Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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Wolfgang lächelte und schob mit einer scheinbar zufälligen Bewegung seinen Sessel etwas näher heran.
„Es würde mich sehr freuen, wenn ich auch als Architekt Ehre einlegte mit meinem Werke. Es ist ja eigentlich nicht mein Fach, aber es handelte sich um Ihren Sommersitz, mein Fräulein, und den wollte ich keiner andern Hand überlassen. Ich erbat und erhielt von dem Herrn Präsidenten das Recht, das Bergschlößchen zu erbauen, das, wie er mir mittheilte, zu Ihrem ausschließlichen Eigenthum bestimmt ist.“
Der Hinweis war deutlich genug und auch das von dem Vater ertheilte Recht wurde leise und doch merklich hervorgehoben; aber die junge Dame erröthete weder dabei, noch gerieth sie in Verwirrung; sie sagte nur in ihrer matten gleichgültigen Weise:
„Ja, Papa hat mir die Villa zum Geschenk bestimmt; deshalb soll ich sie auch nicht eher sehen, als bis alles vollendet ist. Es war sehr freundlich von Ihnen, Herr Elmhorst, den Bau zu übernehmen.“
„Bitte, loben Sie mich nicht so unvorsichtig,“ fiel Wolfgang rasch ein: „Es war im Gegentheil sehr egoistisch, daß ich mich zu der Aufgabe drängte; denn jeder Baumeister fordert schließlich seinen Lohn, und meine Forderung wird Ihnen vielleicht allzu hoch erscheinen. Darf ich sie trotzdem aussprechen, eine Bitte aussprechen, die mir schon lange am Herzen liegt?“
Alice hob langsam die großen braunen Augen zu ihm empor; es war ein fragender, beinahe trauriger Blick, der in den schönen energischen Zügen des Mannes irgend etwas zu suchen schien. Dort stand allerdings lebhaft gespannte Erwartung, aber weiter auch nichts – und die fragenden Augen verschleierten sich wieder unter den langen Wimpern, ohne daß eine Antwort erfolgte.
Wolfgang schien das gleichwohl als eine Ermuthigung anzusehen; er erhob sich und trat an den Sessel des jungen Mädchens, während er fortfuhr:
„Sie ist kühn, diese Bitte, ich weiß es, aber ‚mit dem Kühnen ist das Glück!‘ Das sagte ich einst dem Herrn Präsidenten, als ich mir die erste Vorstellung bei Ihnen erbat; das ist mein steter Wahlspruch gewesen, und er soll es auch heute sein – wollen Sie mich anhören, Alice?“
Sie neigte leicht das Haupt und widerstrebte auch nicht, als er ihre Hand faßte und sie an seine Lippen zog. Er sprach weiter. Es war ein Antrag in aller Form, und er wurde in ehrfurchtsvoller ritterlicher Weise gestellt, während die klangvolle Stimme beredt genug die Worte unterstützte. Nur die Wärme fehlte darin; es war eine Bewerbung, keine Liebeserklärung.
Alice hörte schweigend, aber ohne Ueberraschung zu; es war ihr längst kein Geheimniß mehr, daß Elmhorst um sie warb, und sie wußte auch, daß ihr Vater, der sich anderweitigen Bemühungen gegenüber sehr ablehnend verhielt, gerade ihn begünstigte. Er gestattete dem jungen Manne einen Verkehr und eine Vertraulichkeit in seinem Hause, deren sich kein anderer rühmen durfte, und hatte schon verschiedene Male in Gegenwart seiner Tochter nachdrücklichst erklärt, Wolfgang Elmhorst habe eine bedeutende Zukunft vor sich und das gelte ihm unendlich mehr als die Wappenschilder vornehmer Herren, die mit fremdem Gelde den verblichenen Glanz ihres Namens wieder herstellen wollten. Alice selbst war viel zu passiv, um in diesem Punkte einen eigenen Willen zu haben; man hatte es ihr so auch von frühester Jugend an eingeprägt, daß eine wohlerzogene junge Dame sich nur nach Bestimmung der Eltern vermählen dürfe, und sie hätte in diesem so ganz korrekten Antrage sicher nichts vermißt, wenn Wally nicht auf die Idee gekommen wäre, sie feierlichst zum Schutzgeist ihrer Liebe zu erheben.
Es hatte doch so ganz anders geklungen, das Flüstern und Plaudern, das vorhin aus dem Erker zu der Lauschenden herüberdrang, dies Kosen, Trotzen, Schmeicheln des übermüthigen Mädchens, das gleichwohl mit ganzer Seele an dem viel älteren ernsten Manne hing! Und welche überströmende Zärtlichkeit kam von seinen Lippen! – Hier warb man respektvoll um die Hand der reichen Erbin, nur um ihre Hand, von dem Herzen war gar nicht die Rede gewesen!
Wolfgang hatte geendet und harrte auf Antwort; jetzt beugte er sich nieder und fragte vorwurfsvoll:
„Alice – haben Sie mir gar nichts zu sagen?“
Alice sah wohl ein, daß sie irgend etwas sagen müsse; aber sie war es nicht gewohnt, selbständig zu entscheiden, und ihre Antwort klang denn auch so, wie es einem Zöglinge der Frau von Lasberg zukam.
„Ich muß vor allen Dingen mit meinem Papa sprechen, was er bestimmt –“
„Ich komme soeben von ihm,“ fiel Elmhorst ein, „und ich komme mit seiner vollen Zustimmung und Erlaubniß. Darf ich ihm mittheilen, daß meine Bitten und Wünsche Erhörung gefunden haben? Darf ich ihm meine Braut zuführen?“
Alice sah auf, ebenso fragend und bang wie vorhin, dann erwiderte sie leise:
„Sie werden viel Nachsicht mit mir haben müssen. Ich bin oft und schwer krank gewesen in meinen Kinderjahren, und das liegt noch jetzt auf mir wie ein Druck, den ich nicht abwerfen kann. Sie werden auch darunter leiden, und ich fürchte –“
Sie brach ab, aber es lag etwas kindlich Rührendes in ihrem Ton, in dieser Bitte um Nachsicht aus dem Munde der jungen Erbin, die mit ihrer Hand einen fürstlichen Reichthum zu vergeben hatte. Wolfgang mochte das fühlen; denn zum ersten Mal während der ganzen Unterredung brach etwas wie Wärme aus seinem Innern hervor.
"Sprechen Sie nicht weiter, Alice! Ich weiß es ja, daß Sie eine zarte Natur sind, die behütet und geschützt werden muß, und ich werde Sie schützen vor jeder rauhen Berührung des Lebens. Vertrauen Sie mir, legen Sie Ihre Zukunft in meine Hand und ich verspreche es Ihnen bei meiner –“ Liebe hatte er sagen wollen; aber die Lüge wollte nicht über die Lippen des stolzen Mannes, der wohl berechnen, aber nicht heucheln konnte, er vollendete langsamer – „bei meiner Ehre, Sie sollen es nie bereuen!“
Die Worte klangen fest und männlich und es war ihm ernst damit. Das empfand auch Alice; willig legte sie ihre Hand in die seinige und duldete es, daß er sie in die Arme schloß. Die Lippen des Bräutigams berührten zum ersten Male die ihrigen; er sprach ihr seinen Dank, seine Freude aus, nannte sie seine theure Braut, kurz, die Verlobung vollzog sich in aller Form. Es fehlte nur eine Kleinigkeit dabei, jenes jubelnde Geständniß, das die kleine Wally vorhin zwischen Lachen und Weinen ausgesprochen hatte: „Ich habe Dich so lieb, so unendlich lieb!“
Die Festräume des Nordheimschen Hauses strahlten im hellsten Lichtglanze, man beging zugleich mit dem Geburtsfeste der Tochter deren Verlobungsfeier. Es war eine überraschende Neuigkeit für die Gesellschaft gewesen, die trotz aller Gerüchte und Klatschereien doch niemals ernstlich an diese Verbindung geglaubt hatte. Es war ja auch unerhört, daß ein Mann, der notorisch zu den Reichsten des Landes gehörte, die Hand seines einzigen Kindes einem jungen Ingenieur zugestand, der bürgerlich, aus den einfachsten Verhältnissen hervorgegangen und gänzlich vermögenslos, nichts besaß, als sein Talent, das ihm allerdings die Zukunft verbürgte.
Daß es sich hier um keine Herzensgeschichte handelte, wußte man; Alice galt überhaupt für sehr beschränkt und keiner tieferen Neigung fähig. Trotzdem war sie eine Partie ersten Ranges und die Nachricht ihrer Verlobung rief manche bittere Enttäuschung hervor in aristokratischen Kreisen, wo man sich um die Erbin bemüht hatte. Dieser Nordheim zeigte wieder einmal, daß er die Vorrechte gar nicht zu schätzen verstand, die sein Reichthum ihm gewährte. Er hätte seiner Tochter eine Grafenkrone damit erkaufen können; statt dessen suchte er sich den Schwiegersohn unter den Beamten seiner Bahngesellschaft. Man war förmlich entrüstet darüber; dennoch kam alles zum Feste, was überhaupt geladen war. Man wollte doch den Glückspilz kennenlernen, der all den vornehmen Bewerbern den Rang abgelaufen hatte und den das Schicksal so plötzlich auf die Höhen des Lebens erhob, indem es ihn zum dereinstigen Herrn über Millionen machte.
Es war kurz vor dem Beginn des Festes und soeben trat der Präsident mit dem Bräutigam in den großen Empfangssaal. Er war augenscheinlich in bester Laune und im besten Einvernehmen mit seinem künftigen Schwiegersohn.
„Du mußt Dich ja heute erst der Residenzgesellschaft vorstellen, Wolfgang,“ sagte er. „Bei Deinen kurzen flüchtigen Besuchen hast Du immer nur in unserer Familie verkehrt. Jetzt knüpfen sich auch für Dich all diese Beziehungen an, da Ihr Euren künftigen Wohnsitz hier nehmen werdet. Alice ist an das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_470.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)