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Seite:Die Gartenlaube (1888) 502.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

hatte. „Ich habe nur noch einige Tage zur Verfügung bis zu meiner Abreise.“

„Sie wollen abreisen? So kurz nach Ihrer Verlobung?“

„Ich muß, denn ich kann bei dem jetzigen Stande unserer Arbeiten keinen längeren Urlaub in Anspruch nehmen.“

„Sind sie damit einverstanden, gnädiges Fräulein?“ wandte sich Waltenberg an Alice. „Ich sollte meinen, die Braut hat in solchem Falle doch das erste Recht.“

„Das erste Recht hat die Pflicht, Herr Waltenberg – in meinen Augen wenigstens.“

„Nehmen Sie es so ernst damit – auch jetzt noch?“

Wolfgangs Augen blitzten auf, er verstand dies „auch jetzt noch?“ und verstand auch den Blick, der dem seinigen begegnete; er hatte ihn so erst vor wenigen Stunden in einem andern Antlitz gesehen. Der stolze Mann biß die Zähne zusammen; zum zweiten Male wurde er heute daran erinnert, daß er für die Gesellschaft nur der „künftige Gemahl von Alice Nordheim“ war, der sich mit dem Gelde seiner Braut von jeder übernommenen Verpflichtung loskaufen konnte.

„Für mich ist jede Pflicht eine Ehrensache,“ erwiderte er kalt.

„Ja, wir Deutsche sind Fanatiker der Pflicht,“ sagte Waltenberg nachlässig. „Ich habe diese nationale Eigenthümlichkeit einigermaßen abgelegt in der Fremde. – O mein gnädiges Fräulein, schon wieder dieser strafende Blick! Ich werde mich noch unmöglich machen bei Ihnen mit meiner unseligen Aufrichtigkeit; aber bedenken Sie, daß ich aus einer ganz anderen Welt komme und nach europäischen Begriffen gänzlich verwildert bin.“

„In Bezug auf Ihre Ansichten scheinen Sie das allerdings zu sein,“ versetzte Erna scherzend, aber doch mit einiger Schärfe.

Er lächelte, und sich auf die Lehne des Divans stützend, beugte er sich tiefer herab.

„Ja, ich muß erst wieder zum Menschen und braven Deutschen erzogen werden. Vielleicht nimmt sich irgend jemand barmherzig meiner an. Glauben Sie, daß es der Mühe lohnen würde?“

„Alice, hältst Du es wirklich aus in dieser schwülen, erstickenden Temperatur?“ fragte Wolfgang mit kaum verhehlter Ungeduld. „Ich fürchte, sie ist Dir nachtheiliger als die Hitze in den Sälen.“

„Aber dort ist ein solches Gewühl von Menschen,“ warf Alice ein. „Bitte, Wolfgang, laß uns noch bleiben!“

Er preßte die Lippen zusammen, konnte aber bei dem so deutlich kund gegebenen Wunsche seiner Braut nichts anderes thun als sich fügen.

„Es ist Tropenluft,“ sagte Waltenberg achselzuckend.

„Ja wohl! Erdrückend und entnervend für jedes Wesen, das gewohnt ist, frei zu athmen.“

Die Aeußerung klang beinahe schroff, aber der, dem sie galt, schien es nicht zu bemerken; sein Auge hing noch immer an Erna, während er erwiderte:

„Die Palmen und Orchideen fordern sie doch! Sehen Sie nur, gnädiges Fräulein, sie entzücken das Auge selbst hier in der Gefangenschaft. In der mächtigen Tropenwelt, wo sie in voller Freiheit aufragen und ranken, ist der Anblick ein überwältigender.“

„Ja, sie muß schön sein, diese Welt!“ sagte Erna leise und ihr Blick irrte träumerisch über die fremdartige Blüthenpracht hin, die ringsum aus dem Grün hervorleuchtete und den ganzen Wintergarten erfüllte mit ihrem süßen, aber betäubenden Duft.

„Sie waren lange im Orient, Herr Waltenberg?“ fragte Alice in ihrer kühlen theilnahmlosen Art.

„Jahrelang, aber ich bin so ziemlich in allen Welttheilen zu Hause und kann mich rühmen, sogar bis in die Tiefen von Afrika eingedrungen zu sein.“

Wolfgang wurde aufmerksam bei den letzten Worten.

„Als Mitglied einer wissenschaftlichen Expedition vermuthlich?“ warf er hin.

„Nein, das hat für mich nie einen Reiz gehabt. Ich hasse nichts so sehr als den Zwang, und bei solchen Unternehmungen kann man nicht seine persönliche Freiheit wahren. Man ist gebunden an das Reiseziel, an die Gefährten, an alles Mögliche, und ich bin es gewöhnt, darin nur meinem eigenen Willen zu folgen.“

„Ah so!“ Um die Lippen Wolfgangs spielte ein halb verächtliches Lächeln. „Ich bitte um Verzeihung; ich glaubte wirklich, Sie seien als Pionier der Wissenschaft nach Afrika gegangen.“

„Mein Gott, wie ernsthaft Sie das alles nehmen, Herr Elmhorst,“ sagte Waltenberg spöttisch. „Muß denn jedes Leben notgedrungen eine Arbeit sein? Ich habe niemals gegeizt nach dem Ruhm des Forschers; ich habe die Freiheit und Schönheit der weiten Welt in vollen Zügen getrunken und mir immer neue Kraft und neue Jugend geschöpft aus diesem Zauberquell. Wenn ich anfangen sollte, ihn nutzbar zu machen, wäre seine Poesie für mich dahin.“

Elmhorst zuckte die Achseln und in einem anscheinend gleichgültigen Tone, in dem sich gleichwohl etwas Verletzendes barg, entgegnete er:

„Jedenfalls eine sehr bequeme Art, sich das Leben einzurichten! Mein Geschmack wäre es trotzdem nicht, und es ist wohl überhaupt nur den wenigsten möglich. Man muß dazu nothwendigerweise im Schoße des Reichthums geboren sein.“

„So unbedingt nothwendig ist das nicht,“ gab Waltenberg ebenso zurück. „Man kann ja auch durch irgend einen Glücksfall reich werden.

Wolfgang richtete sich empor mit einem so tief gereizten Ausdruck, daß man sah, er hatte eine sehr scharfe Antwort auf den Lippen; aber auch Erna sah das und kam ihm zuvor, indem sie dem Gespräch rasch eine andere Wendung gab.

„Ich fürchte wirklich, mein Onkel muß es aufgeben, Sie wieder bei uns heimisch zu machen,“ sagte sie. „Sie sind so verloren in den Zauber Ihrer Tropenwelt, daß Ihnen in der Heimath alles klein und dürftig erscheint. Ich glaube, nicht einmal unsere Bergwelt vermag es noch, Ihnen Bewunderung abzugewinnen; da aber finden Sie in mir eine entschiedene Gegnerin.“

Waltenberg wandte sich zu ihr; er mochte ihre Absicht errathen und wohl selbst fühlen, daß er zu weit gegangen war.

„Sie thun mir unrecht, mein Fräulein,“ erwiderte er. „Ich habe sie noch nicht vergessen, die heimische Alpenwelt mit ihren hochragenden Gipfeln, ihren tiefblauen Seen und – den holden Gestalten der Sage, die sie bevölkern; diese Erscheinungen,“ hier verschleierte sich seine Stimme, „wie aus Duft und Alpenschnee gewoben mit der weißen, märchenhaften Blume der Gewässer in den blonden Locken!“

Das Kompliment war kühn; aber die Art, wie es gesagt wurde, nahm ihm das Verwegene und die Augen des Mannes strahlten aus in leidenschaftlicher Bewunderung, als sie an der weißen, wie in Schneeduft gehüllten Gestalt des schönen Mädchens hingen.

„Alice, hast Du Dich jetzt erholt?“ fragte Wolfgang laut. „Wir dürfen uns heute wirklich nicht so lange der Gesellschaft entziehen; komm, laß uns in den Saal zurückkehren!“

Die Worte klangen beinahe befehlend; Alice erhob sich folgsam und legte ihren Arm in den seinigen, sie verließen in der That den Wintergarten.

„Herr Elmhorst scheint eine bedeutende Anlage zum Befehlen zu haben,“ sagte Waltenberg sarkastisch, indem er ihnen nachblickte. „Der Ton hatte schon etwas von dem künftigen Herrn und Gebieter, und das am Verlobungstage! Ich finde, Fräulein Nordheim hat eine in mehr als einer Hinsicht überraschende Wahl getroffen.“

„Alice ist eine sehr sanfte, fügsame Natur,“ bemerkte Erna einsilbig.

„Um so schlimmer! Ihr Verlobter scheint gar nicht das Bewußtsein zu haben, daß diese Verbindung allein ihn zu einer Stellung erhebt, auf die er persönlich wohl nie hätte Anspruch machen können.“

Die junge Dame hatte sich erhoben und war zu einer Pflanzengruppe getreten, deren schwere, purpurfarbene Blüthen aus dunklem Grün niederhingen. Erst nach einer sekundenlangen Pause erwiderte sie:

„Ich glaube, Wolfgang Elmhorst ist nicht der Mann, der sich ‚erheben‘ läßt.“

„Und weshalb hätte er denn sonst – Verzeihung, ich möchte keinen Vorwurf gegen Ihren künftigen Verwandten aussprechen.“

Erna antwortete nicht und er schien ihr Schweigen als eine halbe Zustimmung zu betrachten, denn er fuhr ernster fort:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_502.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)
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