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Seite:Die Gartenlaube (1888) 365.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Von der Nadel zur Feder.
Eine Porträtskizze P. K. Roseggers von G. Ramberg.

Den Lesern der „Gartenlaube“ ist der Dichter, dessen Bild wir denselben heute vorführen, längst kein Fremder mehr. Und beim Lesen seiner Schriften wird mancher wohl die Frage aufgeworfen haben: Wie konnte aus dem Waldbauernburschen und Schneidergesellen von ehedem ein Dichter werden? Rosegger selbst hat die Frage in seinen Werken theilweise beantwortet. Wer seine Dichtungen gelesen, kennt auch seine Lebensgeschichte. Nicht ganz genau vielleicht und nicht mit historischen Daten, denn vieles, was der Dichter erzählt, ist thatsächlich anders geschehen. Seine Erzählungen sind aber trotzdem wahr; sie gehören jener Wahrheit an, die allgemein ist und im Munde des Poeten bedeutsamer wird. So wollen auch wir diese Skizze, welche die Bekanntschaft mit dem Menschen Rosegger vermitteln soll, freihalten von Jahreszahlen und kleinlich historischem Beiwerk und sein Leben, seine Entwickelung so betrachten, wie er selbst, wie der Dichter sie betrachtet.

In der grünen Steiermark ist seine Heimath. Unweit von Krieglach liegt ein kleines Dörfchen, Alpel genannt. Dort stand Roseggers Elternhaus. Der Vater war ein armer Waldbauer, arm und verarmt. Peter war ein schwächlicher Bursche und den Anstrengungen, die der Bauernstand fordert, kaum gewachsen. Darüber war der Familienrath bald einig. Aber man schwankte, ob der Bursche Pfarrer oder – Schneider werden müsse. Man entschied für das erstere; der Bub sollte studiren. Die Mutter ging zu den Geistlichen, sie um Rath und Hilfe zu bitten. Aber sie erhielt wenig Aufmunterung. Der alte Dechant von Birkfeld sagte:

„Wenn der Bub sonst keine Anzeichen für den Priester hat, als just, daß er schwach ist, so soll er was anderes werden. Schwache Priester haben wir eh’ genug. Er soll ein Handwerk lernen.“

Rosegger selbst hatte Lust und Neigung zum Priesterstand. Aber sein erster Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen; es ist anders gekommen, er sollte in eine andere Bahn gelenkt werden. Der kleine Rosegger hatte sich einmal auf dem Thomasmarkte im nahen Krieglach einen Volkskalender gekauft. Er las das Buch von Anfang bis Ende, studirte jeden Heiligen, jede Finsterniß, jede Bauernregel und jede muthmaßliche Witterung. Die Erzählungen des Kalenders las er nicht, er sog sie auf, wie Blüthenduft und Honig. Die Freude an dem vorhandenen Genuß wurde noch gesteigert durch die Hoffnung auf kommenden: am nächsten Thomasfeste sollte ein neuer Kalender gekauft werden. Als aber der Thomastag herankam, war nicht genug Geld da, um einen solchen Schatz zu erstehen. Wohl Stunden lang mag der Knabe sehnsüchtigen Blickes vor den Büchern gestanden haben, von weitem die Titel lesend. Aber die Thatsache stand unumstößlich fest: „Hast kein Geld, so kannst keinen kaufen.“

Da erwachte in ihm der Nachahmungstrieb, und er sagte zu sich. „Wenn Du keinen kaufen kannst, so mach’ Dir selber einen.“

Zur Erwerbung von Feder, Tinte und Papier reichte die kleine Baarschaft aus, und der Grundstein zu seiner dichterischen Thätigkeit war gelegt. Er versuchte es, seinen Volkskalender genau nach dem Muster des gedruckten Exemplares zu schreiben, verfaßte Erzählungen, Gedichte und Aufsätze, zeichnete selbst die Illustrationen dazu, stellte das Kalendarium auf und traf mit den Wetterprophezeiungen ebenso oft oder ebenso selten das Richtige, wie der Berufsprophet. Ein „weitläufiger Vetter“ sah ihm öfters bei seiner dichterischen Thätigkeit zu, und als einmal der Kleine ein neues Buch aus weißem Papier zusammenheftete, um es frischweg wieder vollzuschreiben, meinte der Vetter:

„Ich seh’s, Bub, Du bist kein Bauer nicht, Du bist zu was anderem geboren. Was Du findig bist und flink mit der Nadel! Du mußt ein Schneider werden!“

„So ist es eigentlich der weitläufige Vetter gewesen, der mein Talent zuerst entdeckt hat,“ fügt Rosegger dieser Anekdote schelmisch bei.

Er ist denn auch wirklich Schneider geworden. Durch das lange Hin- und Herschwanken war ihm selbst die Lust zum Bauernstande abhandengekommen, und da das „Geistlichwerden“ nicht so leicht war, ging die Mutter vom Pfarrer zum Schneider.

„Sie hätte einen Buben, der gern Schneider werden möchte,“ hub die Waldbäuerin an.

Aber der Meister frug, was ihn auf diesen Gedanken brächte. Und als die Bäuerin erklärte, weil er halt gar so schwächlich sei, brauste der Alte auf:

„Jeder Mist will heutzutage Schneider sein. Ich will der Bäuerin nur sagen, daß der richtige Schneider ein kerngesunder Mensch sein muß!“

Nun, gesund war er ja, der Waldbauernbursche. Der Meister hatte ein Einsehen, und nach einigen Tagen trat Rosegger bei ihm in die Lehre. Hier erst eröffnete sich ihm ganz die Bauernwelt. Rosegger erzählt, daß er im Laufe seiner Schneiderjahre in 67 verschiedenen Bauernhäusern gearbeitet hat. Die Bauernhandwerker, wie Schuhmacher, Schneider und Weber, sind nämlich in vielen Alpengegenden eine Art von Nomadenvolk. Sie haben wohl irgend eine bestimmte Wohnung, entweder im eigenen Häuschen oder in der gemietheten Stube eines Bauernhofes, wo ihre Familie lebt, wo sie ihre Habseligkeiten bergen und wo sie den Sonntag zubringen. Am Montag aber gehen sie auf Arbeit aus und richten sich im Bauernhause, wo sie bestellt sind, für so lange ein, bis sie ihre Arbeit vollendet haben. Der Handwerker wird von den Bauern wie zur Familie gehörig betrachtet und ist in wenig Tagen eingeweiht in die Verhältnisse, Eigenarten und Geheimnisse des Hauses. Während einer vierjährigen Thätigkeit kann also da ein offener Kopf gar mannigfache Beobachtungen machen. Und damit läßt sich auch die schon häufig aufgeworfene Frage beantworten: woher denn Rosegger in seiner Waldeinsamkeit alle die verschiedenen Zustände und Sitten und die vielen wunderlichen Kerle kennen gelernt habe, und ob denn alles so bei der Hand gewesen oder von allen Seiten herbeigekommen sei, um sich von ihm beschreiben zu lassen? Die Schneiderzeit war eben seine Hochschule, wo er den Charakter des Bauernlebens im Großen wie im Kleinen von Grund auf kennen lernte.

Seine schriftstellerische Thätigkeit nahm während der Lehrjahre schon größere Formen an. Er schrieb ein religiöses Werk „Weg in die Ewigkeit“ und eine weltliche Schrift „Freue Dich des Lebens“. Später verfaßte er zahlreiche Gedichte, gab eine Zeitschrift heraus „Meine Gedanken“ und verfertigte noch überdies ein illustrirtes Prachtwerk „Museum“.

Jahrelang hatte er auf solche Weise genügsam für sich selbst gedichtet, als ihn auf einmal die Sehnsucht nach der Druckerschwärze überkam. „Wie mag sich wohl so etwas Selbstgeschriebenes in der Zeitung ausnehmen?“ war sein Gedanke. Nach langem

„Mein Geburtshaus.“ Originalskizze von P. K. Rosegger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_365.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2018)
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