verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
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Hermann Wißmann.
Deutschland darf mit Stolz auf eine Reihe berühmter Afrikaforscher zurückblicken, welche sich um die Erforschung des dunklen Welttheils unvergängliche Verdienste erworben haben. Die Reihe der Veteranen hat zwar der Tod gelichtet: Nachtigal ruht in Kamerun und Pogge in San Paulo de Loanda; indessen sind jüngere Kräfte an deren Stelle getreten und von diesen hat sich Hermann Wißmann am meisten ausgezeichnet. Sein Name wird jetzt vielfach genannt; denn der kühne Durchquerer Afrikas scheint dazu berufen zu sein, in den Fragen, welche durch die neuesten Ereignisse in Ostafrika aufgeworfen worden sind, eine hervorragende Rolle zu spielen.
Hermann Wißmann wurde am 4. September 1853 in Frankfurt an der Oder als Sohn eines dortigen Regierungsbeamten geboren. Schon als Knabe zeichnete er sich durch Muth und Entschlossenheit aus und wählte die militärische Laufbahn. Im Jahre 1873 wurde er Offizier und stand bei einem mecklenburgischen Infanterieregiment in Rostock. Die großartigen Reisen Livingstones, Schweinfurths und Stanleys erregten damals allgemeines Aufsehen, und namentlich die Werke der beiden letzten Forscher waren ebenso durch die Neuheit des Stoffes, die Fülle der Erlebnisse, die Größe der überwundenen Gefahren wie durch die meisterhafte Darstellung dazu angethan, selbst in ferner stehenden Kreisen eine förmliche Begeisterung für die Entdeckungen im dunklen Welttheil zu erwecken. Das Lesen derselben entfachte auch in Wißmann den ersten Wunsch, in das Herz von Afrika einzudringen und mit zu arbeiten an dem Werke der Erforschung des noch so wenig bekannten Welttheils.
Da fügte es der Zufall, daß Pogge nach seiner Rückkehr von der berühmten Reise im Lundareiche sich in Rostock aufhielt und hier mit Wißmann bekannt wurde. Da Pogge sich mit neuen Reiseplänen trug, so bot sich ihm Wißmann als Begleiter an, und in der That sollte sein Wunsch erfüllt werden.
Der junge Offizier meldete sich bei dem damaligen Vorsitzenden der Afrikanischen Gesellschaft in Berlin, dem leider 1885 verstorbenen Dr. Nachtigal, und erfuhr von ihm die Bedingungen, unter denen er als Geograph für die nächste Expedition in Aussicht genommen werden könnte. Topographische Aufnahmen waren ihm bereits geläufig, aber Wißmann mußte noch sechsmonatigen astronomischen und meteorologischen Studien in der Seemannsschule zu Rostock obliegen. Auf der Universität studirte er Zoologie und Geologie und fand in Dr. Kersten, dem früheren Begleiter des in Afrika ermordeten Barons von der Decken, einen bewährten Rathgeber. Endlich kam das so heiß ersehnte Angebot. Dr. Pogge und Wißmann sollten eine Reise nach Westafrika zu dem Mnata-Jamwo antreten, falls sie glaubten, die ihnen gesteckten Ziele mit der verhältnißmäßig sehr geringen Summe von 20000 Mark erreichen zu können. Pogge entschied sich zusagend. Von einem „Millionär“, der ihm nach einer Anekdote, die unlängst in den Zeitungen gedruckt wurde, das viele Geld zu der ersten Afrikareise gegeben haben soll, weiß Wißmann nichts zu berichten. Im Gegentheil, die beiden Reisegefährten mußten schon bei der Ausrüstung sparen. Sie verzichteten sogar auf Zelte, Reisebetten und Moskitonetze, und auch die Ausrüstung in Waffen war gering; sie bestand in drei leichten Expreßdoppelgewehren und zwei Schrotgewehren für die beiden Weißen, sowie sechs Chassepotkarabinern für ihre Leute, zu denen später noch Steinschloßflinten traten, die sich auch als Waren im Innern brauchbar erwiesen. Es wurden den beiden Forschern von der Gesellschaft für jedes weitere Jahr noch 20000 Mark ausgesetzt, aber sie waren bald so weit ins Innere vorgedrungen, daß sie auf die nächste fällige Summe nicht rechnen konnten.
Am 19. November 1880 verließen Pogge und Wißmann Hamburg, und am 7. Januar 1881 war mit Loanda ihr erstes Ziel erreicht. Nachrichten, die sie in Afrika, namentlich von dem heimkehrenden Dr. Büchner, erhalten hatten, zwangen sie, ihren Reiseplan zu ändern, und so marschirten beide durch unbekannte Länder; sie erreichten als die ersten Weißen Lubuku, „das Land der Freundschaft“, und wurden von den Einwohnern als Geister zweier verstorbener Häuptlinge begrüßt, die aus dem Geisterwasser, das heißt dem Meere, heimkehrten. Begleitet von Leuten des Balubastammes, den Baschilange, deren Bedeutung für die Zukunft Centralafrikas eine sehr große zu werden verspricht, erreichten sie Nyangwe, die westlichste Araberstadt am Kongo, von der einst Stanley seinen Zug zur Erforschung des Riesenstromes angetreten hatte. Hier trennten sich die beiden Gefährten. Pogge kehrte nach Lubuku zurück, Wißmann zog nach Osten.
Am 14. November 1882 erscholl von den Lippen seiner Leute der Ruf: „Baharr! Baharr!“ (das Meer). Der Indische Ocean lag vor den Blicken der Reisenden; Wißmann war der erste Deutsche, der Centralafrika durchquert hatte, und der erste Reisende überhaupt, der dies in der Richtung von West nach Ost zu thun vermochte. Am nächsten Morgen stand er beim Küstenstädtchen Saadani an dem Gestade und netzte sich nach der Sitte afrikanischer Völker Stirn und Schläfe mit dem Salzwasser des unendlichen Meeres.
Der Ruf Wißmanns war mit einem Schlage begründet, der kühne Offizier zählte nun zu den berühmtesten Afrikaforschern. Die „Gartenlaube“ hat in ihrem Jahrgang 1883, Nr. 7, über diese erste Afrikafahrt Wißmanns mit Pogge zusammen ihren Lesern ausführlichen Bericht erstattet.
Schon im Jahre 1883 wurde ihm von Leopold II., dem hochherzigen König der Belgier, der Auftrag zu theil, das südliche Kongobecken zu erforschen, und am 16. November verließ er wieder die Heimath. „Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost“ hat Wißmann das Werk betitelt, in dem er seine erste Reise beschreibt – und unter der deutschen vom Prinzen Friedrich Karl gestifteten Fahne sollte auch die zweite Expedition deutscher Offiziere Ruhmreiches auf schwarzer Erde vollbringen, so daß unsere Armee auch auf diese Siege, die unter Wißmann errungen wurden, stolz zurückblicken kann. Wißmanns Begleiter auf diesem zweiten Zuge gehörten sämmtlich dem deutschen Heere an: Stabsarzt Dr. Ludwig Wolf, Hauptmann Curt von François, Lieutenant Franz Müller und Hans Müller, Lieutenant im preußischen Feldjägerkorps und Forstreferendar, das waren die Mitglieder des Wißmannschen Stabes, und als treffliche Werkmeister schlossen sich ihnen der Schiffszimmermann Bugslag und die Büchsenmacher Schneider und Meyer an.
Sie sind nicht alle heimgekehrt. Der Büchsenmacher Meyer starb schon am 26. März 1883 in Malange am perniziösen Fieber. Wißmann, Wolf, François und Franz Müller trugen den Sarg zur letzten Ruhestätte, die neben dem Grabe des im Jahre 1870 gestorbenen Afrikareisenden Eduard Mohr errichtet wurde. Kaum ein Jahr darauf wurde am Luluaflusse in der neugegründeten Station Luluaburg Franz Müller selbst zu Grabe getragen. Drei Salven wurden als Ehrengruß dem verstorbenen Soldaten übers Grab gefeuert. In demselben Augenblick brach mit einem heftigen Donnerschlag ein Gewitter los, wie es nur die Tropen kennen. Der den ersten Schlag verursachende Blitz hatte einen Urwaldriesen getroffen, welcher mit lautem Krachen und Geprassel zur Erde stürzte. Es war, als ob die Natur sich dem letzten Scheidegruß an den Dahingegangenen anschließen wollte.
Die überlebenden Mitglieder der Expedition hatten die ihnen gestellte Aufgabe, die Erforschung der Zuflüsse des Kassai, in glänzendster Weise gelöst. Um 12½ Uhr am 9. Juli 1885 erblickten sie eine weite Wasserfläche, mit der sich der Kassai vereinigte; es waren die Fluthen des Kongo. Durch die Ferngläser und Krimstecher sahen sie am Ufer eine Station und über ihr eine blaue Flagge mir goldenem Stern lustig im Winde flattern. Gewehrsalven knallten zum Gruß: zwei Europäer, von bewaffneten Schwarzen umringt, standen am Ufer. Was sollte das alles bedeuten? Die Kassaifahrer trafen mit zwei Beamten des Kongostaates zusammen und hier erhielten die kühnen Reisenden die erste Kunde, daß ein Kongostaat, von dem sie, innerhalb seiner Grenzen rastlos arbeitend, keine Ahnung gehabt hatten, inzwischen gegründet worden war!
Die Geschichte dieser Erforschungsreise wird ein wichtiges Kapitel in der Geschichte dieses jüngsten unter den räumlich größten Staaten bilden.
Die Erforscher selbst haben sie in dem trefflichen Werke „Im Inneren Afrikas“ (Leipzig, F. A. Brockhaus) beschrieben. Wißmann ging im September 1885 schwer krank vom Kongo nach Madeira. Kaum hatte er sich erholt, so trat er wieder im Auftrage des Königs der Belgier eine Expedition an und durchquerte in den Jahren 1886 und 1887 zum zweiten Male Afrika von der Mündung des Kongo zu der des Sambesi. Auf dieser Reise war er Zeuge gewaltiger Wandelungen, die im Innern vorgegangen waren. Ortschaften, die er früher im blühenden Zustande kennen gelernt hatte, waren niedergebrannt, wohlhabende Stämme verarmt, friedliche zu kriegerischen, raublustigen Haufen umgewandelt worden. Die Araber waren vom Osten her in jene Gegenden eingedrungen und hatten die schändliche Sklavenjagd eingeführt. Hier lernte Wißmann das „Raubthier“ Afrikas kennen, und wir wissen alle, daß er jetzt wieder bereit ist, gegen die Araberwirthschaft zu Felde zu ziehen. Seine jüngst erfolgte Berufung in das deutsche auswärtige Amt ist ein glänzender Beweis dafür, welches Vertrauen man in den Kreisen der Leiter unserer auswärtigen Politik in die Thatkraft und in die Erfahrungen Wißmanns setzt. Noch wissen wir nicht, welche besonderen Aufgaben ihm an Afrikas Ostküste vorbehalten sind; aber wir werden überzeugt sein dürfen, daß er in seiner amtlichen Stellung erst recht in der Lage sein wird, seine hohen Fähigkeiten auszunützen und zu seinem alten Ruhme neue Lorbeeren hinzuzufügen.
C. Falkenhorst.
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_093.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)