Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1888) 363.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

häusliche Sphäre ist, gute dienende Kräfte zu haben. Was das Gegentheil bedeutet, davon wissen unsere Hausfrauen und in vielen Fällen auch die Familienoberhäupter ein recht „garstiges Lied“ zu singen.

„Ich diene“ – mit dem inhaltschweren Motto verlassen Tausende weiblicher Personen das Elternhaus, um draußen in der Welt ihr Fortkommen zu suchen. Ueber das „Wie“ der zukünftigen Thätigkeit haben sich aber die wenigsten der jungen Mädchen Sorge gemacht; niemand gab ihnen Unterweisung; sie ziehen rastlos hin und her, allenthalben als „ nicht passend für den Dienst“ und „wegen Unfähigkeit“ entlassen. Die Miethskomptoire sehen an jedem Quartale, wenn nicht etwa schon früher, dieselben Gesichter – Hausfrauen und Dienstboten sind in gleicher Nothlage. Hier setzt die Haushaltungsschule den Hebel an; sie bezweckt Unterweisung und praktische Uebung in hauswirthschaftlichen Arbeiten, Fortbildung der Zöglinge in weiblichen Handarbeiten und Elementarkenntnissen. Nach dem Lehrplane der Anstalt werden die Schülerinnen in drei Gruppen getheilt. Gruppe I bilden die im Hause (Raupachstraße 1) wohnenden und allen Unterricht besuchenden; Gruppe II diejenigen, welche in der Anstalt während der Tagesstunden von 8 Uhr früh bis 8 Uhr Abends beschäftigt und unterwiesen werden; Gruppe III Schülerinnen, die entweder an allem technischen und Elementarunterricht oder nur an einzelnen Kursen theilnehmen. Der Lehrplan ist mit seinem Verständniß für die später an die Zöglinge gestellten Ansprüche ausgearbeitet und umfaßt. Kochen, Waschen, Plätten, Zimmerreinigen, Handnähen, Ausbessern, Stopfen, Flicken, Maschinennähen, Wäschezuschneiden, Schneidern, Nachhilfe im Lesen, Rechnen, Deutsch, sowie Uebung im Gesang.

In der Haushaltungsschule des Lette-Vereins in Berlin.
Originalzeichnung von E. Thiel.

Die auf ein Jahr berechnete Ausbildung ruht in den Händen des umsichtigen und bewährten Fräulein Pötz, die das schöne Prädikat „Hausmutter“ führt, und einiger technischer und wissenschaftlicher Lehrerinnen. Dem Besucher bietet die Anstalt ein Bild gesunden und frisch pulsirenden Lebens dar, das in den Mittagsstunden seinen Höhepunkt erreicht. In der geräumigen, praktisch eingerichteten Küche hantiren die jungen Mädchen mit einer Emsigkeit, daß es eine Freude ist; jede Schülerin weiß genau Rechenschaft zu geben über die Herstellung der Speisen, Einkaufsquellen und Preis derselben; durch die Führung eines praktisch angelegten Wirthschaftsbuches wird unter Annahme wechselnder Etats Sparsamkeit, richtige Vertheilung der Ausgaben und vor allen Dingen das Haushalten und Auskommen mit einer festgesetzten Summe gelernt: eine Tugend, die, in größeren und kleineren Gemeindewesen ebenso wie in Haus und Familie, erfahrungsmäßig nicht immer zu finden ist. Die Küchenerzeugnisse werden sofort in der mit dem Institut verbundenen Speiseanstalt verwerthet, wo den jungen Mädchen täglich Gelegenheit geboten wird, einfache und gediegene Formen des Bedienens bei Tische zu lernen. Nach einer gleich praktischen, die Schülerinnen zur Selbstthätigkeit, Umsicht und Geschicklichkeit erziehenden Methode werden auch die andern Fächer gelehrt und so lange geübt, bis das Ziel erreicht ist. In allen verfügbaren Räumen der Anstalt herrscht deshalb von früh bis spät je nach den Ausgaben und Abtheilungen reges Schaffen und Mühen, daß wir überall den Eindruck gewinnen: hier arbeitet man nach dem besten aller pädagogischen Grundsätze: non scholae, sed vitae – nicht für die Schule, sondern für das Leben. Selbst die Uebungen in den Elementarfächern: Lesen, Schreiben, Rechnen, Deutsch und Gesang lassen den Endzweck, „für Haus und Familie“, nicht aus dem Auge. Daß die Anstalt außerordentlich geeignet ist, auch künftige Hausfrauen des Volkes für ihren wichtigen Beruf vorzubereiten, braucht wohl kaum gesagt zu werden; unter den Zöglingen befinden sich mehrere Bräute, Töchter ländlicher Grundbesitzer, und andere Schülerinnen, die das Gelernte in dem eigenen oder elterlichen Heim zu verwerthen gedenken. Selbstverständlich sind die jungen Mädchen einer strengen, aber wohldurchdachten Hausordnung unterworfen. Dieselbe läßt aber noch hinreichend Raum, um auch der Herzens- und Gemüthsbildung Rechnung zu tragen. Auf eine eingehende Beschreibung der in musterhafter Ordnung gehaltenen sauberen freundlichen Räume, wo überall das Walten weiblicher Hände sich bemerkbar macht, müssen wir verzichten. Einen Einblick in das Treiben desselben bietet uns die beigegebene Abbildung. Wir werden auf derselben in die Küche und in die Nähstube geführt. Von der letzteren blickt man durch die offene Thür in den Speisesaal der Anstalt.

Freunden der Anstalt ist jederzeit Gelegenheit geboten, derselben unter liebenswürdiger Führung der Hausmutter einen Besuch abzustatten. Wer sich nähere Auskunft über die Aufnahmebedingungen u. dergl. verschaffen möchte, der kann sich an die Vorsitzende Frau Schepeler-Lette in Berlin (Königgrätzerstraße 90) oder an die Hausmutter der Anstalt Fräulein Pötz ebendaselbst (Raupachstraße 1) wenden.

Obgleich die rasch aufstrebende Haushaltungsschule wegen der wachsenden Schülerinnenzahl ihre Unterrichts- und Wohnräume wiederholt vergrößerte, so konnte doch nicht allen Anforderungen entsprochen werden; viele Anmeldungen mußten unberücksichtigt bleiben. Das Ziel der Leiterin ist daher, für die so segensreiche Anstalt ein eigenes geräumiges Haus zu erwerben.

Wir wünschen dem jungen Unternehmen das tatkräftige Interesse aller derer, die für das Wohl des Volkes, beziehentlich der deutschen Familie Herz und Verständniß haben; in der Haushaltungsschule liegt ein gesundes Samenkorn, das bald zum kräftigen Baum emporwachsen wird. Die Berliner Anstalt ist nicht die einzige dieser Art in Deutschland; es regt sich auf diesem Gebiete in Nord und Süd, und die „ Gartenlaube“ wird in nächster Zeit über ähnliche Bestrebungen an anderen Orten ihren Leserinnen berichten. Hoffentlich werden aber unsere Mittheilungen zur Nachahmung des guten Beispiels Veranlassung geben, so daß auch dort Haushaltungsschulen entstehen, wo ihr Segen bis jetzt noch nicht bekannt ist.

Gustav Schubert.     
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_363.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)
OSZAR »