Verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
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schönen finstern Augen sahen verständnißlos zu ihm hinüber. Sie glaubte, er rede im Weinrausch.
„In allem Ernst!“ betheuerte der Lieutenant, „Dein Mann packte eben den Handkoffer für eine kleine Reise nach New-York; ich habe mich vor dem Schwall seiner zornigen Flüche rückwärts konzentrirt. Jedenfalls hat er seiner Mutter, die ihn bewegen wollte, zu bleiben, fast den Kopf abgerissen.“
„Wie kam es?“ fragte Lore, und ihr Kopf sank an die Lehne des Sessels.
„Er erhielt eine Depesche, weiter weiß ich nichts. Ich verhandelte gerade mit ihm über eine Zulage, die er mir natürlich nur leihen sollte – da fiel das Kabeltelegramm hinein und er lief Hals über Kopf zur Frau Elfriede hinunter. Wahrscheinlich doch geschäftliche Interessen –.“
„Und ich bleibe hier?“ flüsterte Lore.
„Ja, es war wenigstens absolut nicht die Rede von Deiner Begleitung. Ich soll Dir nur sagen, daß er in einer Viertelstunde kommt, um Abschied zu nehmen.“
Frau von Tollen hatte sprachlos dabei gesessen. „Giebt er Dir das Geld?“ fragte sie jetzt.
Der Lieutenant zuckte die Schultern. „Er läßt gar nicht mit sich reden, er ist furchtbar gereizt und verstimmt; schließlich antwortete er mir, warum es denn Viktor nicht thue?“ – Der junge Offizier lachte kurz auf. „Es ist eine reizende Situation. Da höre ich übrigens den Schlitten, er kommt schon.“
Vor dem Hause verstummte das Geläut, die Thürglocke erscholl und im Flur stampfte jemand den Schnee von den Stiefeln. Dann knarrte ein schwerer Tritt die Stiege herauf.
Lore war aufgestanden und hatte sich hinter dem Ofen auf einen Stuhl gekauert; sie saß da mit emporgezogenen Schultern. Frau von Tollen ging dem Schwiegersohn bis zur Thür entgegen: „Guten Tag, lieber Becker; ich höre, Sie verreisen so eilig?“
„Es geht unsereinem wie dem Soldaten,“ erwiderte er, „wir müssen immer auf dem Posten sein. Wo ist meine Frau?“
Lore neigte sich vor. „Hier!“ sagte sie, ohne ihn anzusehen.
„Was sagst Du zu der Ueberraschung?“ fragte er, und jetzt blickte er an ihr vorüber. „Nette Hetzerei! Morgen früh neun Uhr geht zum Glück erst der Dampfer. Aber so ist’s, wenn man Pläne macht! Ich dachte, wir würden morgen zusammen abfahren, jetzt –. Meine Mutter wird Dich heute abend abholen,“ wandte er sich zu ihr, „und Dich, wenn ich zurückkomme, nach Hamburg begleiten. Wir reisen von dort aus nach Italien; März, April sind noch die besten Monate an der Riviera. Es thut mir leid, daß ich jetzt ohne Dich fortgehen muß, aber die Geschäfte drüben sind derart, daß ich Dich beständig allein lassen müßte; da möchtest Du Grillen fangen.“
Dann ging er zwischen Tisch und Ofen zu Lore hinüber, und indem er sie unter das Kinn faßte, hob er ihr Gesicht in die Höhe.
Frau von Tollen winkte dem Sohne, und beide gingen hinaus.
Die junge Frau rührte sich nicht, sie war nur noch blasser geworden, und die Augen hielt sie halb geschlossen, die Lippen fest auf einander gepreßt.
„Es ist eine verdammte Geschichte, Lore,“ sagte er. „He? Als wäre es verhext mit uns. Und zu allem behandelst Du einen noch niederträchtig schlecht, bei Gott, unverdient, Lore! Ich bitte Dich dringend, mein Schatz, laß diesen hochadligen Zug um Deinen Mund weg, hörst Du? Ich möchte Dir bei dieser Gelegenheit ein für allemal sagen, daß ich mir ein anderes Benehmen ausbitte; ich will freundlich, ich will liebevoll behandelt werden!“
„Ich habe Ihnen bei unserer Verlobung der Wahrheit gemäß erklärt, daß ich Sie nicht liebe,“ sagte sie laut und fest.
„Allerdings hattest Du die liebenswürdige Ehrlichkeit, aber Du fügtest hinzu, Du glaubtest mir eine pflichtgetreue Frau sein zu können.“
„Ja – damals! Ich wollte es auch,“ flüsterte sie.
Er verstand es nicht. „Was sagst Du?“
Sie antwortete nicht.
„Nun, kurz und gut,“ fuhr er fort, in einen polternden Ton übergehend, „ich hoffe, Dich in anderer Verfassung wiederzufinden. Ich bin nicht der Mann, der sich von seiner Frau auf der Nase herumtanzen läßt, absolut nicht, mein Kind. Wenn Du geglaubt hast, mir eine Gnade zu erweisen, indem Du mir Deine aristokratische Hand hinunter reichtest, so –“
Er brach ab, sie hatte sich erhoben und stand da an dem alten Ofen, hoch aufgerichtet, entschlossen, in ihren Augen glühte es wie Kampflust.
„Es war keine Gnade von mir,“ sagte sie ruhig, „es war einfach ein Handel, den Sie mit meinen Angehörigen eingegangen sind, und ich – ich ließ mich verschachern, um meinem Vater einen herben Kummer zu ersparen. Ich bedachte nicht, daß es so schwer ist, sich zu opfern. Ich wollte Ihnen dies bereits am Hochzeitsabend in Berlin sagen, nur etwas anders. Da hatte ich noch den Willen, neben Ihnen zu leben, Ihrem Hause vorzustehen; ich wollte Sie bitten, mir Gelegenheit zu geben und Frist, das Vertrauen, das Sie von mir forderten, gewinnen zu können, nach und nach. – Ich bin keine Natur, die leicht vertraut und glaubt. Nun ist mein Vater todt und ich finde nicht mehr die Kraft, das, was ich in der Verzweiflung gelobte, zu tragen ein ganzes Leben hindurch, denn ich fühle es, ich werde nie ein Herz zu Ihnen fassen, werde Ihnen nie vertrauen können, von Liebe gar nicht zu reden. – Und darum – geben Sie mich frei!“
Einen Augenblick blieb es still in dem Gemach, nachdem ihre Stimme verklungen war. Seine kleinen runden Augen hatten sich seltsam vergrößert. Nun schlug er eine helle Lache auf.
„Ich dachte allerdings nicht, daß ich Dich so zum Scherzen aufgelegt finden würde,“ sagte er endlich, noch immer mit kleinen Lachanfällen kämpfend. „Also, Du wirst mich nie lieben können? Und das wolltest Du mir schon in Berlin sagen? – Und wen liebst Du denn, wem vertraust Du? Dem andern – dem – dem –? Ihr seid doch klassisch, Ihr Frauen!“
Er wischte sich die Thränen aus den Augen, die das Lachen hinein getrieben, nahm seine Uhr heraus, that einen Blick darauf, und in einen ernsthaften, fast geschäftsmäßigen Ton übergehend fuhr er fort: „Du wirst von heute ab bei meiner Mutter wohnen. Damit Du kein Heimweh bekommst, stelle ich Dir frei, Deine Angehörigen so oft einzuladen, wie es Dir beliebt. Ich habe auch nichts dagegen, daß Du abends beim Mondschein am Fenster seufzest, so viel Du Lust hast. Eifersüchtig bin ich nicht, trotz des interessanten ‚Gegenüber‘! Und wenn Du Appetit auf irgend einen lyrischen Dichter verspürst, der zufällig nicht in Deiner Bibliothek vorhanden ist, so laß ihn Dir vom Buchhändler kommen. Kurzum, amüsire Dich auf Deine Art während meiner Abwesenheit, aber – scheiden lassen oder, wie Du Dich so zart ausdrückst, Dir die Freiheit zurückgeben nach vier Tagen des Verheirathetseins –“ und wieder brach er in Lachen aus – „das kannst Du nicht verlangen, Schatz! Aber, es ist niedlich, es ist originell und gäbe einen hübschen Stoff zu einem Lustspiel.“
Er hatte das Lineal des Verstorbenen, das vor ihm auf dem Tische lag, genommen und hieb pfeifend durch die Luft damit. „Ein sehr hübscher Stoff zu einem Lustspiel,“ wiederholte er.
Sie stand noch immer da, den verächtlichen Ausdruck in den großen Augen. „Ich sprach nicht im Scherz,“ sagte sie kühl.
Er hielt inne mit Lachen und sah sie an, und das Blut schoß ihm in das Gesicht. „Ah!“
„Ich bitte Sie allen Ernstes, lassen Sie mich bei meiner Mutter! Es paßt so gut, wenn Sie jetzt reisen, und es wird somit weniger Aufsehen machen, wenn wir uns trennen.“
Er hielt sie plötzlich mit eiserner Faust an der Schulter gepackt und schüttelte sie wie ein schwaches Bäumchen hin und her. Lore starrte in ein von Leidenschaft und Wuth verzerrtes Gesicht, als er sie freiließ. Sie hatte keinen Versuch gemacht, sich zu wehren.
„Warum?“ fragte er heiser, und das Lineal durchschnitt die Luft.
„Ich weiß es nicht,“ stammelte sie fast ohnmächtig, „ich weiß nur das Eine, ich kann nicht mit Ihnen sein – geben Sie mir mein Wort zurück!“
Das Lineal zerbrach mit lautem Krach auf der Tischkante. „Niemals!“ sagte er heiser, „hörst Du – niemals! Und wenn Du und ich daran vergehen sollten!“
Es trat eine lange Pause ein. Die wahnsinnigste Eifersucht packte ihn plötzlich. Sie stand da, so hilflos, sie erschien ihm so schön wie nie in ihrer zornigen Verwirrung. – Wenn er hier bleiben könnte! Es war, als treibe ein Dämon sein Spiel mit ihm – diese verdammte amerikanische Geschichte! Er faßte hastig in seine Tasche, dort steckte die Depesche, die fatale Depesche, er kannte sie auswendig; er hatte längst so etwas gefürchtet:
„Erfahre soeben, daß El. beabsichtigt, Sie in Deutschland aufzusuchen. Kommen Sie und ordnen Angelegenheit sofort. C.“
Er mußte hinüber, es konnte ein Höllenspuk sonst werden, und er durfte Lore nicht mitnehmen, er mußte sie hier lassen. Er murmelte etwas Unverständliches und sah wieder nach der Uhr.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_134.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)