Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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Mein Kutscher trat ein. Sämmtliche Schmuggler küßten ihn auf russische Art rechts und links. Ich bemerkte, wie er einem von ihnen etwas ins Ohr flüsterte, indem er gleichzeitig nach mir herüberschaute.
Ein baumlanger Kerl, das Gewehr in der Hand, trat auf mich zu und fragte mich, ob ich Russisch könne, während er mir gleichzeitig einen Zettel mit russischer Schrift vorhielt. Ich erwiderte ihm in entschiedenem Tone, daß ich ein Deutscher sei und kein Russisch verstände.
Jeder der Schmuggler ließ aus seinem Glase meinen Kutscher trinken, er mußte allen Bescheid thun, offenbar wollten sie ihn betrunken machen.
Ich befahl anzuspannen und eilte hinaus, um dem Rauch der Kienfackeln, dem Tabaksqualm und der Fuselluft zu entgehen. Mein Wagen stand vor der Thür und ich sah trotz der herrschenden Dunkelheit, wie eine Gestalt von meinem Koffer weg über die Straße in den Wald sprang. Sogleich faßte ich nach dem Koffer, aber noch saß er, von den starken Stricken gehalten, fest
„Kerl! Du stehst mir für den Koffer, und wehe Dir, wenn er gestohlen wird!“ schrie ich den Kutscher an.
„O Herr, hier alles ehrlich!“ betheuerte er.
Wir fuhren weiter. Die Nacht war kalt, ich blieb im Wagen sitzen. Die Käuzchen schrieen im Walde.
Sehr oft ließ ich halten, den Kutscher absteigen damit er nachsehe, ob der Koffer sich noch hinten auf dem Wagen befände. Nachdem dies eben wieder geschehen, stellte sich mein Kutscher erschrocken vor mich hin und stotterte ängstlich, daß der Koffer noch da sei, aber alle Stricke durchschnitten wären.
Mit einem Satze war ich aus dem Wagen heraus, machte Feuer mit einem Zündhölzchen und sah, daß sämmtliche starke Stricke während der Fahrt glatt wie mit einem Rasirmesser durchschnitten waren. Der Koffer selbst war bereits so weit auf den Stangen heraus-gerückt, daß er jeden Augenblick herabfallen mußte.
Ich höre im Walde pfeifen und sehe in der Ferne Laternen. Schnell den Koffer zu Dir hinauf auf den Bock!“ und ich helfe dem Kutscher, jenen bei sich unterzubringen.
„So, nun schnell vorwärts, pojeschai!“
Die Laternen nähern sich.
„Ja, Pferde müde!“ brummt der Kutscher unwirsch.
„Vorwärts, Du Schuft, oder ich erschieße Dich wie einen Hund!“ Gleichzeitig stieß ich mit meinem Ellbogen das rechte Wagenfenster auf, zog schnell meinen mit spitzer eiserner Zwinge beschlagenen Alpenstock, der mir zur Befestigung des Malschirmes dient und meine einzige Waffe war, aus den Reiseeffekten hervor und hielt die Spitze zum Fenster hinaus, um frei zustoßen zu können.
Wieder höre ich pfeifen, die Laternen kommen rechts im Walde näher und näher, nochmals rufe ich dem Kutscher zu, schnell zu fahren, mit der Drohung, ihn zu erschießen, wenn er dies nicht sofort thäte. Derselbe hatte meinen langen schweren Stock wohl für eine Büchse gehalten, denn endlich knallte die Peitsche, die Pferde zogen fest an und im scharfen Trabe ging's vorwärts. Aber es war auch die höchste Zeit! Hinter mir hörte ich laut fluchen und die Laternen blieben in der Ferne zurück.
Der Krug, in welchem sich die Schmugglerherberge befindet, ist unschwer zu finden. Von Polangen aus liegt er etwa zwei Stunden einsam rechts am Wege und Walde, das schmutzige Gastzimmer links von der Hausthür.
Um zwei Uhr nachts langten wir endlich in Polangen an, das sich stolz zu den Ostseebädern zählt. Das unsaubere Bauernnest schlief. Nach mehrmaligem vergeblichen Anklopfen an verschiedenen Hausthüren öffnete uns endlich ein Judenmädchen. Meine Frage, ob ich in dem Hause übernachten könne, bejahte sie. Den glücklich gewonnenen schweren Koffer steckte mein Kutscher in den Hausflur. Das Mädchen bestand jedoch darauf, daß ich ihn mit in mein Zimmer nehme, da alles, was nicht in verschlossenem Raume sich befände, gestohlen würde.
Als ich ihr kurz mein Abenteuer erzählte, sagte sie mir, daß dies schon der sechste ähnliche Fall in dem Monat sei, der aus jener Straße und zwar immer genau an derselben Stecke im Götschenkrugwalde passirt, nur mit dem Unterschiede, daß den andern ihre Koffer gestohlen, der meinige mir durch meine Vorsicht erhalten geblieben. Sie erklärte mir, daß die Diebe im Walde lagerten, die Stricke würden mit einem scharfen Messer während der Fahrt durchschnitten und das Herabfallen des Koffers überließe man diesem selbst, um ihn dann, nachdem der Wagen längst außer Sicht sich befindet, aufzubrechen und zu berauben.
Ich wollte die Sache anzeigen. Sie rieth mir aber entschieden ab mit dem Bemerken, daß ich dadurch nur Kosten und Termine haben würde.
„Der Schulze giebt den Bauern recht und spricht sie frei,“ sagte sie lachend.
Wie froh war ich, als sich der preußische schwarz-weiße Schlagbaum vor mir hob und ich in einem Einspänner wieder auf ehrlichem deutschen Boden mich befand.
Die Abbildungen aber sind nicht immer so schnell und spielend erworben, als vielleicht viele Leser glauben.
Betrachten wir die aus der Schule kommenden Kinder, so erregen in den Städten die Mädchen der weniger bemittelten Stände unsere Aufmerksamkeit. Ihre Haltung ist meistens schlaff, nach vorn gebeugt, die Gesichtsfarbe blaß, während die Knaben stramm und lustig herumspringen. Die Ursache beruht in der größeren Betheiligung der Mädchen schon in den jüngeren Jahren an der Hausarbeit und dem Warten und Tragen der kleineren Geschwister, also der Unmöglichkeit, der frischen Luft in dem Grade theilhaftig zu werden, als es nothwendig und bei den Knaben der Fall ist. Hierzu kommt noch die im Durchschnitt gänzlich ungeeignete und schädliche Weise, mit welcher die Kinder ihre Schularbeiten im Hause zu erledigen pflegen.
Während die Schule der Neuzeit bestrebt ist, die Mängel der alten Schulbänke zu beseitigen, geschieht im Hause fast nichts, um den Kindern einen der Gesundheit zuträglichen Sitz herzustellen. Stehend, oder mit abgerücktem Stuhle sitzend, legt das Kind den Brustkasten, wie bei den älteren Schulbänken, fest an den nicht zu hohen Tisch an. Der linke Arm befindet sich unter dem Tische, der ganze rechte auf der Tafelfläche. Der Kopf fällt nach vorn und die Nasenspitze berührt fast das Papier. Der rechte Arm
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_734.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)