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Seite:Die Gartenlaube (1888) 739.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

ihn zur Annahme dessen zu zwingen, was ihm von Gott und rechtswegen gehört, ihm allein – ich würde es als eine Schande betrachten, auch nur einen Pfennig davon zu nehmen. Doch nun genug der Erörterungen! Willst Du beide Bedingungen eingehen?“

„Nein, nur die erste!“

„Ich lasse nicht mit mir handeln – das Kapital und das Eingeständniß!“

„Damit ich mich ganz in Eure Hände gebe? Niemals!“

„Gut, dann sind wir fertig! Wenn Du den Krieg willst, so sollst Du ihn haben!“

Damit wandte sich Gronau um und ging nach der Thür; der Präsident machte eine Bewegung, als wolle er ihn zurückhalten, aber es kam nicht dazu, und in der nächsten Minute war es auch zu spät, die Thür hatte sich hinter Veit geschlossen.

Als Nordheim allein war, sprang er auf und begann mit heftigen Schritten im Zimmer auf und nieder zu gehen. Jetzt, wo er sich ohne Zeugen wußte, sah man es, daß ihn die Unterredung keineswegs so gleichgültig gelassen hatte, als er sich den Anschein gab. Seine Stirn war tiefgefurcht und in seinen Zügen stritten Zorn und Besorgniß mit einander; erst allmählich fing er an, ruhiger zu werden, und endlich blieb er stehen und sagte halblaut: „Thor der ich bin, mich so aus der Fassung bringen zu lassen! Er hat keinen Beweis, nicht einen einzigen – ich leugne alles!“

Er wandte sich nach seinem Schreibtische, aber plötzlich schien sein Fuß am Boden zu wurzeln und ein halb unterdrückter Ausruf entfuhr seinen Lippen. Die Thür des Schlafzimmers hatte sich geräuschlos geöffnet und dort auf der Schwelle stand Alice, todtenbleich, beide Hände gegen die Brust gepreßt und die großen Augen auf den Vater gerichtet, der vor ihrem Anblick erschrak wie vor einem Gespenste.

„Du hier?“ herrschte er sie an. „Wie kommst Du hierher? Hast Du etwa gehört, was gesprochen wurde?“

„Ja – ich hörte alles!“ sagte das junge Mädchen, kaum vernehmbar.

Jetzt erblaßte Nordheim zum ersten Male – seine Tochter Zeugin dieser Unterredung! Aber schon im nächsten Augenblick hatte er sich wieder gefaßt, es konnte ja nicht schwer sein, diesem unerfahrenen, urtheilslosen Mädchen, das sich stets seiner Autorität gebeugt hatte, jeden Argwohn zu benehmen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Familienchronik. Die Plauderei in Nr. 37 der „Gartenlaube“ über eine gründliche Reform des Photographiealbums war außerordentlich zeitgemäß und man kann wohl nur wünschen, daß die in derselben enthaltenen Vorschläge nicht bloß gelesen, sondern auch wirklich praktisch verwerthet werden mögen. Ich möchte aber einen zweiten „Hausschatz“ in Vorschlag bringen, der von einem Photographiealbum unabhängig ist und doch nicht minder werthvoll sein dürste. Enthält ein Photographiealbum die Bilder der Mitglieder, Freunde etc. der Familie, so möchte ich in dem zweiten Hausschatz eine Chronik aller irgendwie bedeutungsvollen Ereignisse und Begebenheiten im Leben der einzelnen Glieder der Familie, eine Familienchronik mit kurzen Biographien, schaffen.

Gewiß wird niemand der Behauptung widersprechen, daß in vielen Kreisen Nichtadeliger eine große Unkenntniß über das Leben der Vorfahren der Väter und Mütter, Großväter und Großmütter etc. herrscht. Nur einer geringen Zahl sind vielleicht Episoden aus der Lebensgeschichte der ihnen am nächsten stehenden Anverwandten bekannt, und es ist wohl häufig genug, daß den Kindern selbst das Leben ihrer Eltern ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch ist. Wenn etwa eingewendet wird, daß so in den Schichten der bürgerlichen Welt der Einzelne zumeist ein ereignißloses bescheidenes Leben führt, welches dem oberflächlichen Anschein nach gar keine Veranlassung gäbe, die bedeutungslosen Vorgänge desselben für die Nachkommen aufzuschreiben, so steht hingegen doch auch wieder fest, daß kein Menschenleben, wie still es auch dahinfließen mag oder mochte, so wenig Lehrreiches bietet, daß ein heranreifender Sohn oder Enkel auch nicht ein Nützliches darin fände, was ihm auf seinem Lebenswege in irgend einer Weise – sei es als aneiferndes Beispiel oder vielleicht als warnendes Exempel – förderlich sein könnte. Und selbst wenn man ganz und gar absehen würde von dem gewissermaßen erziehlichen Charakter derartiger Aufzeichnungen der Väter und Großväter, die nach ihrem Ableben diese ihre Gedenkblätter dem ältesten Sohn oder in Ermanglung männlichen Nachwuchses auf die erstgeborene Tochter vererben könnten, wird unbedingt zugegeben werden müssen, daß diese in Notizenform niedergelegten Aufschreibungen gewiß vom Standpunkte der Familientradition aus Werth haben werden.

Wie oft würde z. B. ein zum Manne herangereifter Sohn oder Enkel, oder selbst der Jüngling gerne in diesen Blättern seines längst verblichenen, ihm vielleicht unbekannten Großvaters oder Vaters lesen, wie oft würde ihn nicht diese oder jene Einzelheit aus dem Leben des ihm so Nahestehenden erfreuen, erwärmen, erheben, vielleicht trösten in einer Stunde der Zweifel, der Trübsal, des Kummers; wie oft würde ihm nicht etwa ein wenn auch noch so einfach und ungekünstelt niedergeschriebener Satz seines Vaters oder Großvaters den Pfad angeben können, den er zu seinem Glücke einschlagen könnte! Wie oft aber auch würde das geistige Bild der geliebten Eltern und Großeltern durch die Lektüre solcher schlicht und einfach niedergeschriebenen aphoristischen Lebenserinnerungen dem Sohne und Enkel wieder in voller Lebenswahrheit und lebendiger Plastik die Züge des Entschlafenen, sein Wesen und Gehaben, all seine guten Eigenschaften oder auch seine kleinen Schwächen, seine Erlebnisse und Erfahrungen vors Auge führen und der Leser würde mit den geschiedenen Lieben ein Stündchen in weihevoller inniger Berührung verbringen! Vielleicht werden sich aber Stimmen erheben, welche sagen, daß unsere Zeit für solche „Sentimentalität“ ungeeignet, daß eine also verlebte Stunde einen Zeitverlust bedeute und besser für praktische Zwecke zu verwenden sei. Aber dessen ungeachtet möchte ich behaupten, daß eine solche Stunde, welche uns das Lebensbild eines Vorfahren vor die Seele führt, durch ihre belehrende Wirkung auch praktisch nutzbar werden kann. Ein weiterer Werth derartiger Aufschreibungen mag es sein, daß dieselben in späteren Tagen dem Kulturhistoriker, dem Lokalhistoriker, so vielleicht mitunter sogar dem Geschichtschreiber selbst nützlich werden können. Können nicht in manchen zweifelhaften Angelegenheiten, in manchen dämmerigen Fällen der Stadt- oder Landesgeschichte vielleicht sonst gänzlich bedeutungslose Familiennotizen Klarheit und Aufschluß bringen, wo sonst von keiner Seite her Licht zu erhalten ist? … Wie oft würden unsere heutigen Geschichtsforscher in solchen zweifelhaften Fällen rascher zu voller Aufklärung gelangen, hätten sie derartige Familienchroniken zur Hand, könnten sie aus solchem Borne schöpfen! … Und zur Ausführung dieser Idee ist kein schriftstellerisches Talent nothwendig, keine stilistische Gabe erforderlich; nein, selbst der einfachste Handwerksmeister vermag mit wenigen schlichten Sätzen bemerkenswerte Daten über sein eigenes Leben, über das Leben seines Kindes niederzuschreiben und so den Grund zu legen zu einer „Familienchronik“, welche, von den nachfolgenden Geschlechtern weitergeführt, für diese ein „Hausschatz“ im edelsten Sinne des Wortes sein würde.

Ernst Keiter.

Der kranke Künstler. (Mit Illustration S. 729.) „Wer malt dies Bild da fertig, wenn ich sterbe? Es ist unmöglich, daß ich vor seiner Vollendung dahingehe!“ – Man glaubt dem kranken Künstler, dessen Auge besorgt auf seiner unvollendeten Schöpfung ruht, diesen Gedanken von dem Gesichte zu lesen. Lange hat er an dem Gemälde gearbeitet, seine beste Kraft hat er eingesetzt, um Vollendetes zu schaffen – da ist die Hand erlahmt! Und im Anschauen des Bildes, im Krankenstuhle, erkennt er, daß niemand im Stande sein wird, seine Schöpfung zu Ende zu führen. Andere können Anderes, vielleicht Besseres geben, aber nicht das! – – – Doch die Hoffnung ist nicht ausgeschlossen, die Hoffnung auf Genesung! Im Gegentheil: Die sorgende Gattin wird noch nicht Witwe, das spielende Kind nicht Waise werden, wenn es wahr ist, was man glauben möchte: der Schöpfer dieses prächtigen Bildes hat da ein Stück eigener Erfahrung gemalt.

Frühlingsblumen im Herbst.

„Der Mai ist wieder gekommen,
Nur daß er September sich nennt –“

sagt ein altes Lied von der lauen Luft und dem milden Sonnenschein des schönsten Herbstmonats. Aber es schweigt von den duftlosen starren Blumen, den Astern und Georginen, deren größere Farbenpracht nimmermehr die holde Anmuth der wirklichen Maikinder zu ersetzen vermag. Was indessen die Natur zu verweigern scheint, das hat ihr auf mehr als einem Gebiet der menschliche Geist schon abzulocken gewußt, und so ist auch heute das scheinbar Unmögliche zur Thatsache geworden: im botanischen Garten zu München blühten dieses Jahr Ende September im freien Land dichte Büschel von duftenden Maiblumen, Gruppen von Deutzien und pontischen Azaleen, die letzteren in all den zarten Farben von weiß, gelblich und roth, wie wir gewohnt sind, sie im Frühjahr als ersten Schmuck der Gärten und Anlagen zu sehen. Herr M. Kolb, Oberinspektor des botanischen Gartens, ist es, der nach mannigfachen Versuchen über die Verlängerung des Winterschlafes der Pflanzen (um dadurch deren Blüthezeit entsprechend hinauszuschieben) endlich, und zwar als erster in Europa, das Verfahren gefunden hat, ihre Blüthe in einem bestimmten Zeitpunkt hervorzurufen Es läßt sich leicht denken, welche Tragweite der an den Frühlingsblumen so gelungene Versuch haben wird, wenn es möglich ist, ihn auch auf Hyazinthe, Iris, Nelke und Rose auszudehnen und dadurch dem großen Blumenverbrauch des Winters theilweise das Material aus einheimischen Quellen zuzuführen Es ist schon vielfach gegen den einreißenden Blumenluxus geeifert worden, und sicher ist er tadelnswerth, wenn er nur prunkhafter Großthuerei den Vorwand liefert. Aber alles, was dazu dient, den bescheidenen Fenstergarten, die kleine Blumenspende an liebe Menschen, den Gratulationsstrauß zum Familienfest zu ermöglichen, ist als idealer Gewinn zu achten und aus diesem Gesichtspunkte besonders begrüßen wir die schöne Erfindung des Herrn Kolb als eine für ganz Deutschland bedeutungsreiche und erfreuliche.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_739.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2019)
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