Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
|
Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.
Wem sind nicht die Berichte über die kühnen Fahrten der Walfischfänger bekannt? Alte verrottete Schiffe derselben, leck wie Siebe, wagten sich auf das weite Meer hinaus, überstanden die schwersten Stürme und kehrten unversehrt in die Heimath zurück. Wohl waren die Kapitäne derselben erprobte Schiffer, aber besser als andere Seefahrer kannten sie außerdem ein Mittel, das geeignet ist, die Gefahren der stürmischen See zu mildern: die Anwendung des Oeles zur Beruhigung der Meereswellen. Ob lenzend (auf See vor schweren Stürmen mit kleinen [dicht] gerefften Segeln laufen) oder treibend, pumpten sie während des Sturmes so viel Oel mit ihrem Bilgewasser aus, daß Brechseen über Deck gar nicht vorkamen.
Gegenwärtig ist das Oelen der See zum Gemeingut aller Seefahrer geworden. Früher war das Bedürfniß nach einem ähnlichen Mittel nicht so sehr dringend. Hölzerne und Segelschiffe waren den Gefahren der Brechseen nicht so sehr ausgesetzt wie eiserne und Dampfschiffe. Sie hatten kleinere Luken und waren zur Hebung der Segelfähigkeit mit größter Sorgfalt beladen, was ihnen eine besondere Stabilität verlieh. Dies ist bei unsern Dampfschiffen nicht immer der Fall, und von vielen Dampfern, die in der Neuzeit spurlos auf der See verschwunden sind, kann man wohl behaupten, daß sie tief weggeladen und schlecht stabilisirt und darum als eine träge unbeholfene Masse widerstandslos der überbrechenden See preisgegeben waren. Dies machte das Bedürfniß nach Mitteln, welche die Wuth der Brechseen mildern, besonders lebendig; man griff zu dem altbekannten Oelen der See, und die verschiedensten Versuche haben den Nutzen desselben über allen Zweifel gestellt.
Es klingt gewiß märchenhaft, daß einige Tropfen Oel genügen sollen, die haushoch daherstürmenden Wogen zu glätten; aber die Thatsache ist unzählige Male beobachtet worden. Die Oelschicht zerstört dabei die Kämme nicht; sie unterdrückt sie nur und verwandelt sie unterhalb des Oelbereiches in eine weniger gefährliche Dünung. Jenseit des Oelbereiches kommen die Kämme wieder zum Vorschein.
Die Art und Weise, wie das Oel am zweckmäßigsten angewandt werden soll, bildete in letzter Zeit den Gegenstand vielfacher Untersuchungen, und auch der Hamburger Nautische Verein hat auf Veranlassung von Georg Duncker im Jahre 1887 ein Preisausschreiben für die beste Arbeit über diese Frage erlassen. Eine der prämiirten Schriften[1] liegt jetzt im Druck vor und gestattet uns, den vielfachen Nutzen dieser Methode kennen zu lernen.
Wäscht bei anhaltend stürmischer Witterung die See über das Schiff, schlägt sie Ladeluken ein, richtet am Deck Zerstörung an, so ermattet endlich die Mannschaft in dem langen Kampfe mit den Elementen; die Schäden können nicht mehr ausgebessert werden und wie das Schiff wehrlos, so wird die Mannschaft gleichgültig; das gewisse Schicksal, weggeschwemmt zu werden, läßt sie die Gefahr übersehen, daß das Schiff unter ihren Füßen wegsinken könne. Werden dann die Oelbeutel ausgehängt, verwandelt das heraustropfende Oel die vom Sturme gepeitschte haushoch heranwogende Brechsee in eine harmlose Dünung, die, anstatt über das Schiff hinwegzubrechen, unter demselben hinweggleitet, so kehrt mit dem Gefühl der Sicherheit der Muth der Mannschaft wieder, und die erlittenen Havarien können leicht ausgebessert werden.
Ein Beispiel dafür möge uns ein Auszug aus dem Bericht des deutschen Dampfers „Bohemia“ geben, der am 25. Februar 1886 einen orkanartigen Sturm zu bestehen hatte.
Bis Mittag des genannten Tages herrschte orkanartiger Sturm mit Schnee und Hagelböen und einer fürchterlichen Kreuzsee. Die See wusch beständig über Deck von drei Seiten zugleich; das Schiff arbeitete schrecklich. Die Thüren vom Steuerhaus wurden an beiden Seiten eingeschlagen; zwei Boote an Steuerbord und Backbord gleichzeitig voll Wasser geschlagen, und die See drang darüber hin in den Kesselraum; die Kajüten-Skylights wurden demolirt, ein Offizier und ein Mann nicht unerheblich verletzt. „Wir hingen“ heißt es nun weiter in dem Bericht, „fünf Oelbeutel an Steuerbordseite aus, desgleichen versahen wir zwei Klosetts an derselben Seite mit Oel zum langsamen Durchsickern; stoppten die Maschine und ließen das Schiff treiben, welches nach West abfiel. Das Schiff nahm jetzt kein Wasser mehr über. Die furchtbar hohe See brach sich, sobald sie die dünne Oelschicht erreichte, häufig nur wenige Fuß vom Schiffe, lief unter dem Schiffe durch und raste auf der andern Seite mit scheinbar unverminderter Kraft weiter. Wir lagen auf diese Weise bis zum folgenden Morgen beigedreht. Obgleich das Schiff in der hohen See mitunter stark überholte, so kam kaum Spritzwasser an Deck.“
Aber nicht allein große Schiffe, auch Boote, die sich im schlechten Wetter auf hoher See befinden, können von der Anwendung des Oels den größten Nutzen ziehen. Kapitän Karlowa führt als Beleg dafür folgenden Fall an:
Das englische Schiff „Slivemore“ verbrannte im Juni 1885 etwa 800 Meilen von den Seyschellen-Inseln. Die Mannschaft rettete sich in die Boote. Am dritten Tage nach dem Verlassen des Schiffes geriethen sie in einen Cyklon, den zu überstehen niemand erwarten konnte. Vor dem Verlassen des Schiffes hatte der Kapitän die Vorsicht gebraucht, die Boote mit Oel zu versehen in der Voraussicht auf einen Nothfall, wie er jetzt wirklich eingetreten war. Ein langer Strumpf mit Werg gefüllt und mit Oel getränkt, wurde vorn übergehängt, wodurch eine Oelschicht rund um jedes Boot gebildet wurde, welche die hohen Brechseen in unschädliche Dünung verwandelte, auf der die Boote in vollster Sicherheit das schlechte Wetter überstanden. Vor dem Gebrauche des Oels waren verschiedene Seen in die Boote geschlagen und die Insassen hatten für ihr Leben Wasser auszuschöpfen, jetzt kam wenig oder gar kein Wasser hinein, obgleich dieselben tief beladen waren.
Ebenso wichtig ist die Anwendung des Oels bei Rettung der Mannschaften gestrandeter Schiffe, und Rettungsboote werden jetzt in der Regel mit Oel ausgerüstet. Die Seeleute wissen sich dabei manchmal in origineller Weise zu helfen. Der Kapitän des englischen Dampfers „Barrowmore“ bemerkte, als er sich am 24. Januar 1885 dem gestrandeten Schiffe „Kirckwood“ näherte, daß die See um das Wrack herum bedeutend ruhiger war, und fand in der Folge aus, daß die Mannschaft die in der Ladung befindlichen Kisten mit Lachs entzwei geschlagen und den fettigen Inhalt ins Wasser geschüttet hatte, um die See zu dämpfen. Der „Barrowmore“ setzte in das ölige Wasser sein Rettungsboot aus und vermochte 26 Mann zu retten.
Die Fachleute arbeiten jetzt rüstig an der Lösung der Frage, auf welche Weise man am zweckmäßigsten das Oel beim Lenzen, beim Beidrehen, beim Halsen etc. anwenden solle, doch das sind Fachfragen, die einem weiteren Leserkreis ferner liegen. Wir begrüßen in diesen Arbeiten freudig einen neuen Fortschritt, der bestimmt ist, Leben und Gut der Menschen zu schützen, die Gefahren zu mildern, mit denen der kühne Seemann ringen muß. *
- ↑ „Die Verwendung von Oel zur Beruhigung der Wellen“. Von Kap. R. Karlowa, Hamburg 1888, Eckhardt und Meßtorff.
In Auerbachs Keller. (Mit Illustration S. 712 und 713. ) Die bekannte Scene in Goethes „Faust“, welche uns die Zeche lustiger Gesellen in Auerbachs Keller zu Klein-Paris vorführt, hat ist Eduard Grützner einen genialen Darsteller gefunden.
„Mit so wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Cirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
Solang der Wirth nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt,“
sagt Mephistopheles, als er mit Faust in den mit lustigen Studenten bevölkerten Keller tritt. Diese beiden Gestalten im Hintergrunde des Bildes sind mit charakteristischer Schärfe aufgefaßt. Mephisto freut sich, als Cicerone den Faust in diese Welt flotter Lustigkeit einzuführen, wo er ihm vor Augen führen kann, wie leicht sich’s leben läßt – und dabei verlacht er mit überlegenem Spott die ewig unbefriedigte Weisheit des tiefsinnigen Forschers. Dieser aber sieht und hört befremdet den übermüthigen Taumel einer berauschten Jugend; man sieht es ihm an, nicht lange wird’s dauern, so empfindet er die Lust, wieder abzufahren; das vierblättrige Kleeblatt in der Mitte des Bildes befindet sich aber auf der Höhe des Wohlbehagens. Da ruft der Schmerbauch Siebel:
„Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreit,“
und Altmayer hält sich die Ohren zu:
„Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren,“
während Frosch und Brander mit Behagen der kräftigen Losung des Liedersängers folgen. Im übrigen hat der Maler Auerbachs Keller mit stimmungsvoller Detailmalerei ausgeführt. †
Das Aalgift. Unter diesem Namen wird in die große Reihe der Gifte gegenwärtig von der Wissenschaft ein neues eingereiht. Es ist furchtbar in seinen Wirkungen und in dem Blute unserer wohlschmeckenden Aale enthalten. Wer hätte daran gedacht, wenn er einen fetten großen Aal ansah, daß man aus dem Blute dieses Fisches eine Menge Gift gewinnen könnte, welche wohl genügt, um zehn Menschen zu tödten! Und doch ist die Thatsache wahr. Professor Mosso in Turin hat neuerdings seine interessanten Studien nach dieser Richtung hin veröffentlicht und wir heben aus seinem Bericht das Wichtigste hervor.
In der zoologischen Station in Neapel, von welcher Karl Vogt in früheren Jahren unseren Lesern berichtet hat, befaßte sich Professor Mosso mit Studien über die Zusammensetzung des Fischblutes und wollte vor allem feststellen, warum gewisse Fische, wie z. B. die. Aale, in See- und Süßwasser leben können, während andere Seefische in kurzer Zeit absterben, wenn man sie ist Süßwasser bringt. Zu diesem Zwecke ließ Professor Mosso Aalblut gerinnen. Es bildete sich dabei wie gewöhnlich der sogen. Blutkuchen und das Blutwasser; das letztere sah gelb aus und hatte einen bläulichen Widerschein. Professor Mosso kostete einen Tropfen dieses Blutwassers. Kaum aber hatte er damit die Zunge berührt, so empfand er schon einen scharfen brennenden Geschmack und hierauf stellte sich eine reichliche Speichelabsonderung nebst deutlichen Schlingbeschwerden ein.
Sowohl das Blutwasser des gemeinen Aales, wie das des Meeraales und der Muräne zeigte dieselben Wirkungen. Es unterlag keinem
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_723.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)