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Seite:Die Gartenlaube (1889) 128.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

seinen Geist in einen hohen Schwung versetzen, um für diese Riesenkathedralen und burgartigen Alcazars den rechten Blick zu gewinnen; man muß mit seiner Phantasie in die fernen Zeiten zu dringen suchen, in denen um diese Steine das Leben des Volkes in üppiger Fülle wogte und die morgenländische Kultur die Ruinen abendländischer Barbarei in wunderbarem Reichthum überwucherte.

Keine spanische Stadt kann anregender zu solcher Versenkung in vergangene Tage sein als Toledo. Sie ist eine Reliquie der tausendjährigen Zeit, in welcher die Herrschaft der Römer, dann der Gothen, dann der Araber hier ihren bevorzugten Sitz gehabt hat.

Portal des Klosters San Juan de los Reyes in Toledo.

Man kommt ihr nicht nahe, ohne zu fühlen, daß man aus der Gegenwart in eine weit entlegene Vergangenheit sich begiebt. Als eine Felsenfeste hebt sie sich aus dem Tajothale auf, das vor ihr wie ein Abgrund erscheint, und wie ein Festungsgraben umschlingt sie der gewundene Fluß. Eine kolossale, schwärzliche Gebirgsmauer mit natürlichen Terrassen und hinein und darauf gebauten Bastionen aus früheren Zeiten verbirgt die Stadt, von der in der Tiefe nichts als hoch oben eine citadellenartige Krönung zu sehen ist. Keine Vorstadt, kein Haus, ehe man hinter diese Umwallung des Felskopfes gelangt. Die uralte Alcantarabrücke, über welche schön die karthagischen und römischen Krieger gezogen sind, führt über den Fluß und die Schlucht. Ein massiges Thurmthor mit Zinnen auf der Höhe, ein Werk der Araber, steht auf der Brücke.

Von derselben an steigt die Straße außen an der Felswand empor und öffnet den Blick immer weiter auf das Thal mit Weinbergen, Feldern und Wiesen. Ein anderes prächtiges maurisches Bauwerk, die Puerta del Sol, wölbt sich wie ein Triumphbogen über den Weg, als wolle es dem Ankommenden nochmals zu Gemüth fuhren, daß die Stätte, die er zu betreten sich anschicke, jahrhundertelang ein arabischer Herrschersitz gewesen, daß viele maurische Könige in funkelnder Rüstung auf feurigem Roß an der Spitze ihrer Veziere durch dieses Thor hinaus zu ihrem Alcazar geritten sind.

Hoch oben biegt die Landstraße an plumpem Burgwerk vorbei in enge, holperige, auf- und absteigende Gassen, die nach wenigen Schritten schon sich labyrinthisch verschlungen zeigen. Die Häuser sind meist zweistöckig, flach gedeckt, mit großen, geschlossenen Thoren, welche den Eingang in den Hausflur bilden. In ihrem hellfarbigen und sauber gehaltenen Anstrich, mit ihren breiten und hohen Fenstern und den schmalen Gitterbalkonen davor gewähren sie an sich einen nicht unfreundlichen Anblick in der düstern Enge der stillen Gassen. Charakteristik sind ihre durchbrochenen Eisenportale von kunstvoller Schmiedearbeit, wie solche Toledo einst berühmt gemacht hat; oder man sieht schwere Holzthüren, welche dicht mit eiförmigen, ciselirten Nagelköpfen beschlagen sind, gestochene Bronzeplatten, reich gearbeitete Metallklopfer, Schilder und Wappen wie eine Rüstung an sich tragen.

Das eigentliche Leben der Stadt entwickelt sich auf dem mit einer Arkadenreihe, mit Bäumen und Springbrunnen anmuthig ausgestatteten Hauptplatz und nahebei in den Gassen, wo es Läden, Gast- und Kaffeehäuser, Marktstände und offene Werkstätten giebt, in denen zugleich alle innere Häuslichkeit sorglos sich enthüllt: das Kind in der Wiege, die Mutter, die sich die Haare macht, der Vater, welcher am Schneidertisch hockt. Es ist beinahe noch alles, wie es vor drei und vier Jahrhunderten war, nachdem auf der altmaurischen Grundlage des Gemeindewesens sich das Spanierthum ausgebreitet hatte. Ein großer Theil der weiblichen Wesen hat auch ausgesprochen maurischen Typus, ein anderer wieder mit seinen Blondköpfen mahnt an die alte gothische Abstammung. Die Männer sind ernst, zurückhaltend, stolz auf ihre Stadt, die drei Königreichen nacheinander die erste gewesen. Einst, noch im 14. Jahrhundert, gab es hier eine Bevölkerung von zweihunderttausend Menschen; jetzt leben keine zwanzigtausend mehr in dieser Versteinerung vergangener Herrlichkeit auf diesen Resten römischer, gothischer, arabischer und mittelalterlich spanischer Macht. Am Ende eines Eisenbahnstranges gelegen, ist Toledo nur noch eine Sehenswürdigkeit seiner Alterthümer wegen, abgelegen vom Hauptstrom des modernen Lebens, ein stiller Platz, wie vergessen nicht nur von der zerstörenden, sondern auch von der neubildenden Zeit. Es treibt Kleinhandel und die unentbehrlichen Gewerbe für ein paar tausend Menschen der Stadt und der Umgegend, die noch etwas mehr kaufen können als ihre dürftige tägliche Nahrung. Seine einst bewunderte Goldschmiedekunst ist zurückgeblieben, selbst in den eigenartigen Arbeiten von feinem Eisen, mit Stahl und Bronze ausgelegt, ist Toledo nicht mehr ersten Ranges in Spanien. Nur die uralte Waffenfabrik, die der Staat unterhält, behauptet ihren hohen Ruf. Sie liefert in dem Eisenstahl, wie ihn schon die maurischen Klingenschmiede hier unübertrefflich gefertigt, alle blanken Waffen für die spanische Armee, für jeden Truppentheil, für jeden militärischen Rang eine besondere Gattung, Scheiden und Griffe oft mit kunstvollster Ciselirarbeit geziert.

Mitten aus dem Straßenlabyrinth, theilweise von demselben

eingezwängt, erhebt sich als vornehmstes Bauwerk die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_128.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
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