Verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
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zürnend auf den herab, der an seinem Lebensretter zum – Mörder geworden!“
Armer Chiotti! Unter solchen Umständen waren Trostgründe allerdings schwierig zu finden; als ich es aber dennoch versuchte, schüttelte er nur traurig den Kopf, um erst nach geraumer Weile mit plötzlich aufleuchtendem Blicke hinzuzufügen: „Nein, nein, mir könnte nur eines helfen, eines, und ich wollte, dieser Sturm –“ er stockte verlegen, bis ich ihn abermals mit freundlichen Worten aufforderte, seinem Wunsche rückhaltlos Ausdruck zu geben.
„Nun denn, Herr,“ meinte er endlich, „Ihr seid, wie gesagt, ein Landsmann des Fremden, und wenn es die Madonna fügte, daß auch Ihr –“
Es wollte doch nicht über seine Zunge, ich aber hatte begriffen.
„Danke schön,“ rief ich trotz aller Theilnahme hellauf lachend. „Ihr wünschet, daß die Bora auch mich in das Wasser fegte, um mich wieder herausfischen zu können, nicht wahr?“
„Beim Himmel, Herr, Ihr solltet so sicher wie ein Kind in Mutterarmen ans Ufer gelangen!“ betheuerte Chiotti, sprang jedoch mit dem letzten Worte wie besessen auf das scharf geblähte Segel zu, um es mit wenigen energischen Handgriffen zu reffen.
Da ich von der Erzählung des Mannes ganz und gar in Anspruch genommen war, hatte ich eine vom Karste heranjagende dunkle Wolke nicht bemerkt, welcher nun die Bora heulend folgte, wie dem fliehenden Hirsche die Meute. Den bald kläglich wimmernden, bald zornig aufschreienden Tönen der Lüfte antwortete dumpfes Brausen und Grollen aus der Tiefe des Meeres, nach der Volksmeinung Stimmen höllischer Geister, welche dem Gebote der Berghexe gehorchend sich anschicken, sündige Menschen und deren Werke in ihr finsteres Reich hinabzuziehen.
Dunkler und dunkler ward es; die Sonne sank als blutrother, strahlenloser Feuerball in ihr Wellengrab, und nur ein fahler Schimmer beleuchtete die schäumenden, gleich gierigen Ungeheuern aus der Tiefe aufspringenden Wogen, wie die muskulöse Gestalt Chiottis, welcher das Ruder mit der ganzen Kraft seiner nervigen Arme handhabte.
Eingedenk meiner geringen Ruderfertigkeit blieb ich ruhig auf meinem Platze, mein Wohl und Wehe dem anheimgebend, dessen innigster Herzenswunsch mich, wenn auch in bestgemeinter Absicht, in diese schäumenden Wellen versenkte; begreiflicherweise war mir dabei nicht allzu wohl zu Muthe, und ich hielt meinen Mann scharf im Auge, dessen Züge, sonst vom dunkelsten Braun, jetzt an Farbe dem fahlen Schimmer am Horizont glichen; was er aber auch denken mochte, er that seine Schuldigkeit als trefflicher Seemann, und mit dem letzten Schwinden des Dämmerlichtes waren wir, obgleich vom Sprühregen der hochgehenden See durchnäßt, in der sicheren Bucht geborgen.
Hier gab es eine eben so bewegte wie malerische Scene. Mehrere Fischerbarken waren schon vor uns eingelaufen, andere wurden noch erwartet, weinende oder betende Frauen standen gruppenweise am Ufer, auch Mäuner mit Laternen, deren Flämmchen unter der Gewalt des Sturmes gleich Irrlichtern bald verlöschend, bald hell aufleuchtend flackerten.
Bei unserer Ankunft löste sich von einer dieser Gruppen eine Frauengestalt, um mit dem Rufe „Andrea, mein Andrea!“ meinen Fährmann zu umschlingen.
„Ich habe hier noch zu thun, Angiolina,“ sagte dieser, das junge Weib nach kurzer Umarmung von sich drängend, „Du aber geh’ heim und sorge für den fremden Herrn; der Weg ins Albergo ist weit, sein Rock vom Salzwasser naß. Geh’, ich komme nach – auf Wiedersehen, Herr!“
Von seiner Eifersucht war der Mann offenbar geheilt; Angiolina dagegen blickte zögernd auf mich, doch Chiotti hatte sich schon den Männern zugewandt, welche sich eben mit der Instandsetzung eines Rettungsbootes beschäftigten; es blieb ihr keine Wahl, sie ging mit einem „Ist’s gefällig, Herr?“ mir alsbald voran.
Ich hatte die junge Frau noch nie gesehen, auch jetzt vor der dichten Kopfumhüllung nur ein Paar großer dunkler Augen erblickt; wie sie aber nun mit leichtem elastischen Schritt gegen den Sturm ankämpfte, der wüthend an ihren Kleidern zerrte, verriethen die Formen der mittelgroßen, schlanken Gestalt ein Maß von Anmuth und Schönheit, welches des jungen Fischers Leidenschaftlichkeit wenigstens in milderndem Lichte erscheinen ließ.
Nach wenigen Minuten hatten wir das von letzterem beschriebene Häuschen auf dem mit Reben und Obstbäumen bestandenen Hügel erreicht und traten in den Eingangsraum, welcher nach Landessitte zugleich als Wohnstube und Küche diente. Neben dem Feuer auf dem niederen Herde saß eine Matrone, mit der einen Hand die Kohlen schürend, mit der andern einen Knaben auf ihren Knieen haltend, welcher Angiolina mit frohlockendem Geschrei begrüßte, bei meinem Eintritte aber sofort verstummte, um mich mit verwunderten, mißtrauischen Blicken zu betrachten.
Eine kurze Verständigung zwischen den Frauen genügte, um mir den bequemsten Platz am Feuer zu verschaffen, von wo aus ich mit aller Behaglichkeit Umschau halten konnte. Nach landesüblichem Begriff war der Raum ungewöhnlich sauber gehalten; die Wände getüncht, der Ziegelboden gefegt, das Kupfergeschirr über dem Herde glänzend wie Gold und die Fischergeräthschaften an der Wand fast symmetrisch geordnet. An Bequemlichkeit oder Schmuck gab es, abgesehen von dem nie fehlenden, gewöhnlichen Madonnenbildchen mit der Lampe davor, allerdings hier eben so wenig wie in einer andern Fischerwohnung; doch machte sich dieser Mangel im Hause Angiolinas kaum fühlbar, solange sie selbst darin weilte. Und nicht die Schönheit allein war es, welche dies bewirkte, sondern die jugendliche, man möchte sagen jungfräuliche Anmuth, welche, wie in ihren Bewegungen, so auch in dem sanften reinen Ausdrucke der lieblichen Züge lag und mich sofort die Wahl meines Landsmann-Malers begreifen ließ.
Es war reizend anzusehen, wenn Angiolina mit dem kleinen „Mondo“ (Abkürzung von Edmondo, Edmund) spielte, wie eben nur eine junge Mutter zu spielen versteht, und das silberhelle Lachen der beiden stellte nicht nur mich, sondern auch die ernst dreinsehende Matrone an, so daß Lust und Fröhlichkeit den ganzen Raum erfüllte. Gewiß, man hatte recht, Chiotti zu beneiden, und nur dem Walten eines seltsam tragischen Geschickes war es zuzuschreiben, daß gerade der Beneidete den einzigen Schatten in die sonnige Heiterkeit des kleinen Fischerhauses warf. Mehrmals hatte ich das ängstliche Aufhorchen Angiolinas bemerkt, wenn mit den dröhnenden Windstößen ein Geräusch von Schritten in die Stube drang, und als ihr Gatte endlich kam, da wichen Frohsinn und Heiterkeit, und das kleine Heimwesen schien plötzlich kahl und düster gleich einem Gefängnisse.
Mit verstörter Miene, wirrem Haar und schleppendem Gang eintretend grüßte er mechanisch und schien erst durch meine Frage, ob ein Unglück geschehen, zu klarem Bewußtsein seiner Umgebung zu kommen.
„Ein Unglück, Herr? O nein!“ erwiderte er, wie sich besinnend; „ehemals passirte wohl dergleichen, doch seit ein Schuft das Salzwasser verunreinigt, will kein ehrlicher Mensch mehr ertrinken. Cospetto, sie kamen alle so trocken heim wie Heringe im Faß, und nun lachen sie und sind guter Dinge, weil sie meinen, es sei besser, in der warmen Stube zu sitzen als durch einen tölpischen Fährmann umgekippt zu werden!“
Blätter und Blüthen.
Dichterische Reliquien von Ernst Moritz Arndt. Wer würde nicht freudig überrascht den eleganten Band begrüßen, welcher unter dem Titel „Spät erblüht“ (Leipzig, Th. Thomas) eine ganze Anzahl aufgefundener Gedichte von Ernst Moritz Arndt enthält! Und zwar sind diese Gedichte nicht in späten Lebensjahren geschaffen; sie erscheinen nicht im Silberhaar des ehrwürdigen Alters, es sind nicht Sinnsprüche und Gedankenspäne patriarchalischer Weisheit; sie gehören der Glanzepoche Ernst Moritz Arndts an, als ihn noch jugendliches Feuer beseelte; sie stammen aus jener Zeit, als Arndt durch Napoleon I. gezwungen wurde, nach Schweden zu flüchten, wo er bei der Familie der später in Karlsruhe lebenden Freifrau von Munk ein Asyl fand. Aus Dankbarkeit schrieb er dort das Liederbuch für Kinder für sie nieder. Aus deren Nachlaß erhielt es Joseph Viktor von Scheffel und von diesem die Herausgeberin A. von Freydorf zum Geburtstagsgeschenk, als sie noch ein kleines Mädchen war. Autographen von Arndt und Scheffel gereichen dem Büchlein zur besonderen Zier.
Wenn indeß auch der Dichter selbst, wie wir von der Herausgeberin erfahren, der Sammlung den Titel „Gebetbuch für zwei fromme Kinder“ gab, so würde man sich doch irren, wenn man deshalb glaubte, alle diese
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_115.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)