Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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„Ach so – Wiebkes Besuch!“ dachte ich und las weiter. Nach einer Weile drang der Ton von Schritten, die auf der Wendeltreppe im Aufsteigen widerhallten, durch die große Stille an mein Ohr. Nun kommen sie nach oben. „Müssen einem die auch noch die schöne Stille des Nachmittags stören! Ich mag jetzt keine alltägliche Unterhaltung machen!“ sagte ich mir. Schnell legte ich mein Buch auf den Stuhl und schlüpfte in meine Kammer.
Kaum war ich eingetreten, da kamen die Schritte an meiner Thür vorbei. Ich hörte Wiebkes Stimme. „Hier wohnt jetzt ein Sommergast, ein Herr aus dem Binnenlande –“ da traten sie schon auf die Plattform hinaus. Verdrießlich lehnte ich am Fenster. Da rief Wiebke mit einem Male laut und eifrig. „Herr Amtsrichter, kommen Sie schnell; hier unterm Thurm spielt ein ganzer Schwarm von Tümmlern!“
„So, da haben wir’s!“ dachte ich – „nun muß es doch sein! Nun bin ich verrathen!“
Langsam öffnete ich die Thür und ging hinauf. Aber fast wäre ich wieder hinuntergetaumelt: vor mir, keinen Fuß von mir entfernt, stand – Hildegard am eisernen Geländer.
„Fräulein Starke!“ stammelte ich.
Sie war blutroth geworden.
„Sehen wir uns hier wieder?“ sagte sie. Ja, das war ihre Stimme.
Da wandte sie sich an den Herrn, der erstaunt auf uns schaute. „Ein alter Bekannter aus jungen Tagen,“ erklärte sie mit schwachem Lächeln „Herr Rüdiger, Jurist –“
„Mein Name ist Baumann!“ stellte man Nachbar von Stagersand sich vor; „ich glaube, ich habe schon das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen in Begleitung unserer liebenswürdigen Führerin hier.“
Ich verbeugte mich, ohne etwas erwidern zu können.
„Sehen Sie dort, Herr Baumann!“ rief Wiebke und zeigte hinab– „nein, da schwimmen immer mehr! So viele sieht man hier selten!“
Schnell wandte er sich und trat zu ihr. Hildegard und ich standen allein und sahen einander stumm in die Augen. Ihr Athem ging schnell. Mich faßte etwas wie Schwindel. Ich ergriff die eiserne Stange des Geländers.
„Hildegard!“ flüsterte ich.
Sie schüttelte leicht das Haupt. Die beiden andern standen jenseit der Laterne. Ich that besinnungslos einen Schritt vor – sie zurück. Da stieß sie an den Feldstuhl, er fiel um und das Buch auf den Boden. Das kleine rothe Lesezeichen lag auf dem dunklen Asphalt. Sie erblickte es und zuckte zusammen. Ich nahm es auf.
„Kennst Du das, und weißt Du, was Du mir dazu schriebst?“ raunte ich.
Sie sagte nichts, aber farblose Blässe lag auf ihrem Gesicht. Da trat Baumann hinter der Laterne hervor. „Hildegard, was fehlt Dir?“ rief er; „Kind, bist Du krank?“
Ich riß den Stuhl auf und sie sank kraftlos darauf nieder. Mir fuhr ein Stich durchs Herz. „Hildegard“ und „Du!“ hatte der fremde Mann gesagt!
„Mir ist unwohl geworden vom Treppensteigen!“ sagte sie mit matter Stimme.
„Ich hole Dir ein Glas von dem guten Portwein unten!“ rief er eilig. „Nein, nein, Fräulein, lassen Sie mich!“ hielt er Wiebke am Arme zurück, „bleiben Sie hier!“ Und hinab polterte er mit schweren Stiefeln.
Ich warf Wiebke einen Blick zu: „Bringen Sie dem Fräulein schnell zuerst ein Glas Wasser aus Ihrer Stube!“
Sie verstand mich und ging.
Ich knieete vor Hildegard und faßte ihre Hände und sah zu ihr auf. Sie lächelte schmerzlich auf mich nieder. „Laß mich los!“ bat sie leise – „zu spät! Er ist mein Verlobter!“
„Und wenn er’s ist – das gilt nicht! Du bist mein gewesen und bleibst mein, und ob ich um Dich kämpfen sollte bis aufs Blut – Hildegard, ich kann Dich nicht wieder lassen!“
Sie machte schnell ihre Hände los und stand auf.
„Nein, ich bin sein!“ sagte sie mit tiefer Stimme.
„Hildegard, nimm das Wort zurück!“ rief ich und griff wieder nach ihren Händen.
Sie entzog sie mir. Wieder lag der kalte, todte Blick auf mir, der mich an der Tafel getroffen hatte, unerbittlich, streng.
„Du sollst, Du mußt mich hören um unserer süßen, selige, nie vergessenen Liebe willen! – Denke daran, daß ich Deine Lippen geküßt habe! Sag’ mir, wo und wann ich zu Dir kommen darf!“ flehte ich.
„Nirgends und nie!“ antwortete sie fest. „ich bin nicht mehr Herrin über meinen Willen.“
Ich sah sie starr an.
„Ist das Dein letztes Wort, Hildegard?“
„Mein letztes Wort!“ sagte sie fest.
„Nun, dann fahre hin!“ rief ich außer mir, „und los und ledig will ich sein, und wie Du mich vergessen, so will ich Dich vergessen, und kein Erinnern an Dich soll in mir aufwachen – auch dies hier soll im Wind verwehen und in den Wellen untergehen! Wenn Du mir’s wiederbringst, dann will ich Dich wieder in mein Herz fassen!“ Und ich knitterte das rothe Seidenband in der Hand zusammen und warf es hinaus über das Geländer, daß es in der stillen Luft langsam zum Wasser niederflatterte. Sie sah ihm nach, von mir abgewandt.
„Leb’ wohl!“ sagte sie leise und reichte mir die Hand.
Ich gab ihr die Hand nicht. Und ihr Gesicht konnte ich auch nicht sehen. Da nahten die Schritte von unten und laute Stimmen – Herr Baumann kam mit Wiebke langsam die Stiegen herauf. Ich hörte Wiebke lachen.
„Ach, Du siehst ja wieder ganz roth und wohl aus!“ rief er laut, als sie sich zu ihm wandte. „Da hätte ich mir ja die Chimborassoreise sparen können; willst Du trinken?“ Sie netzte die Lippen und gab ihm das Glas zurück.
„Nun, dann auf Ihre Gesundheit, Sie Nixe der See!“ sagte er und warf Wiebke einen langen Blick zu. Sie wandte sich erröthend ab. Hildegards Blick lag auf ihr.
„Nun wollen wir aber hinuntergehen!“ mahnte er; „dies Panorama mit Salzwasser auf allen Seiten ist auf die Dauer langweilig. Ich begreife nicht, verehrter Herr, wie Sie sich hier in dieser Wüste allein haben ansiedeln können. Indessen auch die Sahara hat Oasen, wie ich sehe!“ setzte er leise hinzu. „Nicht wahr?“ Er blinzelte mir zu. Ich muß ihn sehr zornig angesehen haben, denn schnell fuhr er in verbindlichem Tone fort. „Ich hoffe, daß wir gute Nachbarschaft halten werden; man ist hier so sehr auf einander angewiesen. Nicht wahr, Hildegard?“
„Gewiß!“ gab sie zurück; „meine Schwiegereltern werden sich freuen, Sie kennen zu lernen! Adieu!“
Sie wollte gehen – plötzlich reichte sie mir die Hand. Ich mußte ihr jetzt die meine wohl geben – da fühlte ich einen kräftigen Druck der kleinen Finger, daß es mich wie mit elektrischem Schlag durchzuckte – und dann war sie verschwunden. Ich ging wie ein Träumender in mein Zimmer und warf mich mit dem Gesicht aufs Bett. So lag ich im Kampf und Krampf meiner Seele, bis die Sterne am Himmel standen. War’s nun endlich vorbei? „Ja!“ sagte ich laut; „nein!“ rief die Stimme meines Herzens, „nie!“
Du fragst mich, warum ich jetzt nicht mein Bündel schnürte und auf und davon ging, und meinst, nun wär’s Zeit gewesen? Ja, ich dachte auch daran und das Versprechen, das ich Wiebke im Boot gegeben, hätte mich nicht am Reisen gehindert; aber etwas anderes that es: mein Stolz! Ich wollte nicht als Ausreißer in Hildegards Augen dastehen. War doch, trotz aller „Neins“, die ich dem Ja entgegensetzte, in meinem Herzen noch ein tief verborgen Kämmerlein, in dem ein Funken von Hoffnung glühte? War’s vielleicht jener Händedruck, der mich zurückhielt? Ich weiß es selbst nicht. Aber ich blieb und fuhr mit Wiebke zum Fischen weit hinaus in See – aber nie dem Lande zu.
Ich sagte, ich fuhr mit Wiebke. Sie trat zu mir, als ich am nächsten Nachmittag das Boot klar machte, und fragte mit ihrem lieblichsten Lächeln: „Darf ich mit Ihnen fahren? Es ist so schrecklich langweilig und einsam hier!“
Da stand sie auf dem Felsen über mir, und wie ich hinaufsah, mußte ich mir wieder eingestehen. „reizend!“ Aber auch: „nimm sie ruhig mit! Es ist kein Wagniß mehr; auch jetzt nicht, und jetzt gerade nicht! Wo Dir das in unnahbare Ferne gerückt ist, wonach Du sehnend die Arme ausstreckst, da hat das, was Du mit der Hand erreichen kannst, keinen Werth – gar keinen!“ Und Rücksichten zu nehmen hatte ich ja auch auf
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_496.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)