Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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Geschäftslokal und von dort in sein Zimmer, wo er den fast Willenlosen auf sein Bett niederlegte.
„Er war krank,“ flüsterte Lorenzo, „das ist gut – das paßt mir. Ohne die große Schwäche hätte er auch solch einen Rausch nicht bekommen,“ setzte Lorenzo sein Selbstgespräch fort; „ich muß nur Sorge tragen, daß niemand von seinem Zustand etwas merkt, daß keine Seele darauf kommt, daß der Student nur in einem absonderlichen Rausch so handelte – und daß nicht gefragt wird, wie so ein paar Schluck Chokolade, die er getrunken, einen solchen Rausch veranlassen konnten. Teufel, wenn man danach fragt, ist mein Geheimniß dahin und meine ganze schöne Spekulation todt und verloren.“
„Er liebt sie und sie liebt ihn,“ fuhr Herr Lorenzo zu überlegen fort, indeß er dem ganz Betäubten kalte Wasserumschläge auf Herz und Magen machte. „Nun, ich hatte mir einen andern Schwiegersohn vorgestellt als einen armen Studenten – aber Inesilla ist reich; ein absonderliches Mädchen ist sie auch, das die Reichsten, Schönsten und Vornehmsten ausgeschlagen hat – und wenn sie denkt, mit diesem Studenten glücklich zu werden, ihn zu heirathen – weshalb soll sie es nicht thun dürfen? Ich muß das Gerücht verbreiten,“ überlegte Don Lorenzo weiter, „daß der junge Mensch von heimlicher Liebe zu meiner Tochter, die ihn als Kunden kannte, so krank geworden wäre, daß er im Hospital gelegen hatte und dann beim Wiedererblicken von Inesilla im Konzert halb wahnsinnig geworden sei. Das einzige Mittel, den talentvollen Menschen zu retten, wäre, ihm meine Tochter, welcher der Student auch gut gefällt, zur Frau zu geben – dann schlage ich auch den ganzen Skandal auf eine schöne Weise für mich als Vater und für Inesilla sehr glücklich nieder.“
So denkend ging Lorenzo in den Laden und öffnete ihn. Die Kunden strömten setzt nur so heran und der Tabakshändler erzählte und erklärte setzt den unerhörten Vorgang aus diese Weise. – „Ich bin nicht abgeneigt, meine Tochter dem gelehrten und schönen jungen Mann zu geben, wenn meine Erkundigungen nach seiner Familie gut ausfallen; seine Armuth kann bei dem Vermögen meiner Tochter kein Hinderniß sein, zumal er Inesilla, die ich gefragt, gut gefällt.“
So schloß Don Lorenzo seinen Vortrag vor den eifrig aufhorchenden Kunden, und nach kaum einer Stunde wußte ganz Salamanca, was Lorenzo gesagt. Man pries des Vaters Milde und seinen Edelmuth und hatte die tiefste Theilnahme für den Studenten und für die kluge, geistvolle Tochter Lorenzos, die sich an den Stadtskandal nicht stieß und einen armen Studenten mit ihrem Reichthum glücklich machte. Während dessen war Pablo erwacht.
Er schaute um sich und glaubte wieder im Spital zu sein. „Ich hatte einen Fiebertraum,“ murmelte er, „einen seltsamen, schrecklich schönen Fiebertraum – mir war, als dürfte ich Inesilla vor allen Leuten umarmen und ich that dies und küßte sie … Bin ich im Spital? Das scheint mir hier alles anders,“ dachte Pablo, jetzt den Raum betrachtend.
Als er sich vom Lager aufrichtete, trat Lorenzo heran, sah, daß der junge Mann erwacht war, eilte auf ihn zu, ergriff seine beiden Hände und bat ihn ruhig anzuhören, was er ihm zu sagen hätte.
„Junger Mann!“ sprach nun Lorenzo. „Ich weiß alles – Sie lieben meine Tochter und Inesilla liebt Sie – Sie waren krank vor heimlicher Liebe, ja, das war der Grund Ihrer Krankheit, und haben in einer wiederkehrenden Fieberphantasie meine Tochter beim Konzert umarmt und geküßt …“
Pablo fuhr wild empor und sah sich ganz irr um. „That ich das, that ich das wirklich?“ rief er entsetzt. … Don Lorenzo drückte ihn sanft nieder. „Ja, das ist wahr, das haben Sie gethan,“ sprach der Tabakshändler weiter.
Pablo stöhnte laut.
„Der Skandal ist groß,“ fuhr Don Lorenzo ganz freundlich fort, „ich habe ihn aber mit der Wahrheit entschuldigt – verstehen Sie, junger Mann, mit der vollen Wahrheit, und Sie sind es Ihrer, Inesillas und meiner Ehre schuldig, meine Tochter zu heirathen. Sie lieben sie doch wirklich?“
Statt einer Antwort schlang Pablo beide Arme um Don Lorenzo und küßte ihn auf beide Wangen.
„Es ist also keine Krankheitsphantasie, was ich da erlebe,“ flüsterte fassungslos der Student.
„Nein, es ist die wirkliche, reine Wahrheit,“ erwiderte Don Lorenzo, „das soll Ihnen Inesilla beweisen.“
Don Lorenzo ging aus dem Zimmer, hatte eine ganz kurze Unterredung mit seiner Tochter, und wenige Minuten darauf eilte diese in die Stube, wo Pablo sich befand, stürzte auf ihn zu, schlug die Arme um ihn und rief weinend: „Nein, Du sollst nicht wahnsinnig vor Liebe werden – was geht uns die ganze Stadt an – ich wußte nur nicht, ob Du mich liebtest – Du hast Dich darüber nie so recht stark geäußert. Hättest Du es gethan, so wärst Du vielleicht gar nicht krank geworden und diese dumme Sache vor der ganzen Stadt wäre nicht passirt.“
„Ach, ich glaubte nicht, zu Dir ausblicken zu dürfen, weil ich so arm war,“ gab Pablo zurück, „ich glaube wirklich, ich habe einen Fieberanfall gehabt. Mir war wunderbar zu Muthe; es kam mir vor, als wäre ich gar nicht mehr auf der Erde, sondern oben im Himmel – und da warst Du auch mit mir allein und sahest mich so liebevoll an – wie setzt.“
„Ja, wie jetzt und immer,“ rief Inesilla aus und küßte den jungen Mann auf den feinen, vollen Mund. „Jetzt können wir unser Leben lang uns so ansehen vor der ganzen Stadt, aber umarmen und küssen im Konzert, mitten auf der Plaza Mayor, im Angesicht von Salamanca darfst Du mich auch künftig nicht; ich habe an der einen Dummheit genug und werde viel schwatzen müssen, um den Skandal unter die Erde zu bringen.“
Das that denn auch Inesilla mit Eifer, Erfolg und Geschick. Ein Jahr später heirathete Inesilla ihren Pablo Verros, der sein Examen als Baccalaureus primo ordine gemacht hatte, und zu derselben Zeit ließ auch Don Lorenzo sein Hoflieferantenschild über dem Ladenangang befestigen.
Weder seine Tochter, noch ihr Mann erfuhren jemals etwas von der Wirkung der Papiros Cañamo, der Hanfextraktcigaretten, und beide hatten keine Ahnung davon, welchem seltsamen Zufall sie ihre so schnelle, glückliche Vereinigung verdankten.
Blätter und Blüthen.
Poeten der Gartenlaube. Daß sich in dem industriereichen Wupperthale eine so zahlreiche Kolonie talentvoller Dichter angesiedelt hat, ist längst bekannt, und wer sich für diese Dichter interessirt, den verweisen wir auf die Schrift von Albert Herzog „Die neuere Litteratur im Wupperthale“ (Barmen, D. B. Wiemann), in welcher sich ansprechende Porträts der Poeten finden, die dort längere oder kürzere Zeit verweilt haben. Drei von ihnen sind als fleißige Mitarbeiter unseres Blattes den Lesern desselben wohlbekannt und wir wollen nach Herzogs Mittheilungen kurze biografische Notizen über dieselben bringen.
Emil Rittershaus ist am 3. April 1834 zu Barmen geboren, aus einer dort seit Jahrhunderten ansässigen Familie. Er besuchte die Stadtschule und schon früh zeigte sich sein dichterisches Talent, vom vierzehnten Jahre ab erhielt er von seinem Lehrer die Erlaubniß, die deutschen Aufsätze in Versen schreiben zu dürfen. In Prima gründete er einen „Redeverein“. Doch sein Wunsch, die Universität zu besuchen und Naturwissenschaften zu studiren, stieß bei seinem Vater auf Widerspruch, er mußte den kaufmännischen Beruf ergreifen. Im Jahre 1856 verheirathete er sich mit Frl. Hedwig Lucas, die ihm stets eine gleichgesinnte, sein dichterisches Schaffen anregende Lebensgefährtin geblieben ist. In demselben Jahre gründete er ein eigenes Agentur- und Kommissionsgeschäft und machte größere Reisen durch Deutschland, England und die Schweiz. Damals erschien auch sein erstes Bändchen Gedichte, das sich im Jahre 1859 in einen stattlichen Band verwandelt hat. Der Dichter siedelte 1862 nach Barmen über, doch die nächste Zeit brachte ihm viel Leid und Bedrängniß; er arbeitete sich allmählich energisch aus ungünstigen Verhältnissen wieder empor, doch erst der große Erfolg seiner „Neuen Gedichte“ (1871), welche Ernst Keil mit Verzicht auf eigenen Gewinn zum Besten des Dichters herausgab, gab seinen Lebensverhältnissen eine erfreulichere Wendung. Seitdem veröffentlichte er noch Lieder „Am Rhein und beim Wein“ und das „Buch der Leidenschaft“ (1886) Sehr thätig war der Dichter stets, wo es gemeinnützige Interessen seiner Vaterstadt zu pflegen galt; eifrig betheiligte er sich bei der Gründung von Konsum- und Sparvereinen; er rief mit dem Oberbürgermeister Bredt den Barmer Verein für wissenschaftliche Vorlesungen (1868) ins Leben, ebenso den Allgemeinen Bürgerverein, dessen Vorsitzender er noch heute ist. In deutschen Landen hat er sich durch seine lebendigen und anregenden Vorträge bekannt gemacht.
Mit Recht rühmt Herzog den überzeugungsvollen warmen Ton der Rittershausschen Gedichte; man darf hinzufügen, daß da nichts Verschnörkeltes, Gesuchtes, Geistreichelndes zu finden ist, daß sie einfach und schlicht, aber in melodischer Form dem Herzen entströmen. Sehr gut steht ihm das poetische Heroldsamt in Prologen, Aufrufen, Festgedichten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_354.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)