Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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offenbarte, welche zusammenwirken, um die kleinen und großen Geister einer Opernpartitur zu Licht und Leben zu erwecken.
Bevor wir aber in eine Schilderung der wechselvollen Phasen einer aufzuführenden Opernnovität entgehen, sei es uns gestattet, den Urhebern einer solchen wenige Worte zu widmen.
Ein Komponist, der eine Oper zu schreiben beabsichtigt, ist ein Mensch, der sich mit musikalischen Heiratsgedanken trägt. Kein ehelustiges Mädchen kann mit größerer Sehnsucht nach einem Lebensgefährten ausschauen, als der Opernkomponist nach einem – Textdichter. Endlich ist das Ziel erreicht, der „Mann“ gefunden und die Verbindung vollzogen, eine Ehe, die allerdings nicht immer „im Himmel“ geschlossen ist.
Mit jener Diskretion, die uns ziemt, ziehen wir einen Schleier über die nun folgenden Flitterwoche oder auch -Monate des glücklichen Paares. Eines Tages hören wir wohl von den Kindern des Hauses: „Bei Xens hat der Storch heute Nacht eine neue Oper gebracht.“
Mit begreiflicher Neugierde eilen die gute Freundinnen und Nachbarinnen herbei, selbstverständlich, um allerlei „Aehnlichkeiten“ an dem Kindlein zu entdecken. Der Komponist, mit dem seligen Lächeln einer jungen Wöchnerin sein Werk betrachtend, denkt indessen nur daran, wer das Neugeborene aus der Taufe heben soll. Er entscheidet sich für das Berliner Opernhaus.
Die Partitur wird bei der Generalintendanz eingereicht; der erste Schritt ins Leben ist gethan. Allein er führt sofort in ein kritisches Fegefeuer; denn über den musikalischen Theil des Werkes sitzt ein Viermänner-Kollegium zu Gericht, während der Regisseur das Libretto auf seinen Goldgehalt zu prüfen hat. Dem Komponisten (er sei denn von hervorragender Bedeutung) bleibt bis zur Entscheidung genügend Zeit, sich in Hoffnungen zu wiegen und – eine neue Oper zu schreiben.
Endlich ist der Tag des Gerichts angebrochen, der Urtheilsspruch gefällt und Triumph! wenn er lautet – die Oper ist angenommen.
Nun werden hundert Kräfte in Bewegung gesetzt, um die Partitur ins Leben einzuführen. Zunächst werden die Stimmen herausgeschrieben, die schwierige Frage der Besetzung geregelt – eine Frage, die schon manchen „ Sängerkrieg“ entzündet hat – und die Künstler mit ihren Aufgaben bekannt gemacht. Gleichzeitig werden vom Regisseur mit all den wichtigen Personen, in deren Hände die „Ausstattung“ der neuen Oper gelegt werden soll, Konferenzen abgehalten. Dekorationsmaler, Kostümiers, Garderoben-, Maschinen- und Beleuchtungsinspektoren, Requisiteure, Lieferanten kommen mit ihren Plänen und Entwürfe angerückt, die Entscheidung des Regisseurs heischend, der die Inscenirung der Novität übernommen hat.
Das Werk ist eingeleitet, der ganze artistische und technische Apparat in Thätigkeit versetzt, und nun überlassen wir alle die Herrschaften ihrer mehr oder minder stillen Arbeit, stören auch Chor und Ballet bei ihre Probe nicht und gedulden uns mehrere Wochen oder auch Monate, bis zur ersten Scenenprobe auf der Bühne des Opernhauses.
„Um 11 Uhr Scenenprobe am Klavier von …“ haben wir auf dem schwarzen Brett des Kastellans gelesen. Neugierig, wie wir sind, finden wir uns schon um ½11 Uhr am äußeren Eingang zur Bühne ein. Wir haben Muße, bis zum Beginn der Probe Beobachtungen anzustellen. Diese beziehen sich auf die in derselben beschäftigten Künstler ersten, zweite und sechsten Ranges. Zuerst bemerken wir von unserem Posten aus nur Theaterarbeiter, die aus dem nahen Depot Dekorationen und sonstige Ausstattungswunder auf die Bühne schaffen, Herrlichkeiten, die im Lichte des Tages allerdings etwas nüchtern aussehen … Gruppen von Chorsängern versammeln sich, welche die Chancen der neuen Oper, die zahlreichen anstrengenden Proben oder die jüngste Verfügung des Generalintendanten besprechen. Die hohe Gestalt dort, die, im Vollgefühl ihres lebenslänglichen Kontrakts, gemessenen Schrittes sich naht, ist der Vertreter der Haremswächter, Priester und Teufel. Schweren Trittes, als müsse er unter der Last seiner Lorbeeren zusammenbrechen, folgt ihm auf dem Fuße der Träger der Heldentenorpartie. Mit jener Herzlichkeit, die nur den Vertretern verschiedener Fächer eigen, begrüßen die Kollegen einander. Die Partitur unter dem Arm, gesellt sich ihnen zu – der Komponist. Mit entzückender Liebeswürdigkeit drückt er „seinen Sängern“ die Hand und erkundigt sich nach ihrem Befinden. Ihr „Befinden“ liegt dem Manne wirklich am Herzen; es ist für den Erfolg seines Werkes geradezu eine Lebensfrage … In scharfem Trabe jagt jetzt der Theaterwagen einher. Eine Anzahl Neugieriger umringt denselben. Der Theaterdiener springt an den Kutschenschlag und –
„Es speit das … geöffnete Haus
Zwei – Primadonnen auf einmal aus.“
Mit anmuthigem Kopfnicken nach rechts, nach links, schweben die Künstlerinnen hinein in den Theaterraum.
Die Anfangsstunde der Probe ist inzwischen gekommen; vor dem Theater wird es immer lebendiger, und im Moment, wenn die Gestalt des Regisseurs dort an der Ecke der Hedwigskirche sichtbar wird, ist es für das in der neuen Oper beschäftigte Personal an der Zeit, sich auf die Bühne zu begeben.
Wir dagegen verfügen uns in den völlig dunkeln Zuschauerraum. Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, diesen Saal, den wir in hellster Beleuchtung zu sehen gewohnt sind, in Finsterniß gehüllt, die Logen, die wir nur im Glanze blendender Toilette kennen, von graue Decken verhängt, und die übrige, sonst so gefüllten Räume völlig verlassen zu sehen. Dort oben auf der Bühne, die hellerleuchtet ist, geht es um so lebhafter zu. Solisten, Choristen, Theaterarbeiter, Inspektoren, Requisiteur, Inspicient, Souffleur, Kapellmeister, Komponist – das wirbelt bunt durcheinander. Wie der Leuchtthurm im brandenden Meere, überall sichtbar der Kopf des Regisseurs.
Da unterbricht die Glocke des Inspicienten den Lärm.
„Anfangen, meine Herrschaften!“ ruft der Regisseur. „Wer nicht in der ersten Scene beschäftigt ist, den bitte ich, sich zurückzuziehen.“
Der Kapellmeister mit der Partitur nimmt links am Klavier Platz. Der Souffleur mit seinem Buch rechts an der erste Koulisse.
„Bitte, Herr Kapellmeister, die Einleitung,“ wünscht der Regisseur.
Die Oper beginnt mit einem Männerchor. Der leitende Genius, mit dem Regiebuch in der Hand, instruirt die „ Ritter“, in welcher Weise sie aufzutreten haben. Mehrfache Unterbrechungen, bis diese „Stützen des Thrones“ sicher geworden. Nun tritt der Held der Oper auf. Auch er muß die höhere Gewalt des Regisseurs anerkennen; denn heute wird zum ersten Mal auswendig gesungen und gleichzeitig zum Gesange agirt. Der liebenswürdige Regisseur macht in der ersten Bühnenprobe gute Miene auch zum bösesten Spiel. Handelt es sich doch zunächst um den rohen Aufbau der Oper, nachdem der Bauplan in seinen Grundlinien festgestellt und das scenische Gerüste aufgerichtet ist. Ein Auftreten, eine Stellung, eine Bewegung, ein ganzes Bild – es wird eben alles aus dem Fundament herausgearbeitet und die Wirkung des Einzelnen in mehrfacher Wiederholung erprobt. Hier und da giebt auch der Komponist seine Meinung kund, da es nun einmal seine Oper ist, die an dieser Stätte zur Aufführung gelangen soll. Im ganzen ist aber der Regisseur Herr der Situation und es entgeht uns nicht, wie das Räderwerk dieses großen und komplicirten Apparates auf einen Wink von ihm sich in Bewegung setzt.
Beobachten wir den Lenker dieser „Welt“ in seiner den Außenstehenden unsichtbaren Thätigkeit, so erkenne wir mit Bewunderung einen kleinen Herrgott, einen Schöpfer en miniature in ihm. Wir sehen seine Finger in den Werken der Ober- und der Unterwelt, des Schnürbodens und der Versenkung. Alles, was da leuchtet, glänzt, kreucht, fleugt, singt und spielt, ist ihm unterthan.
Der erste Akt ist zu Ende. „Morgen die Fortsetzung!“ ruft der Regisseur.
Wir überspringen mehrere Tage, während welcher die Scenenprobe am Klavier aktweise ihrer Entwickelung entgegenreifen, und sehen uns wieder in der sogenannte „Sitzprobe“ im Probesaale des Opernhauses. Zu diesem „sitzenden Stelldichein“, in welchem die Sänger zum ersten Male mit dem Orchester zusammenwirken, scheint sich auch eine ansehnliche Gesellschaft höchst fragwürdiger Dissonanzen ein Rendez-vous gegeben zu haben. Was der Notenschreiber beim Kopiren der Stimmen hinzu- oder auch hinwegkomponirt hat, in dieser Probe kommt es an den Tag; denn alle
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_715.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)