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Seite:Die Gartenlaube (1889) 107.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Kleinen, damit Mütterchen tanzen konnte. Zum letzten Glase sang man noch: „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“ und brachte ein Hoch aus auf den König von Preußen. Wie mancher, dem in Konstantinopel inzwischen die Haare grau geworden sind, erinnert sich noch an jene Tage einfacher, schlichter Geselligkeit, an die heiteren Fahrten nach Bebek am Bosporus zu den Kegelpartien im gastlichen Schneiderschen Hause!

Nun stand aber leider auch im Garten der „Teutonia“ ein Baum der Erkenntniß. Bereits nach fünf Jahren war die Mitgliederzahl des Vereins infolge raschen Aufblühens der Kolonie auf über 200 angewachsen, und bald fühlten die Handwerker, die bis jetzt das Heft in Händen gehabt hatten, einen Abstand zwischen sich und einer beträchtlichen Zahl der übrigen Mitglieder der „Teutonia“, so daß sie dieselbe verließen und sich selbst wieder als Handwerkerverein, zunächst als Hilfsverein, einrichteten. Das Vereinsleben der Kolonie spaltete sich von da an in zwei Lager. Doch eine innerliche Zerklüftung der Kolonie trat durch diese Trennung nicht ein, da keine der beiden Gesellschaften eine wirkliche Gegenpartei bildete. Das vaterländische Interesse umschlang beide und umschlingt sie noch heute.

Mehrmals brannte die alte „Teutonia“ ab und auch das Lokal des Handwerkervereins mit seiner Bibliothek wurde erst im Jahre 1885 noch durch eine Feuersbrunst zerstört, aber kein Unglücksfall, der die Vereine traf, vermochte ihren Bestand zu gefährden.

Die „Teutonia“ verfügt gegenwärtig über ein eigenes Gebäude, welches dem Einvernehmen der Deutschen und Schweizer seine Entstehung verdankt. Seit 25 Jahren bildet dieser Verein den Mittelpunkt der Kolonie. Er ist ein Anker des Deutschthums im Goldenen Horn und hängt mit unzerreißbaren Banden am Vaterlande; alles, was in der Heimath geschieht, wird hier von den Landsleuten mit warmer Theilnahme besprochen. Die „Teutonia“ zählt gegenwärtig an 200 Mitglieder, der Handwerkerverein 110. Weder Franzosen, noch Engländer, noch Italiener in Konstantinopel rühmen sich einer ähnlichen Verbindung. Die „Società operaja“ der letzteren gleicht dem deutschen Handwerkerverein und hat sich diesem gegenüber, anläßlich des erwähnten Brandunglückes, welches denselben vor nicht langer Zeit betroffen hat, in hohem Grade freundschaftlich benommen.

Die Mitglieder des soliden und thatkräftigen schweizerischen Unterstützungsvereins „Helvetia“, sowie des deutschen „Turnvereins“ gehören zum größten Theil der „Teutonia“ an. Der „Deutsche Exkursions-Club“ will keine selbständige sociale Stellung einnehmen, aber er ist des schönen und edlen Zweckes halber, den er verfolgt, der Erwähnung werth, da er seinen Angehörigen die Möglichkeit zu verschaffen sucht, das an Denkwürdigem und Sehenswerthem reiche Konstantinopel und seine Umgebungen gründlich kennen zu lernen.

Die deutsche und schweizer Kolonie besteht im ganzen aus rund 1500 Deutschen und 200 Schweizern, von denen 1265 auf dem deutschen Konsulate eingeschrieben sind. Die Mehrzahl der Deutschen und der Schweizer gehört dem Kaufmannsstande an. Der Zuwachs der Kolonie richtet sich also in erster Linie nach den Handelszuständen in Konstantinopel und hat daher seit dem russischen Kriege nicht wesentlich zugenommen. Die blutigen Händel der Türkei mit anderen Nationen, der türkische Staatsbankerott hatten eine Zinsreduktion zur Folge und schädigten auch die Interessen der deutschen Kolonie. Die Kriegswirren des letzten Jahrzehnts, die Aufstände in Bosnien, Serbien und Montenegro, die bulgarischen Verwicklungen wirkten fortgesetzt nachtheilig, und die durch den russisch-türkischen Krieg hervorgerufenen Schwierigkeiten machten sich auch der deutschen Kolonie fühlbar. Wenn auch die nach dem Kriege eingetretene Reaktion das Geschäftsleben wieder in Schwung brachte, so verdankt doch der wohlhabende deutsche und schweizer Kaufmann in Konstantinopel – namentlich mit Rücksicht auf die theuren Lebensverhältnisse – seinen Erfolg mehr als auf irgend einem anderen Platze lediglich seiner außergewöhnlichen Geschäftskenntniß und fachmännischen Gewandtheit.

Mit dem gesunden Vereinsleben der Kolonie und ihrer socialen Kraft in Einklang steht ihre Schule, die „deutsche und schweizer Bürgerschule“ in Pera. Dieselbe verdankt ihren jetzigen Zustand ebenfalls der Einheit und dem Gemeinsinn der deutschen und schweizer Kolonie und ist ein erfreuliches Ergebniß der Vereinigung ihrer Kräfte. Schon lange vor Einweihung der evangelischen Kirche (1861) bestand eine sogenannte „preußische Schule“ in dem zu Pera gehörigen abgelegenen Stadtviertel Ainali-Tschesmé. Im Jahre 1868 gründeten Deutsche und Schweizer die jetzige Bürgerschule. Beide Schulen wurden fünf Jahre später verschmolzen und für die solcherweise zu Stande gekommene Gemeindeschule ward ein Grundstück angekauft und darauf ein Haus erbaut. Der größte Theil der Kosten wurde durch die Gemeinde selbst gedeckt, dann aber wurde diese auch durch namhafte und hochherzige Schenkungen des deutschen Kaisers unterstützt.

Der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Herr von Radowitz, welcher schon als Geschäftsträger in Bukarest ein warmes Herz für seine Landsleute bewies, vermittelte der deutschen Kolonie einen namhaften jährlichen Reichszuschuß für ihre Schule. Leider aber steht dem Auswärtigen Amte in Berlin zur Unterstützung für Schulen im Auslande nur ein verhältnißmäßig niedriger Betrag zu Gebote. Daher kommte es, daß auch die deutsche Schule in Konstantinopel nicht ganz ohne Sorgen in die Zukunft blickt. Dennoch fährt sie ruhig fort, ihre Aufgabe zu erfüllen, und wird sich hoffentlich auch in der Folge, wie bis heute, so fortentwickeln, daß sie im Stande ist, als Pflanzstätte deutscher Bildung und Sitte im Orient das Ansehen des Vaterlandes zu mehren. Daß die Schule heute diesen Zweck erfüllt, erweist sich aus dem Umstande, daß sie nicht nur von Deutschen und Schweizern besucht wird, sondern daß fast alle in Konstantinopel vertretenen Nationen Kinder in die deutsche Schule schicken. Namentlich mehrte sich die Schülerzahl in den letzten Jahren, so daß sie gegenwärtig über 300 beträgt. Den Grund hierfür haben wir weniger in der Zunahme der deutschen Bevölkerung in Konstantinopel zu suchen (da dieselbe seit dem Jahre 1877 sich fast gleich blieb), sondern einerseits in der freudigen Opferwilligkeit der deutschen Gemeinde, die ihren Stolz in das Gedeihen ihrer Schule setzt, andererseits in der Tüchtigkeit und dem harmonischen Zusammenwirken von Vorstand und Lehrerschaft. Seit 1876 ist Herr Bergrath Dr. E. Weiß, ein sehr verdienter und allgemein geachteter Mann (zugleich Präsident der „Teutonia“), Vorsitzender des Schulrathes.

Ein unvergeßliches Andenken bewahrt die Gemeinde Herrn Felix Mühlmann, jetzt Direktor des k. Seminars zu Oranienburg, der als Rektor der Bürgerschule (von Oktober 1879 bis Herbst 1887), unterstützt von tüchtigen Männern, durch redliches und unentwegtes Streben die Schule auf ihren gegenwärtigen Standpunkt hob.

Das Zusammenhalten und gediegene Vereinsleben der Deutschen und Schweizer in Konstantinopel steht demjenigen anderer Nationen voran und läßt sich nicht verweichlichen und verflachen oder, wie Murad („Türkische Skizzen“ I. S. 72) sich ausdrückt: „Es widersteht hartnäckig jeder Verschmelzung mit dem perotischen Element.“ Das wirkt naturgemäß befestigend auf den Zustand der gemeinschaftlichen Schule, und dies begründet es, daß Schulen anderer Nationen sich nicht der Frequenz der deutschen „Bürgerschule“ erfreuen können, wenn jene auch finanziell ausnahmslos besser gestellt sind als die deutsche Schule. Das Wachsthum der deutschen Schule bedeutet eine Mehrung deutschen Wesens und deutscher Kraft und ist für das Vaterland um so wichtiger, als Schüler der deutschen Schule, welche sich dem Kaufmannsstande widmen, fast ausnahmslos in deutschen Häusern Beschäftigung finden. Wenn sie also die Bedingung erfüllt, an und für sich und in ihrer Art eine der besten deutschen Schulen überhaupt zu sein und außerdem eine Menge besonderer Schwierigkeiten, die ihr in den Weg traten, zu überwinden vermochte, so muß uns die Lebens- und Thatkraft, welche in der deutschen und schweizer Kolonie zu Konstantinopel mächtig ist, mit Genugthuung erfüllen.

Eine jährliche Schulfeier, welche sich zu einem Fest für die ganze Kolonie gestaltet und jedes Frühjahr im deutschen Parke zu Therapia abgehalten wird, giebt dem freudigen Gefühl der Schulgemeinde und ihrem berechtigten Stolze Ausdruck. Wenn sich dann ein Zug von mehr als 300 Kindern, fröhlichen Knaben und Mädchen, mit deutschen und schweizer Fahnen durch die Stadt bewegt, um, weit weg von der Heimath, ein deutsches Jugendfest zu feiern, dann haben wir auch zu Haus alle Ursache, an dieser Freude theilzunehmen mit unseren besten Wünschen für Jung-Deutschland im Orient. G. A.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_107.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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