artikel, nach welchem bei ihm noch Nachfrage gehalten wurde.
Doch nicht nur in kunstgewerblichem und familiärem Interesse wünschen wir dem alten, lieben Metall erneute Beachtung; sollte sich der enorme Bedarf an Zinn, den einst die deutsche Familie hatte, in unserer Zeit nur zum Theil wieder hervorrufen lassen, dann würde sicher auch mehreren hundert armen deutschen Zinnbergleuten mit Tausenden von Angehörigen geholfen sein; ihnen ist gegenwärtig ein so karges und dabei mühseliges Brot zugemessen wie kaum einer anderen Berufsklasse.
Die Zinnerze sind keineswegs auf unserem Erdballe weit verbreitet; allerdings treten sie, wo sie einmal gefunden werden, nur massenhaft auf. In Europa produziren England und Deutschland Zinn, und zwar das letztere im sächsischen Erzgebirge in der Gegend von Altenberg und Ehrenfriedersdorf. Mächtige Fundorte sind die beiden holländischen Inseln im indischen Archipel Bangka und Billiton.
Das größte Zinnbergwerk auf dem Kontinent ist das von Altenberg im sächsischen Erzgebirge, wo in einem einzigen Bergwerk über 300 und im ganzen Distrikte etwa 500 Bergleute das Halbedelmetall zu Tage fördern.
Auf luftiger Höhe in der Nähe einer großen Basaltaustreibung liegt das freundliche, nach einem großen Brand fast völlig neu erbaute Städtchen. Was uns zuerst auffällt, das sind die mit rothem Staub bedeckten Menschen, die uns begegnen, die rothen Wege, im Winter der rothe Schnee und das massenhafte rothe Gestein, das an den Berggebäuden aufgestapelt liegt. In dem letzteren haben wir die Zinnerze vor uns, die Zinnzwitter, wie sie hier genannt werden; es ist das ein rother Porphyr mit einem Gehalt an Zinn, der sich dem „tauben Gestein“ gegenüber wie 1 zu 300 verhält. Man muß also 300 Centner Zinnzwitter zu Tage fördern und verarbeiten, ehe ein Centner Zinn gewonnen wird. Für den geringen Gehalt entschädigen jedoch die großartigen Massen, in welchen das Gestein vorkommt; in Altenberg, in Zinnwald und selbst noch in Graupen in Böhmen streicht es in massigen Bänken zu Tage aus, und dann läßt es sich auch verhältnißmäßig leicht abbauen, wie wir später sehen werden.
Von selbst wäre wohl niemand dahintergekommen, daß dieser rothe Bruchstein ein werthvolles Metall in sich berge; es mußte da schon ein Zufall zu Hilfe kommen. Im Jahre 1458 hatte ein Köhler im wilden Walde an einer Stätte, die heute ein Denkstein ziert, einen Meilerhaufen angerichtet und den Herd des Meilers von dem rothen Gesteine des Gebirgs aufgesetzt. Als der Meiler verglüht war und die Holzkohlen abgeräumt, zeigte sich das Gestein merkwürdig verändert; es war von der Feuersgluth zermürbt und hatte „berglauteres Zinn“ ausgeschwitzt.
Der rußige Gesell verwandelte sich natürlich sofort in einen Bergmann, und Frau Fama sorgte dafür, daß die Kunde von dem unverhofften Fund mit den üblichen Uebertreibungen in die Welt hinaus ging. Aus anderen Gegenden des Erzgebirgs, aus Böhmen und aus dem Harz strömten die Bergleute herbei und versuchten ihr Glück in Einzelbauen. Hundert Jahre nach dem „Fündigwerden“ nennt uns die Chronik gegen 380 Fundgruben bei Namen, und die neuaufgebaute Stadt zählte 500 Feuerstätten.
Wie noch heute in den Minendistrikten Nordamerikas vollzog sich auch hier, nur langsamer, der Prozeß der Konzentrirung aller Arbeitskräfte. Große Anlagen, wie Bergteiche, Entwässerungsstollen, Wasserhebemaschinen, wurden nothwendig, reiche Leute schossen Geld vor; man nannte sie fortan Bergherren, und der freie Bergmann, der bisher in
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_350.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2018)