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Seite:Die Gartenlaube (1889) 094.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Anvertraute Kinder.

Skizze aus dem Familienleben von Hans Arnold.

Eine „Jugendliebe“ ist ja an und für sich etwas durchaus Achtbares, wofür sich jeder und jede eine gewisse romantische Anhänglichkeit bis ins späteste Alter bewahrt. Aber eine Jugendliebe kann auch manchmal recht unbequem werden, wenn sie als Strohfeuer ab- und als solides Ofenfeuer noch nicht ganz ausgebrannt ist.

Der Hofrath Brocker hatte eine Jugendliebe gehabt. Seine Frau fand sich mit der reiferen Jahren eignen Seelenruhe in die Thatsache, daß sie nicht als „Julie die Erste“ im Herzen ihres Gatten thronte, und wendete nichts dagegen ein, wenn er an besonders schönen Sommertagen sich mit einem Senfzer der Zeit erinnerte, wo er die blonde Martha bei Heuduft und Nachtigallenschlag angeschwärmt hatte. „Man muß froh sein, wenn die Männer noch auf so harmlose Verrücktheiten verfallen,“ meinte die Hausfrau in vertraulichen Gespräch mit einer Freundin. Neuerdings hatte sich aber die Sachlage geändert. Die alte Flamme, die jahrelang wie ein unerreichbarer, schöner Stern am Himmel des Hofraths geleuchtet hatte, rückte näher und war da, ehe man sich dessen versah.

Die einst holde Martha war zum größten Glück ihrem alten Verehrer nicht treu geblieben, sondern hatte vor nunmehr – wir wollen aber nicht ungalant sein, also sagen wir: vor nunmehr einer ganzen Reihe von Jahren sich auch in den heiligen Ehestand begeben, und zwar hatte sie einen Stabsarzt geheirathet. Wie es das wechselvolle Leben mit sich bringt, wurde Frau Martha mitsammt ihrem Stabsarzt, oder besser der Stabsarzt mitsammt seiner Martha, nach derselben Stadt verschlagen, wo Hofraths mit einer blühenden Kinderschar ihr friedliches Dasein führten.

Hofraths hatten inzwischen auch schon den halben Weg bis zur silbernen Hochzeit zurückgelegt – kurz, die beiden Jugendgenossen konnten sich bald mit Fug und Recht Altersgenossen nennen.

Frau Julie, trotzdem sie gänzliche und verachtungsvolle Gleichgültigkeit gegen Frau Martha zur Schau trug, war dennoch recht gespannt auf den Anblick der Vielbeseufzten. Ein Gefühl seliger Befriedigung schwellte daher ihre Brust, als die Stabsärztin sich beim ersten Besuch als eine etwas beleibte, stark rothbäckige und durchaus nicht mehr jugendliche Erscheinung erwies, die allerdings durch Stirnlöckchen und einen Rembrandthut die deutliche Absicht bekundete, zwanzig Jahr jünger zu scheinen, als sie wirklich war.

Diesen Grundsatz zufolge hielt sie auch ihre ältesten Kinder in Pensionen und Kadettenhäusern verborgen und zeigte nur diejenigen, die das elfte Jahr noch nicht überschritten hatten – es waren ihrer drei. Milly, ein zehnjähriges Schulpflänzchen, Eduard, ein achtjähriger, und Fritz, ein fünfjähriger Junge. – Der Stabsarzt, den seine muntere Ehehälfte nur selten zu Wort gelangen ließ, war ein kleiner, sehr schmächtiger Herr mit einem Schnurrbart, der für einen dreimal so großen Mann ausgereicht hätte. Er schien das unbeschreibliche Glück, Martha errungen zu haben, übrigens mit vieler Fassung zu ertragen.

Als das stabsärztliche Ehepaar das Haus wieder verlassen hatte, wandte sich Frau Julie mit einem strahlenden Lächeln an ihren Mann.

„Na, weißt Du –“ meinte sie vielsagend.

Der Hofrath räusperte sich verlegen.

„Sie sieht noch ganz gut aus!“ bemerkte er kleinlaut.

Die Hausfrau zuckte die Achseln. „Liebe ist blind", sagte sie ironisch, aber ich kann Dir sagen, der Anblick hat mir eine Last vom Herzen genommen!“

Infolge der Zerstörungen, welche die unerbittliche Zeit an der Schönheit Frau Marthas angerichtet hatte, gestaltete sich denn der Verkehr ganz friedlich, wenn sich auch die beiden Frauen nicht gerade sympathisch wurden. Julie, die ihre achtunddreißig Jahre frei und offen bekannte und dem Himmel dankte, daß kein Mensch mehr jugendliche Ansprüche an sie erhob, ermangelte jedes Verständnisses für die tändelnde Art der Frau Stabsärztin, verurtheilte die Löckchen und den Rembrandthut und hatte für die Neuigkeit, daß die Freundin des Hauses jetzt Reitstunde nähme, nur die spöttische Bemerkung: „Sie macht’s wohl, wie in dem Kinderlied:

‚Wenn sie älter werden,
Reiten sie auf Pferden‘ –.“

Weniger harmlos als diese Sportleidenschaft zeigte sich die Neigung Frau Marthas, ihrem früheren Verehrer bisweilen bemerklich zu machen, daß er doch am Ende mit ihr besser gefahren wäre! Sie erzählte in seiner Gegenwart von beispiellos kleinen Summen, mit denen sie die Wirthschaft bestritt und noch Ersparnisse machte – sie bemerkte beim Erblicken einer im hofräthlichen Hause beschäftigten Plättfrau: „Ach, dazu nehmen Sie fremde Hilfe? Ich plätte alle meine Gardinen selbst!“ und rief bei dem Hofrath, der wie alle Männer sehr leichtgläubig war, bisweilen mißmuthige Stimmungen darüber hervor, daß doch seine Frau sich nicht so einzurichten verstände wie andere Frauen.

Auch in Bezug auf Kinderzucht wollte die Jugendliebe Besseres leisten als ihre Nachfolgerin im Herzen des Hofraths. Sie nahm bei ihren häufigen Besuchen Gelegenheit, um Rath und That kräftig in die Leitung der Kinder einzugreifen – sie versicherte, daß ihre Kinder dies oder jenes allerdings sich nicht erlauben dürften! – Daß Kurt noch nicht ohne Aufsicht seine Schularbeiten anfertigte, veranlaßte sie zu verwundertem Kopfschütteln, und als das zweijährige Minchen einmal in Gegenwart der Stabsärztin schrie und herausgebracht wurde, klopfte die Hausfreundin Frau Julie auf die Schulter. „Disciplin, Liebste, Disciplin! Das hilft nun nichts! ohne Disciplin bringen Sie die Kinder nicht zurecht!“

„Das sage ich ja auch immer,“ bemerkte der Hausherr ärgerlich, der es allerdings noch nie gesagt hatte, und warf seiner Frau einen Blick zu, der Minchens Geheul zum Kapitalverbrechen stempelte.

Daß auf diese Weise die Gefühle in der Brust der Hofräthin nach und nach eine etwas grimmige Färbung annahmen, wird ihr wohl niemand verdenken können! Heute eben hatte sie, bei ihrer Flickarbeit sitzend, viel über die Annehmlichkeit dieses Verkehrs nachgedacht, als der Hausherr ins Zimmer trat. Er hustete ein paar Mal und ging auf und ab, ehe er seinen gewöhnlichen Platz einnahm – ein untrügliches Zeichen dafür, daß er etwas zu sagen hatte, was ihm nicht ganz leicht wurde. Seine Frau „ließ ihn kommen“, wie der Kunstausdruck heißt – sie war nicht in der besten Laune, weil ihr Frau Martha gestern abend wieder eine Rede über Erziehung gehalten hatte, mit der Aufschrift: „Einfach und streng – das sind die Grundsätze, bei denen meine Kinder aufwachsen.“ – Heute beim ersten Frühstück hatte nun der Herr des Hauses einen kurzen und gedrängten Nachtrag zu dieser Rede geliefert, in welchem er sich mißmuthig über die mangelhafte Dressur seiner Nachkommenschaft aussprach.

„Stabsarzts treten heute eine kleine Reise ins Gebirge an!“ bemerkte der Hofrath, das Gespräch einleitend.

Die Hausfrau schwieg. Die gehoffte Anknüpfung hatte sich nicht ergeben.

„Sie sind recht in Verlegenheit, wo sie mit den Kindern hin sollen,“ fuhr der Hofrath fort, „da sie der Köchin auch für den Tag erlaubt haben, nach Hause zu fahren!“

„Das hätten sie lieber nicht thun sollen!“ bemerkte Julie trocken.

Der Hausherr kratzte sich hinter den Ohren.

„Es wäre wohl eigentlich nur freundschaftlich,“ begann er zögernd, „wenn wir ihnen anböten, die Kinder auf die eine Nacht und den Tag herüberzunehmen – was meinst Du, Julie.“

„Ich habe morgen Wäsche!“ erwiderte Julie und lächelte beglückt – zum ersten Mal im Leben freute sie sich über diese Thatsache.

„Ach, das ist fatal – das ist sehr fatal!“ rief der Hofrath, „was machen wir denn nun? Die Wahrheit zu sagen, Julie, ich habe es Stabsarzts schon versprochen, und es wäre mir unendlich peinlich, jetzt wieder nein zu sagen!“

Julie legte ihre Arbeit zusammen und stand auf.

„Ach so, Du hast es schon versprochen!“ meinte sie gedehnt, „das hättest Du mir gleich sagen können – nun, dann hilft es ja wohl nichts!“

„Es sind doch keine ganz kleinen Kinder,“ flehte der Hausherr, der seiner sonst stets so guten Frau den innerlichen Aerger ansah, „und sicher vortrefflich erzogen – Martha spricht ja so verständig über Kindererziehung.“

Die Hausfrau sah ihm voll ins Gesicht.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_094.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
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