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Seite:Die Gartenlaube (1889) 130.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Kathedrale. Sie steht wie eine mächtige Burg mit ihren langen und hohen Mauern da und ihr starker Thurm mit achteckigem Helm ragt über hundert Meter in die Lüfte. Schon die reiche Ausführung der Portale zeigt, daß man es hier mit einem Prachtwerk der gothischen Baukunst zu thun hat; aber erst, wenn man den ungeheuren Innenraum zu überschauen vermag, begreift man die Großartigkeit der ganzen Anlage. Kirchliche Raumverhältnisse wie hier sind im anderen Europa auch nicht annähernd vorhanden. Das ganze Kirchenschiff des Straßburger Münsters, das 30 m hoch ist, könnte in die Mitte dieser Riesenhalle der Kathedrale von Toledo gestellt werden, die vom Fußboden bis zur Decke 33,8 m, 130 m in der Länge und 66 m in der Breite mißt. 750 Fenster mit farbigen Scheiben und Glasmalereien werfen ihr buntes Licht in diesen Raum, und er ist trotzdem nur in ein geheimnißvolles Halbdunkel getaucht. Fünf große Schiffe in der Länge und ein sechstes, welches sie im Hintergrund kreuzt, gliedern seine Weite, und 88 Pfeiler gewaltigen Umfangs, je aus 16 gebündelten Säulen gebildet, tragen das majestätische Gurtengewölbe. Nach dem engen und öden Gewirr der Straßen von Toledo vermeint man hier auf einem großen Platz zu stehen, auf dem eine Menge Kirchen nebeneinander liegt. Die ganze heutige Stadtbevölkerung kann sich bequem in diesem Bau versammeln, um zusammen ihre Andacht zu verrichten.

Erklärlich ist diese Größe des Bauwerks eben nur, wenn man an die frühere Bedeutung und Einwohnerzahl Toledos denkt und die religiöse Leidenschaft in Rechnung zieht, mit der die spanischen Christen ihre Siege über die mohammedanischen Araber nach jahrhundertelangen Kämpfen verherrlichten. Für diese Siege sollten ihre Kathedralen zeugen und der Nachwelt noch sie in Erinnerung rufen. Wo die maurischen Eroberer ihre prachtvollen Moscheen errichtet hatten, in deren Größe und Herrlichkeit sie den Triumph des Islams über das Abendland feierten, da bauten, auf ihren Ruinen, oder innerhalb ihrer Mauern, mit ihren Steinen und Säulen, die katholischen Sieger ihrerseits in heißem Ehrgeiz ihre Kirchen so groß wie möglich, wie nirgend anderswo. Allen früheren Geschlechtern, die für den christlichen Glauben gekämpft und gefallen, sollte damit auch eine Genugthuung ohne gleichen bereitet werden. Die Kathedrale in Toledo, der alten gothischen Haupt- und Bischofsstadt, war überdem eines der ersten unter diesen Triumphmonumenten der spanischen Christen, und ringsum herrschten noch lange die Mauren, als sich schon längst das Kreuz auf der Spitze ihres Thurmes mahnend erhob. Der Bau begann 1227 unter der Regierung des heiligen Ferdinand; 250 Jahre währte er und war gerade fertig geworden, als 1492 die letzten Maurenreiche in Spanien, die von Malaga und Granada, zusammenbrachen.

Puerta del Sol.

So stand das Wunderwerk also in doppelter Siegesbedeutung da und wurde als ein Heiligthum besonderer Art fortan verehrt. Alle Reliquien, welche die gothischen Spanier vor den Araberheeren gerettet und die ihnen in ihren Zufluchtsstätten in den nördlichen Gebirgen so lange gleich nationalen Standarten und Kleinoden gegolten, brachten sie in diesen hehren Tempel von Toledo, der sich zuerst auf dem entweihten Boden wieder erhoben. Da betteten sie die frömmsten unter ihren alten Bischöfen und Königen zur ewigen Ruhe; dahin flossen die Stiftungen, Schätze über Schätze von hunderterlei Art, und nach und nach sammelte sich hier ein ungeheurer Reichthum an Gold und Silber und Edelsteinen, an herrlichen Kunstwerken, an Gemälden, an Handschriften und Büchern, an Monstranzen und Gewändern, an Statuen und Büsten, Sarkophagen und Kreuzen.

In der Kathedrale offenbart sich die üppige Kraft des siegreichen Spanierthums im Mittelalter. Zeugniß für sie ist in Toledo noch der reiche und doch reine gothische Bau des Klosters und der Kirche San Juan de los Reyes, der 1477 unternommen wurde, nachdem die Kathedrale vollendet war. Die Kirche sieht aus wie eine Burg. Ihr Dach ist eine flache Terrasse, von einem Steingeländer umgeben, und darauf erhebt sich aus einem Kreise von Bildsäulen spanischer Könige eine sechseckige Kuppel. An dem dunklen Gemäuer hängen von oben bis unten in Reihen die großen Eisenketten, welche den christlichen Gefangenen nach der Eroberung Granadas abgenommen wurden, gewiß eine eindrucksvolle Zier, welche die Phantasie lebhaft beschäftigen muß. Verödet und gruftartig wie die Stadt Toledo, so ist längst auch Kloster und Kirchenhalle von San Juan. Aber architektonisch bilden sie eins der edelsten Denkmäler der Gothik.

Man hat von dem umwallten Platz vor der Kirche und vollends von ihrer Dachterrasse aus einen schönen Blick in das unten sich ausbreitende Thal, wie von einem vorspringenden Altan. Auf dem Kirchenplatze wurden in alten gothischen Zeiten die Reichsversammlungen abgehalten, die Konzile, auf denen die Bischöfe die Rolle der Herrscher spielten und die Könige wie ihre Vasallen erschienen. Jede dieser Sehenswürdigkeiten Toledos ist eben wie ein Legendenbuch, in dem man blättert; überall zeigt es ein Stück Geschichte, das in eigenartig pittoresken Bildern schnell an unserem geistigen Auge vorüberfliegt.

Toledo hat das Geschick Spaniens und zwar auch das unglücklichste innerhalb eines Jahrtausends bestimmt. Von hier aus rief eine Partei am Westgothenhofe im Sommer des Jahres 711 die Araber ins Land, um König Roderich zu stürzen, der dann bei Xeres de la Frontera in Andalusien nach einer furchtbaren Schlacht von angeblich sieben Tagen heldenmüthig im Kampfe fiel. Und König Roderich war insofern selber die Ursache dieser verhängnißvollen Katastrophe gewesen, als er des Grafen Julianus Tochter nach einem seiner Schlösser bei Toledo entführt hatte. Graf Julian rächte sich dadurch, daß er die Araber bei Ceuta in Afrika, wo er sie aufhalten sollte, sich ungehindert nach Spanien einschiffen ließ. Toledos Erzbischof und Generalinquisitor Bernardo de Roias war es dann wieder, der im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts die wahnsinnige Vertreibung aller maurischen Nachkommen veranlaßte und dadurch eine barbarische Vernichtung der Kultur gerade in den blühendsten Provinzen des Landes bewirkte. Eine Million von Moriskos, wie man die zurückgebliebenen und äußerlich zum Christenthum bekehrten Mauren nannte, wurde schmählich nach Afrika hinüber gejagt, wenn man sie nicht ermordete oder unterwegs verhungern ließ. Ihr Abzug machte Spanien zur Wüste; in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts hatte Toledo über fünfzig Wollenwaarenfabriken; hundert Jahre später nur dreizehn, da fast diese ganze Industrie von den Moriskos nach Tunis mitgenommen worden war. Vierzigtausend Menschen hatten von der Seidenbearbeitung gelebt. Nach Vertreibung der Ungläubigen schauten sie vergebens sich nach Mitteln für ihren Unterhalt um.

Unweit von San Juan de los Reyes ist eine alte Synagoge, fünfschiffig, mit kleinen achteckigen Säulen und maurischen Bogen darauf, die Decke von getäfeltem Cedernholz, an den Wänden arabische Inschriften, der Raum von oben erleuchtet. Die Juden bauten sie, die Mauren machten eine Moschee daraus, die Christen eine Kirche, die sie Santa Maria la Blanca nannten. Noch ein anderer jüdischer Tempel ist in Toledo, eine viereckige Halle mit Säulen, die Guirlandenkapitäle haben und in die Decke vierundfünfzig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_130.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
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