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Seite:Die Gartenlaube (1888) 467.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


Fellners giebt über alles Bezügliche die klarsten Aufschlüsse; besonders aber enthält das Werk eine große Menge von Bemerkungen und Rathschlägen betreffs der dramatischen Kunst, welche theils aus Immermanns sämmtlichen Schriften zusammengetragen sind theils im Anschluß an dieselben von anderen namhaften Theaterkennern und von dem Herausgeber selbst beigesteuert werden.

Lange Dauer hatte die Musterbühne nicht. Die Geldquellen versiegten; die Oper verschlang zuviel Geld. Auch stießen Immermanns Bestrebungen auf vielfache Opposition bei den profanen Theaterjüngern. Sind die Zeitverhältnisse heute günstiger geworden für ein derartiges Unternehmen? Wir bezweifeln es mit Recht. Immermann war ein ausgezeichneter Dramaturg, das geht aus jeder Seite dieser Aufzeichnungen hervor, kenntnißreich, feingebildet, unermüdlich, dabei imponirend und herrschgewaltig; und doch die kurze Herrlichkeit! Heutzutage sind Männer wie er selten. Gleichwohl ist es ein hohes Verdienst, an der Reform des Theaters zu arbeiten; denn die Schaubühne ist ein Werthmesser für den Bildungsstand eines Volkes.


Carl Schurz. Der freundliche Empfang, welchen unser Reichskanzler dem hervorragenden nordamerikanischen Staatsmann zu theil werden ließ, beweist, wie sehr sich die Zeiten geändert haben: gehört doch Karl Schurz zu denjenigen Revolutionären der bewegten Epoche von 1848 und 1849, deren Thaten damals wegen ihrer Kühnheit das größte Aufsehen machten. Geboren am 2. März 1829 in Liblar bei Köln, studirte er in Bonn, wo er mit Kinkel in näheren Verkehr trat, betheiligte sich im Frühjahr 1849 an der Erstürmung des Siegburger Zeughauses, kämpfte dann in Baden wie Kinkel gegen die Reichstruppen, wurde wie dieser gefangen genommen, entkam aber nach der Schweiz. Von hier aus begab er sich 1850 unter angenommenem Namen nach Berlin, wo es ihm gelang, die Flucht Kinkels aus Spandau ins Werk zu setzen. Dann begab er sich nach London, wo er sich verheirathete, und von hier aus nach Amerika.

C. Schurz.
Originalzeichnung von C. W. Allers.

Damit war seine romanhafte Jugend in Europa abgeschlossen. Schurz hatte kaum das einundzwanzigste Lebensjahr hinter sich, als er bereits eine solche Fülle revolutionärer Erlebnisse in den Annalen seines Lebens verzeichnen konnte. In Amerika hat er als Staatsmann, Diplomat, General und Journalist in Berufskreisen, die in Europa scharf getrennt zu sein pflegen, eine hervorragende Rolle gespielt, stets im Dienste der Freiheit und der Humanität und zu Ehren des Deutschthums, dem er eine leitende Rolle in den großen politischen Bewegungen der Union gesichert.

Im Jahre 1855 finden wir Schurz in Watertown im Staate Wisconsin, wo er als Volksredner für die republikanische Partei mit glänzendem Erfolge wirkte. Im Jahre 1850 lebte er als Advokat in Milwaukee, 1861 begab er sich als Gesandter der Union nach Spanien. Der Bürgerkrieg rief ihn zurück; er wollte für das Sternenbanner gegen die sich lossagenden Staaten des Südens kämpfen. er stieg in rascher militärischer Laufbahn zum Majorgeneral, befehligte eine Division in der Schlacht bei Bull-Run und beteiligte sich an anderen Hauptschlachten des großen Krieges wie an denjenigen bei Gettysburg und Chattanooga.

Nach Beendigung des Krieges wurde der General zum Publicisten, gab 1866 die „Detroit-Post“ heraus, 1867 die „Westliche Post“ in Saint-Louis, wie er denn auch noch in den letzten Jahren, 1883, Redakteur der „Evening-Post“ („Abendpost“) in New-York und, 1885, der „Boston-Post“ in Boston war. In die Zwischenzeit fallen seine hohen Staatsstellungen in Amerika. Nachdem er 1869 vom Staate Missouri zum Bundessenator gewählt worden, wurde er 1877 unter Hayes Minister des Innern.

Ein vorzüglicher Volksredner und ebenso tüchtiger Parlamentarier, dabei mit der Feder schlagfertig wie mit dem Schwerte, ist Karl Schurz einer jener öffentlichen Charaktere, welche, in ihrer überaus vielseitigen Thätigkeit stets das eine Ziel verfolgend, das Wohl ihrer Adoptivheimath, sich in Amerika der höchsten Anerkennung erfreuen und auf welche wir Deutschen mit Recht stolz sein dürfen.


Das Viergespann auf dem Brandenburger Thore. Wir haben vor kurzem in Nr. 25 unserer Zeitschrift der Siegesgöttin auf diesem Thore gedacht. Wie viele haben sich an derselben erfreut und wie wenige wissen Näheres über Entstehung und Schicksale derselben!

Nach einer handgroßen Skizze von J. G. Schadow und nach einem Pferdemodell von Holz der Gebrüder Wohler hat der Hofkupferschmied Wilhelm Ernst Emanuel Jury im Jahre 1794 das Werk in Kupfer getrieben. Werke solcher Skulptur in Edelmetallen kannte das griechische Alterthum; auch von Benvenuto Cellini finden sich einige solche Kunstwerke. Doch in neuester Zeit überwiegt fast ausschließlich der Erzguß; die kunstreichen Hämmerer der Quadriga stehen in der Kunstgeschichte fast einzig da; nichts Aehnliches giebt es in so kolossalem Maßstabe und zugleich von solcher Formenschönheit, wie die Gruppe des Brandenburger Thores. Und wie interessant sind die Schicksale dieser Gruppe! Nach der Niederlage von Jena war Preußen den Franzosen preisgegeben; diese rückten in Berlin ein und der Kaiser Napoleon I., der sich sehr auf den Kunstfreund herausspielte und eine Menge kostbarer Kunstschätze nach Paris senden ließ, fand auch die Viktoria des Brandenburger Thores mitnehmenswerth, er befahl dem General Daru,[WS 1] den die Franzosen selbst „notre Voleur à la suite de la grande Armée“ (unser Dieb im Gefolge der großen Armee) nannten, die Quadriga von dem Thore abzunehmen und sie nach Paris zu bringen. Dies machte den tiefsten Eindruck auf das Volk, welches dieser Viktoria eine symbolische Bedeutung gab; es nährte den patriotischen Ingrimm für den Rachekrieg der Zukunft. Meilenweit begleitete das Volk unter Schluchzen und Thränen das unter der Eskorte französischer Dragoner fortgeschleppte Kunstwerk. Uebrigens ist das preußische Palladium in Paris nicht enthüllt, nicht den Blicken des profanen Volks gezeigt worden.

Nach der Einnahme von Paris im Jahre 1814 kehrte die Quadriga nach Berlin zurück, und zwar feierte die Trophäe einen Triumphzug von der Seine nach der Spree. Ueberall heftete das Volk dem Wagen seiner Göttin Inschriften nebst Blumen, Bändern und Kränzen an. Ein Buch dieser Inschriften, in der Bibliothek des Prinzen Alexander von Preußen befindlich, enthält 60 enggedruckte Oktavseiten, Kern- und Sinnsprüche, Ergüsse in Prosa und Versen. Auf sechs Wagen, deren größter mit 9 Pferden bespannt war, wurde die Siegesgöttin durch französische Fuhrleute unter Bedeckung von etwa 30 preußischen Kriegern wieder nach Berlin geführt. Wir entnehmen diese Mittheilungen einem mit romanhaften Elementen reichversetzten historischen Gemälde „Die Quadriga, ihre Zeit und ihre Meister“ von Elise Schmidt (Berlin, 1888), in welchem der Kupferbildner Jury, seine Familie und Schadow selbst die Hauptrolle in der theils geschichtlich überlieferten, theils freierfundenen Handlung spielen.


Das hygienische Schulkleid. Die englische Bewegung für Kleiderreform der Mädchen und Frauen, über welche wir vor einiger Zeit berichteten, steht nicht vereinzelt da, sondern macht sich schon seit einigen Jahren in Schweden und Norwegen fühlbar, wo die weibliche Thätigkeit in gelehrten und geschäftlichen Berufsarten, sowie die Gleichstellung beim Universitätsstudium längst durchgeführt ist. Ein Verein gebildeter Frauen in Stockholm und Christiania hat in Uebereinstimmung mit Aerzten und Professoren den Grundsatz aufgestellt, daß angesichts des heute auch an die Frau herantretenden Kampfes ums Dasein die Toilettenfrage nicht mehr ihr Denken ausfüllen darf, daß sie eine einfache, billige und vor allem praktische und hygienische Kleidung haben muß. Der schwedische Reformverein geht minder radikal vor als der englische; er läßt vorerst die äußere Hülle noch bestehen und wendet sich der Reform der Unterkleider zu, welche, den Bedürfnissen des nordischen Klimas entsprechend und in Rücksicht auf die vielfachen Sportübungen der dortigen Mädchen: Schlittschuhlaufen, Eissegeln, Fahren auf Schneeschuhen bei 20 Grad Kälte, warm und doch leicht sein sollen. Deshalb schlägt der Verein vor, die mehrfachen der freien Bewegung hinderlichen Unterröcke abzuschaffen und statt ihrer unter dem Blousenoberkleid mit fußfreiem Rock ein paar warme bequeme Beinkleider zu tragen. Ein locker sitzendes Leibchen als Ersatz des Korsetts, Schuhe mit niedrigen Absätzen vervollständigen das „hygienische Kleid“, in welchem sich ohne Zweifel Kinder und ganz junge Mädchen viel behaglicher befinden werden als in ihrer bisherigen, knapperen Tracht. Ob die Reformbestrebungen aber bei der großen Frauenschar Anklang finden, welche heute Modebazars und Putzläden füllt und immer das Neueste verlangt?

Das ist eine große Frage, welche wir im Hinblick auf die Geschichte der Moden und die Gesetze der Menschennatur nicht so unbedingt zu bejahen wagen, wie die feurigen Vorkämpferinnen der Reform.


Panoramenkarten der Zukunft. Die Rundschau, welche ein Aussichts- oder Höhenpunkt bietet, wurde bisher, soviel mir bekannt ist, stets nur in Längenflächen, aus bandartigen Blättern, gezeichnet. Diese Darstellungsart entspricht aber durchaus nicht der natürlichen Anlage dieser Ansichten, welche doch in einem Kreise rings um uns liegen. Unser Auge, unser Blick braucht sich gewissermaßen nur um seine eigene Axe zu drehen, so schauen ihm ja all die berückenden Bilder, welche in kreisförmiger Fläche uns umgeben, entgegen. eine Panoramenkarte, welche uns diese im Kreise liegenden Ansichten, diese Rundschaubilder, auf bandartigen Blättern zeigt, kann, selbst wenn sie auf das Gewissenhafteste ausgeführt ist, doch nur in geringerem Maße nützlich werden und wird namentlich dem ungeübten Kartenleser oder demjenigen, der zum ersten Male die Aussicht von einem bestimmten Höhenpunkte betrachtet, kaum große Aufklärung über die einzelnen sich ihm zeigenden Bergspitzen,

  1. Vermutlich Pierre Daru (1767–1829), französischer Schriftsteller, Historiker, Militär- und Staatsbeamter
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_467.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2024)
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