Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1888) 357.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Beate begriff überhaupt heute noch nicht alles, was sich bei der Verlobung Lothars ereignet hatte; ihr war von der geräuschvollen Abreise der Durchlauchtigsten Damen ganz wirbelig zu Sinne; sie hatte auch in der vergangenen Nacht kein Auge zugethan. Als gestern Abend spät Lothar mit der Prinzessin allein angefahren kam, stand ihr vor Schreck das Herz einen Augenblick still; ihre Blicke hatten zwar nur flüchtig des Bruders Gesicht gestreift, aber sie hatte es doch gleich gewußt: der ist Bräutigam! Es lag so ein eigener Glanz darauf. – Und die Prinzessin lief so eilends die Stufen empor.

„Die beichtet der Frau Mama jetzt ihr Glück,“ hatte sie sich gedacht. – Und richtig, da rief Lothar sie in sein Zimmer, und als sie hereinkam, lehnte er an seinem Gewehrschrank; das war seine Lieblingsstellung, wenn er ihr Wichtiges mitzutheilen hatte. „Schwester Beate,“ sagte er ihr entgegenkommend, „ich habe mich verlobt.“

Sie hatte ihm die Hand gedrückt und ihn herzlich auf den Mund geküßt. „Ich gratulire Dir, Lothar.“

„Und Du freust Dich gar nicht, Beate?“

„Lothar,“ hatte sie gesagt, „man denkt immer, wenn ein Bruder heirathet, man müsse eine Schwester bekommen; aber –“ und sie hatte gutmüthig gelächelt, „Du kannst Dir doch unmöglich Deine Beate neben der Prinzessin als Schwester vorstellen? Wir würden neben einander sein wie so ein gutes braves Haushuhn und ein Goldfasan – gelt? – Aber das ist Nebensache, wenn Du nur glücklich wirst.“

„Ich habe die Absicht, es zu werden. Und wenn auch ein Schwan nicht besser passen mag zum Haushuhn als ein Goldfasan, so hoffe ich doch, daß sich diese beiden, ins Menschliche übertragen, ganz leidlich für einander schicken werden. Ich habe mich nämlich mit Claudine verlobt, Du kluge Schwester.“

Mit Claudine! Nun, da ließ sich ihrer Klugheit doch wahrlich nicht spotten, wenn man’s so heimlich anfing! „Gott sei gedankt!“ hatte sie gesagt, als sie sich von dieser Ueberraschung allmählich erholte, und sie hatte ihren Bruder herzhaft am Rockärmel genommen: „Da setze Dich hin und erzähle!“


P. K. Rosegger.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_357.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2016)
OSZAR »