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Seite:Die Gartenlaube (1888) 498.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

niemand. So fuhren wir zu zweit hinaus. Es waren wunderliche Stunden, wie wir draußen den Bootsanker fallen ließen und die Buttangel auswarfen: ringsum die heilige Stille der See, über uns Sonnengold und Himmelsblau, unter uns das Glitzern und Funkeln und Rauschen im Wasser – da schien mir das ganze Leben mit all seinem Leid und all seinem Glück, mit all seiner Versuchung und seiner Ehre wie an großer, bunter Traum. Ich lag hinten im Boot; auf der ersten Ducht saß Wiebke und sah auf mich nieder. „Wiebke, bitte, singen Sie!“ Ich schloß die Augen und sie erhob die Stimme. Friesenlieder in Moll sang sie über mir; wie der Gesang der Meerfrauen klang es über dem Wasser – grenzenlose Wehmuth packte mich und meine Seele ging auf die Wanderschaft. Ich vergaß Angel und Meer und Mädchen, bis dieser Seelenschlaf und Traum in leiblichen Schlummer überging. Da fuhr ich auf: über mich gebeugt saß Wiebke und ihr Athem fuhr über mein Gesicht. Ich richtete mich auf; sie setzte sich ohne Verwirrung auf ihren Platz und fühlte nach der Angelschnur. „Wiebke, warum weckten Sie mich?“

„Sie wachten von selbst auf!“

„Wiebke, sag’ die Wahrheit!“

„Die wissen Sie!“ sagte sie ruhig und sah mich an.

„Und was sollte wohl daraus werden, Wiebke?“

„Gar nichts! Denken Sie, daß ich nicht weiß, wie’s in Ihnen aussieht? Soll ich’s Ihnen sagen?“ Sie beugte sich wieder gegen mich. „Sie lieben die Dame von drüben und Ihr ganzes Herz gehört ihr; aber sie kann Ihnen nicht gehören. Und Sie sind zu ehrlich, um mit einem Mädchen, wie ich bin, zu spielen – und deswegen, weil ich mich bei Ihnen so sicher weiß wie in meines Vaters Schoß, darum habe ich Sie so lieb, darum sage ich es Ihnen auch – und heucheln kann ich nicht! Werden Sie nun noch abends zu uns kommen und mich wieder ins Boot nehmen?“ bat sie weich.

„Abends komme ich zu Euch – aber ins Boot, Wiebke – Wiebke – nein!“ rief ich plötzlich. „Geben Sie mir die Hand, wir wollen die sechste Bitte nicht vergessen!“ Es kam wie eine liebe, unvergeßliche Stimme übers Meer von den Dünen her geflogen, die dort fern auftauchten: "Führe uns nicht in Versuchung!“

Sie reichte mir mit abgewandtem Gesicht die Hand.

Am nächsten Tage fuhr ich allein. Ich hatte keine Freude am Fischen. Sollte ich umkehren? – Ich blieb draußen. Aber ich sah wenig nach der Angel; ich schaute mit meinem Kieker hinüber nach dem Land, da wo zwischen den gelben Sandhügeln ein rother Punkt erschien: das Ziegeldach ihres Hauses. Und ich sah, wie ein Boot vom Strande absetzte und auf den Leuchtthurm zusteuerte. Bis mir die Augen weh thaten, folgte ich ihm unablässig: wer saß darin? Es war keine Dame dabei; und das wäre ja auch unmöglich gewesen! Und doch seufzte ich auf, wie über eine versinkende Hoffnung. Aber den gelben Strohhut da, den kannte ich, der gehörte ihrem Verlobten. Ich hißte das Segel und fuhr hinaus, bis ich kaum noch den Leuchtthurm gewahren konnte; dann kehrte ich um; jetzt mußte er fort sein.

Wiebke kam mir, eine Karte in der Hand, entgegen; „Arthur Baumann, königlicher Domänenpächter“, stand darauf.

„Der Herr ließ bitten, ob Sie morgen vormittag nicht zu Hause bleiben wollten; er sehne sich gar zu sehr nach Umgang! Er wollte mit mir anbinden und machte so verliebte Augen, aber ich mag ihn nicht! Ein verlobter Mann, pfui!“

Sie warf den Kopf in den Nacken und ging hinaus. Die Aufforderung abzulehnen, wäre ungezogen gewesen und ich blieb. Allerdings nicht sehr gern. Ich haßte den Burschen von ganzer Seele. Mehr aber noch als die Furcht, gegen die Sitte der Menschen zu verstoßen, trieb mich eine Art unwiderstehlicher Neugierde, ihn kennen zu lernen, der da im Ueberfluß leben sollte, wo ich, ein Bettler, blutarm und hoffnungslos am Wege stand.

Um zehn Uhr meldete mir Wiebke, der fremde Herr komme. Ich nickte ihr über der Arbeit zu, bei der ich saß.

„Soll ich ihm sagen, daß Sie kommen?“ fragte sie.

„Ja!“

Wiebke huschte hinaus. Ich machte mich fertig und folgte ihr zu Herrn Baumann, der sehr erfreut that.

Wiebke brachte eine Flasche von dem guten Portwein. Ich folgte Baumanns Blick, als sie den edlen Trank vor uns hinstellte. Unablässig lag sein Auge mit geradezu begehrlichem Ausdruck auf ihr. Sie hielt die langen Wimpern gesenkt. Dann ging sie hinaus.

„Donnerwetter, Herr Amtsrichter,“ sagte er und hob sein Glas gegen meines, „Sie haben sich hier aber vorzüglich einquartiert.“ Draußen erklang gerade Wiebkes Stimme, die in der Küche sang. „Alles , was dazu gehört,“ sagte er aufhorchend; „recht so, Sie sind Junggesell und können das Leben genießen! ,Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang – der bleibt an Narr sein Leben lang!‘ Prosit!“

Ich hatte Lust, ihm meinen Wein ins Gesicht zu gießen; aber ich mußte mich wohl bezwingen und stieß leicht mit ihm an. „Sie irren sich!“ sagte ich bestimmt. „Lassen wir dies Thema!“

„Ja wohl, Sie kleiner Schäker Sie!“ drohte er mit dem Finger; „na, nur keine Sorge, mache Ihnen keine Konkurrenz, bin Witwer und verlobter Mann! Auf das Wohl denn meiner reizenden Braut! – Sie kennen sie ja auch und sogar schon von früher her! Pröstchen, der Wein ist vorzüglich!“ Wieder stieß ich mit ihm an, aber diesmal war’s, als ob eine andere Hand die meine führte, so klirrte mein Glas gegen seines, daß dieses zersplitternd brach und der Wein über den Tisch floß.

„Sie meinen’s aber ehrlich!“ rief er aufspringend; „da hilft Ihnen nun nichts, da gilt die nächste Flasche als Strafe!“

Wiebke trat ein. „Ja, sehen Sie ’mal, was Ihr Herr Amtsrichter hier gemacht hat. Machen Sie’s nur ’mal wieder ein bißchen rein, Sie reizendes Kind –“

Wiebke wurde roth und sah mich an; dann wischte sie schnell, beständig unter dem Feuer seiner Blicke, den Tisch ab und ging.

Vertraulich klopfte er mir aufs Bein. „Nun leugnen sie noch!“ lachte er; „der Blick eben, den Sie kriegten! Das sind ja ein Paar ganz famose Augen, welche die im Kopf hat –“

„Wollen wir nicht von diesem Thema absehen?“ fragte ich sehr bestimmt.

„Na, nun thun Sie mir den einzigen Gefallen und werden Sie nicht ungemüthlich! Meinetwegen; aber ich habe nun einmal trotz meiner Kurzsichtigkeit für Frauenschönheit ein Auge; daß ich einen guten Geschmack habe, das hat Ihnen doch auch meine eigene Wahl bewiesen. Sie ist doch reizend, nicht wahr? Und so tüchtig! Ich sage Ihnen, meine vier Kinderchen bekommen eine exemplarische Stiefmutter. Na, Sie trinken ja aber gar nicht! Prost! Ein junger Mann wie Sie darf nicht so traurig aussehn; was haben Sie denn?“

Ja, mir ging Stich auf Stich durchs Herz! Aber ich war jetzt d’rin – ich mußte durch. Nun trank ich mit ihm, um seine Zunge zu lösen.

„Wenn’s nicht aufdringlich ist, Herr Baumann, dann möchte ich Sie bitten, mir zu erzählen, wie Sie das junge Mädchen kennen gelernt haben, für das ich mich selbstverständlich interessire, weil ich sie als Student gekannt und verehrt habe.“

„Das kann ich mir wohl denken! Nun – sie war viele Jahre Gesellschafterin meiner alten Mama, oder vielmehr, sie stand dem ganzen Hauswesen mit wirklich rührender Treue vor. Das gefiel mir; das war etwas für mich und meinen großen Hausstand. Und dazu die liebreizende Erscheinung, das echt Weibliche in ihrem ganzen Sichgeben, das goldene Gemüth und die kräftige Entschiedenheit ihres Charakters; das zog mich an. Und so habe ich mich mit ihr verlobt und bin ein sehr, sehr glücklicher Bräutigam, und ich kann Ihnen sagen, die Aussicht, in wenigen Monaten solch ein Weibchen heimzuführen, die ist höchst angenehm! Ich bin wieder ganz jung im Herzen geworden, seit sie mir das Jawort gab – auf einer Landpartie, im Walde war’s, unter einer grünen Tanne – Herr, was haben Sie denn, was finden Sie Lächerliches daran?“ unterbrach er sich plötzlich in einiger Entrüstung.

Ich dachte an einen anderen Wald und eine andere Tanne, unter der an rother Fliegenpilz gestanden hatte! Hatte sie auch daran gedacht? Und doch „Ja“ gesagt?

„Sie wissen das so famos lebendig zu schildern,“ antwortete ich ihm, „das führt uns ganz notwendig zu der zweiten Flasche, die ich zu leisten habe; trinken Sie aus!“

Es kam wieder einmal etwas von der tollen Stimmung über mich, die auf der Germanenkneipe nach jenem Tage der ersten Trennung in mir auflohte. Ich hob mein Glas gegen ihn „Prost, was kann das schlechte Leben helfen!“ und während ich trank, zog mir ein Verslein durch den Sinn, ein böses:

„Da flucht’ ich den Weibern und reichen Halunken
Und mischte mir Teufelskraut in den Wein –!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_498.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)
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