Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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zur Feier hervorragender Männer und Ereignisse zu Gesicht; er hat da einen vollen Ton, ohne in ein auf Stelzen gehendes Pathos zu verfallen; seine stimmungsvollen Naturbilder, seine einfache Gefühlslyrik, das Leichtflüssige und Herzerwärmende seiner Lieder: das alles hat ihm ein großes und dankbares Publikum verschafft.
Ein Dichter wesentlich verschiedener Art ist Viktor Blüthgen, der in den Jahren 1871 bis 1874 in Elberfeld lebte und dort für R. L. Friedrichs dessen theologisches Universallexikon zu Ende redigirte. Die Wiege Blüthgens stand nicht im Wupperthal, er ist am 4. Januar 1844 zu Zörbig in der Provinz Sachsen als Sohn eines Postvorstehers geboren, besuchte die lateinische Schule in Halle, studirte dort Theologie, lebte seit 1865 einige Jahre als Hauslehrer und Vorsteher einer Privatschule in Mücheln bei Merseburg und besuchte dann noch das Predigerseminar in Wittenberg. Dann kam er nach Elberfeld, schwer erkrankt, und fand hier Heilung. Eine Zeit lang war er Theaterkritiker der „Elberfelder Zeitung“; doch die Schauspieler wollten wegen seiner allzu scharfen Kritiken striken. Er legte diese Stelle nieder und veröffentlichte nun Gedichte und Märchen mit Ernst Scherenbergs Hilfe. Von Elberfeld begab er sich nach Marburg und dann nach Krefeld als Redakteur der „Krefelder Zeitung“. Hier gelangte die Aufforderung Ernst Keils an ihn, einen Roman für die „Gartenlaube“ zu schreiben. Dieser Roman „Aus gährender Zeit“ spielt im Wupperthal in dem Jahre 1849 und enthält eine Zahl aus dem Leben gegriffener Porträts. Im Jahre 1879 trat Viktor Blüthgen vorübergehend in die Redaktion der „Gartenlaube“ ein und wohnt seit 1881 in Freienwalde an der Oder. Seine Gedichte (1881) und Novellen (1880) haben einen feingeistigen Zug, einen romantischen Hauch, oft etwas Apartes und Ueberraschendes in ihren Wendungen; besonders haben seine Märchen, seine Bilder und Reime aus der Kinderwelt lebhaften Anklang gefunden.
Mehr an Rittershaus erinnert Ernst Scherenberg, der ebenso voll wie dieser in die Saiten zu greifen pflegt, sich wie dieser durch das zeitgeschichtliche Ereigniß begeistern läßt und auch in feinen stillen frohen oder schwermüthigen Klängen einfachen und warmen Gefühlsausdruck wahrt. Ernst Scherenberg ist ein Neffe des poetischen Schlachtenmalers Christian Friedrich Scherenberg, dessen Dichtung „Waterloo“ seiner Zeit Aufsehen erregte, und wurde am 21. Juli 1839 als Sohn eines Kaufmanns und Rheders in Swinemünde geboren; er besuchte anfangs das Gymnasium zu Stettin, dann auf Wunsch seines Vaters die Gewerbeschule; 1856 trat er als Lehrling in eine Maschinenfabrik ein, doch er glaubte Beruf für die Malerei in sich zu fühlen, und es gelang ihm nach vielen Schwierigkeiten, als Schüler der Akademie der Künste aufgenommen zu werden. Einige politische Gedichte, die durch Rudolf von Bennigsens Vermittlung in der „Zeitung für Norddeutschland“ zum Abdruck kamen, erregten Aufsehen und er ließ bald darauf seine erste Gedichtsammlung unter dem Titel „Aus tiefstem Herzen“ (1862) erscheinen. Besonders gelungen waren darin „Die kleinen Lieder“. Eine Art politischer Elegie war der Cyklus „Verbannt“, der Schicksale und Gefühle eines nach Amerika geflüchteten Freiheitskämpfers schildert. Die neuen Gedichte „Stürme des Frühlings“ (1865) führen den Namen von einer schwunghaften poetischen Epistel, welche 1862 veröffentlicht worden war; es weht ein echt patriotischer Geist in diesem Gedichte. Im Jahre 1870 übernahm Scherenberg die Redaktion der „Elberfelder Zeitung“, 1874 erschien eine Gesammtausgabe seiner Gedichte bei Ernst Keil in Leipzig; 1882 „Neue Gedichte“. Seit 1883 lebt Scherenberg als Sekretär der Handelskammer in Elberfeld.
Neben den zahlreichen anderen Dichtern des gesangesfreudigen Wupperthales stehen diese in erster Linie und ihr volkstümlicher Ton bei edler Haltung und gediegener dichterischer Form hat sie in unserer „Gartenlaube“ eingebürgert und den Lesern derselben werth gemacht.
Frühjahrsrennen auf Oberwiesenfeld. (Mit Illustration S. 344
und 345.) Später als in anderen Hauptstädten hat sich in dem gemüthlich
bürgerlichen München das elegante militärische Frühjahrsrennen entwickelt,
ist aber dafür auch sofort zum entschiedensten Liebling der ohnehin
stets festfreudigen Bevölkerung geworden. Am ersten Maisonntag flattern
draußen „am Kugelfang“ in Oberwiesenfeld die blauweißen Fähnchen im
Sonnenschein und schon um 1 Uhr strömt eine ungeheure Menge in die
Schranken um die Rennbahn ein. Erst einzeln, dann in immer dichterem
Zuge erscheint zu Fuß, in Droschke und Fiaker das bürgerliche München
mit Kind und Kegel, hinterher in elegantem Gespann Finanz und Aristokratie;
Galalivréen werden sichtbar, Silbergeschirr der schönen Pferde,
wehende Federbüsche, helle Damentoiletten und blitzende Uniformen;
endlich stiegen die Vorreiter einher und hinter ihnen, vier- und sechsspännig,
die Hofequipagen. Prinz Alfons, der Neffe des Regenten, lenkt
seinen herrlichen Isabellenzug selbst; hinter ihm kommt Prinzessin Gisela
mit ihren Kindern, die schöne Prinzessin Elvira in reizender Toilette,
Prinz Ludwig, der Sohn des Regenten, endlich, nach allen Seiten huldvoll
grüßend, dieser selbst. Nun nimmt das Rennen seinen Anfang und
verläuft unter lebhafter Theilnahme der Zuschauer auf den Tribünen und
dem weiten Festplatz. Fünfmal etwa wird gerannt; dreimal sind es nur
Offiziere, welche ihre eigenen oder die Pferde der Kameraden reiten, zwei
der Rennen aber sind zur Prüfung und Hebung der bayerischen Pferdezucht
bestimmt; hier lassen die Eigenthümer ihre Jockeys reiten. Bei
welchem der Rennen die Spannung am größten ist – wer könnte das
entscheiden? Jedenfalls werden die mannigfachen Preise heiß umworben
(manche davon und sehr werthvolle sind von den hohen Damen gestiftet)
und tausendstimmiger Beifallsruf lohnt dem Sieger, welcher dem andern
um eine Kopfslänge voraus aus Ziel fliegt. Gegen 4 Uhr löst sich das
bunte, wogende Gedränge wieder; der Hof voraus, dann alle Anderen
kehren zur Stadt zurück. Tags darauf findet dann noch ein zweites
Rennen statt; den Hauptglanz aber entfaltet das Sonntagsrennen, von dessen
bunter Zuschauermenge der Künstler uns ein getreues Bild gegeben hat.
Das Eichendorff-Denkmal. Am 2. Mai wurde in Neiße ein Denkmal
des Dichters Eichendorff in Gegenwart der königlichen und städtischen
Behörden, der Offiziere der Garnison, der Geistlichkeit beider Konfessionen
und eines überaus zahlreichen Publikums enthüllt. Das Denkmal
ist ein Werk des Bildhauers Seeger. Auf Stufen von hellgrauem
Granit erhebt sich ein schlankes Postament von dunkelgrauem Syenit
aus dem Fichtelgebirge, und dieses trägt die vorzüglich gelungene Bronzebüste
des Dichters und an der Vorderseite die Inschrift „Joseph von
Eichendoff 1788/1857“, umrahmt von einem bronzenen Eichenkranze
mit Harfe und dem Eichendorffschen Familienwappen. Der nach ihm benannte
Platz, auf dem das Denkmal steht, liegt am Ende der Friedrichsstadt;
zur Rechten erhebt sich das Haus, in welchem der Dichter gestorben;
vor sich hat man den Blick auf das grünende Glacis und den Jerusalemer
Friedhof, auf dem der Dichter und seine Gattin die letzte Ruhestätte gefunden
haben.
Wir haben erst vor kurzem am Jubiläumstag des Dichters seine Bedeutung gewürdigt. Dieselbe wurde auch in der Festrede des Justizraths Grauer dargelegt, welcher hervorhob, daß Eichendorff der einzige romantische Dichter sei, der noch wirklich im Geiste unseres Volkes lebe und das romantische Element bis in die neueste Zeit hinübergerettet habe. Einen Genossen hat indeß der schlesische Lyriker unter den Romantikern, dem man den gleichen Ruhm nicht bestreiten darf: Das ist der geniale Dramatiker Heinrich v. Kleist, der Dichter des „Käthchen von Heilbronn“ und des „Prinzen von Homburg“.
Abenddämmerung am Todten Meer. (Mit Illustration S. 353.) Kein Gras, kein Strauch, kein Baum – alles nackte, öde Felswand, die das dunkle Wasser einzwängt! Wie ein Fluch ruht es heute auf dem Orte, der vor langen Jahrtausenden wohl ebenso fruchtbar und herrlich gewesen wie die übrigen Theile Palästinas. Kein Fisch vermag in der bitteren Fluth zu leben und kein Zugvogel sucht hier auf seiner Wanderung Ruhe, weil er nicht ein Körnchen Nahrung, nicht einen Tropfen erquickenden Wassers fände und elend sterben müßte. Alles leichenartig: das schwärzliche Gestein, die nackten Baumstämme, die weiß und morsch gleich gebleichten Knochen in die Luft starren – das Stück Himmel, dessen grauen Nebelschleier nur selten ein Sonnenstrahl durchbricht, und die Wasserfläche, welche die Trauerfarbe von oben wiederspiegelt – todt – todt!
Der Legende nach liegen die sündigen Städte Sodom und Gomorrha tief unten begraben – und von da mag die uralte Sage weitergewandert sein nach allen Weltgegenden, den andern einsamen Seen zu, von welchen der Volksmund auch berichtet, daß Städte, Flecken und Schlösser mit allem, was gelebt und geatmet, in ihrem Grunde den ewigen Schlaf gefunden.
Das Todte Meer gehört zu den Seen ohne Abfluß, und zwar zu jenen, deren Niveau bedeutend tiefer liegt als das des Meeres. Der Forscher Lynch hat diese Entdeckung gemacht, als er aus seiner Expedition nach dem Jordan, an dessen Ausfluß also am Todten Meere selbst, eine Barometermessung vornehmen wollte. Da vor nicht allzu langer Zeit noch allgemein die Meinung herrschte, daß sämmtliche Seen einen unterirdischen Abfluß in das nächstgelegene Meer haben, mithin höher liegen müßten, konnte sich Lynch anfangs nicht erklären, warum die Quecksilbersäule in seinem Barometer nicht zur Skala herabsinken wollte. Erst als er das Gelände hinauf höher stieg, begann die Säule tiefer zu gehen um endlich auf 1300 Fuß das Niveau des Mittelländischen Meeres anzuzeigen!
Obwohl der Jordan seine ganze Wassermasse in diesen Binnensee ergießt, hat dies kein Steigen des Niveaus zur Folge, da die Hitze des Klimas mehr Wasser des 23 Quadratmeilen großen Sees zum Verdunsten bringt, als ihm zugeführt wird. Der bittersaure Geschmack des Wassers rührt zweifelsohne von der bedeutenden Menge von Erdharz her, das von Grund auf zur Oberfläche getrieben wird.
Heurich. Mit Bezug auf den bei der Elbarmee im Feldzuge 1866 üblichen Begrüßungsruf: „Lehm up!“ (vergl. S. 100 dieses Jahrganges) erlaube ich mir die Mittheilung, daß ein solcher Zuruf nicht zum ersten Male im Jahre 1866 bei einem Theile der preußischen Armee üblich war.
Schon während der Befreiungskriege hatte sich ein ähnlicher Ruf bei dem Yorkschen Armeekorps, aus ebenso unbedeutender Ursache wie 1866 bei den Bonner Husaren, zu einem Erkennungs- und Begrüßungsruf herausgebildet, der allmählich in der ganzen preußischen Armee üblich wurde; es war dieses der Ruf „Heurich!“ Derselbe Ruf wurde so eigentümlich accentuirt, daß man auf der Stelle hörte, ob ein echter „Heurich“, das heißt ein Preuße, oder ein Russe respektive Oesterreicher grüßte.
Förster erwähnt diesen Ruf in seiner „Geschichte der Befreiungskriege“ zuerst in dem Gefecht bei Wartenburg, am 3. Oktober 1813, wo nach errungenem Siege überall der kameradschaftliche Gruß „Heurich! Heurich!“ ertönte, da, wo Husaren und Füsiliere etc. zusammentrafen.
Es ist originell, daß auch hier, wie 1866 bei der Elbarmee, die „innerlich verwandten Waffen“ zuerst als diejenigen genannt werden, welche den Feldgruß, wenn ich ihn so nennen darf, ausriefen. Also damals schon: „Couleur!“
Förster giebt über die Entstehung des „Heurich“ folgende Auskunft: der Kompagniechirurg Eyrich – dieses ist sein durch den Taufschein und die Dienstlisten beglaubigter Familienname – machte 1812 den Feldzug in Rußland beim Yorkschen Korps mit und wurde zum Bataillonschirurg des Füsilierbataillons des 2. Ostpreußischen Infanterieregiments befördert. Die Fama sagt nun, Eyrich habe bei den Bauern Speck requirirt unter dem Vorwande, diesen zum Wundverbande zu brauchen; thatsächlich habe er den Speck aber zu seinen Mahlzeiten verwandt. In einem scherzhaften Heldengedicht aus den Kriegsjahren wurden des berühmten und berüchtigten Eyrichs, vulgo Heurich, Leben und Thaten besungen, darin heißt es:
„Es ist fürwahr eine Seltenheit,
Daß ein Feldscheer in jener Zeit
So hoch berühmt sich hat gemacht,
Daß sein Name zum Feldgeschrei ward in der Schlacht,
Wie dies zuging, ich sag’s euch unverhohlen:
Der Eyrich hatte eine Wurst gestohlen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_355.jpg&oldid=- (Version vom 27.5.2019)