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Seite:Die Gartenlaube (1889) 135.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Na, Lore, nun sei vernünftig,“ sagte er einlenkend. „wir gehören nun einmal zusammen und werden uns einleben. Ich bin ein guter Kerl – wer weiß, ob Du mit dem andern glücklich geworden wärst. Was ist er denn? Was hätte er Dir geboten?“

„Ich verstehe nicht, was Sie meinen,“ unterbrach sie kühl.

„Na, den Herrn Doktor Ernst Schönberg, zum Donnerwetter! Hol’ ihn dieser und jener!“ polterte er.

„Ich verlange zu wissen, woher Sie erfahren, daß Doktor Schönberg mir nahe stand?“ sagte sie, den Kopf erhebend.

„Hm!“ Er zog langsam eine Brieftasche aus dem Jackett und nahm einen Zettel heraus und in dem sinkenden Tageslichte hielt er ihr das Blättchen, ihren Abschiedsgruß an den Geliebten, unter die Augen. „Eine Verwechslung wie im Lustspiel.“

„Und Sie lasen das, Sie wußten, daß ich ihn liebe, und Sie streckten dennoch die Hand nach mir aus?“ schrie sie verzweifelt und griff nach dem Papier.

„Oho!“ Er wich zurück und legte das Blättchen in sein Portefeuille, ohne in das von dunkler Scham erglühte Antlitz zu sehen. „Das ist werthvoll für künftig,“ sagte er gelassen. „Du weißt nun, woran Du bist, mein Schatz.“

Sie strich sich das Haar aus der feuchten Stirn. „Gut,“ sprach sie wie zu sich selbst, „so komme denn, was kommen muß!“

„Was heißt das?“

Sie zuckte die Schultern „Ich trage allein die Schuld,“ sagte sie dumpf.

„Siehst Du es ein? und siehst Du ein, daß Du kein Recht hast, solchen Blödsinn zu fordern, wie Du vorhin gethan?“

„Ich sehe ein, ich habe keinerlei Rechte.“

„Du gehst in Dein Hans, heute noch?“

„Ja!“

„Und wirst vernünftig?“ Sie antwortete nicht. Er wußte nicht, was er noch fragen sollte, er fürchtete sich vor ihren starren Augen. „Komm her, und gieb mir die Hand!“ sagte er befehlend.

Sie nahm ihr Kleid zusammen und ging an ihm vorüber zum Fenster. „Niemals!“ klang es in sein Ohr.

Niemals! Er verstand sie plötzlich und zuckte leicht die Schultern „Pah! – Weibergrillen!“ Er sah wieder nach der Uhr. Tausend noch einmal, er mußte eilen „Du könntest mich nach der Bahn begleiten,“ bat er, „es sähe doch wenigstens aus, als ob wir beide zusammengehörten.“

Sie hob unmerklich die Schulter und schwieg.

„Adieu!“ sagte er unsicher. „Vertrage Dich gut mit Mama. Verzeih, wenn ich heftig wurde, aber – da soll ein Lamm die Geduld nicht verlieren!“

Sie rührte sich nicht, sie wandte sich erst um, als ein paar Sekunden später die Thür krachend ins Schloß fiel. Dann stand sie auf und lauschte, wie er im Flur noch mit ihrer Mutter sprach; sie konnte nicht verstehen was, aber es klang ruhig und verbindlich.

„In vier Wochen bin ich zurück,“ scholl es jetzt, „trösten Sie unterdeß meine kleine Frau!“

Sie ließ den Arm sinken. „An unzerreißbarer Kette!“ flüsterte sie. „Ein Leben der Lüge, der Verstellung, des Elends!“ Und als der Schlitten fortgeklingelt war, da nahm sie Mantel um und Hut und lief im letzten Grauen des Wintertages hinaus nach dem Kirchhof. – Sie kehrte naß und fröstelnd nach einer Stunde zurück, sie hatte keinen Trost gefunden an dem stummen Grabe.

Rudolf kam just vom Bahnhofe, wohin er den Schwager begleitet hatte. „Ich soll noch einmal grüßen“ sagte er verdrießlich zu Lore.

Frau von Tollen sah ihn fragend an.

Er strich den Schnurrbart. „Essig! Er könnte sich doch nicht zum Bankier für die ganze Familie machen, erklärte er mir.“

„Lore,“ fragte die Majorin, „Du sprachst wohl nicht mit Deinem Mann über Rudolfs Angelegenheit?“

„Ich?“ erwiderte die junge Frau so empört, als habe man ihr eine Beleidigung zugefügt.

Die Majorin senkte den Kopf, der Lieutenant biß sich auf die Lippen. „Na, laß nur, Mama,“ sagte er, „ich muß wieder zum Juden; mag’s denn so lange gehen wie es geht –.“

Lore ging aus dem Zimmer; sie sagte, sie wolle die Lampe holen, kam aber nicht zurück. Als um acht Uhr der Wagen vorfuhr, der sie holen sollte, suchte man im ganzen Hause nach ihr, endlich fand man sie im Garten, in den verschneiten Wegen umhergehend ohne Tuch und Hut, mit Wangen, die wie im Fieber glühten. Und nun sollte sie fort aus dem Vaterhause, wirklich fort!

Mutter und Geschwister hatten sich zu dem einfachen Abendbrot gesetzt in der kleinen Eßstube, während sie sich Hut und Mantel holte. Sie trat dann zu ihnen und ihre Blicke flogen über den Tisch. Für sie war kein Platz mehr. Sie hätte ihr Leben dafür gegeben, hier sich niedersetzen zu dürfen und die Brotscheiben aus der Mutter Hand zu empfangen, wenn alles noch gewesen wäre wie sonst, in Noth und Kummer – und daneben die Hoffnung auf goldene Zeit.

Das kleine Dienstmädchen kam mit rothgeweinten Augen herein und fragte, ob die gnädige Frau noch nicht bereit sei. Der Diener behaupte, die jungen Pferde ständen so schlecht.

„Warum weinen Sie denn?“ fragte Käthe.

„Frau Majorin haben mir eben gekündigt,“ stotterte es.

Die alte Dame sah auf ihren Teller. „Ich kann sie doch nicht behalten,“ murmelte sie.

„Adieu!“ sagte Lore rasch mit fast heiserer Stimme. „Ich komme morgen wieder.“ – Der Lieutenant brachte sie an den Wagen.

Drinnen im Zimmer weinte Frau von Tollen, nur Käthe aß und trank. In ihr glühte und blühte es trotz Eis und Schnee, trotz des frischen Grabes da draußen auf dem Kirchhofe und trotz der Thränen der Mutter. Sie setzte sich, nachdem abgeräumt war, an den Tisch zur Lampe, hielt sich die Ohren zu und las mit glühenden Wangen. „Was liest Du da?“ fragte die Majorin aus alter Gewohnheit.

„Die Frithjofssage, Mama. Doktor Schönberg hat mir das Buch geliehen.“




Frau Elfriede Becker war über die plötzliche Abreise ihres Sohnes so erregt, daß sie ihr liebes Schwiegertöchterchen nicht selbst abholen konnte. Sie hatte sich auf eine Chaiselongue gelegt und Tante Melitta saß neben ihr und half ihr bei den Klagen über dieses dumme Geschick der armen jungen Leutchen.

Lore kam eben mit ihrem heißen Gesicht über die Schwelle in das wohldurchwärmte, sanfterleuchtete Gemach, in welchem es nach Patchouli und Baldriantropfen duftete; es schien ihr, als müsse sie ersticken, so hämmerte ihr das Blut in den Schläfen.

Frau Becker weinte ein wenig. „Ich habe die Tante Melitta holen lassen, Goldherzchen, damit es Dir nicht zu einsam ist beim Souper,“ klagte sie und reichte der jungen Frau die Hand. „Bitte, liebstes Fräulein von Tollen, sorgen Sie doch, daß es der kleinen Strohwitwe behaglich wird in ihrem netten Heim.“

Lore ging mechanisch hinter Tante Melitta her nach dem oberen Stock. Man hatte ihre Zimmer erleuchtet, die Jungfer war da, um ihr Hut und Mantel abzunehmen, der ganze Apparat einer reichen Häuslichkeit begann um sie zu spielen.

Tante Melitta saß unter einem riesigen Oelgemälde in schwerem Goldrahmen, ein Waldidyll darstellend, auf dem blaßblau und weiß geblümten, von lichten Silberfäden durchzogenen Atlaspolster und schwatzte in ihrer eintönigen Weise.

„Du siehst entsetzlich echauffirt aus, Lorchen, aber gelt, Du hast es doch superb hier oben. Sieh nur diese entzückenden Rokokomöbel, und wie sich der dunkelblaue Sammet reizend macht zu dem hellen Stoff – und wie graziös sind die Portieren aufgenommen! Weint die Mutter noch viel, Lore? – Ach Gott, es ist ja auch hart, und Leo war ein braver Mann, ich kannt’ ihn wie keiner, er war ja mein Bruder –. Das ist recht, Herzchen laß Dir warme Schuhe anziehen. Und sieh nur das Schlafzimmer,“ fuhr sie fort und folgte Lore, „auch ganz wundervoll! Es ist wohl Mode jetzt, daß es so dunkel gehalten wird? Eigenthümlich, dieses Roth – ist es das sogenannte Pompejanische Roth?“

„Kupfer heißt die Farbe,“ erklärte die Zofe, die das vom Tapezierer gehört hatte, und half ihrer Herrin in ein warmes Morgenkleid.

„Friert Dich, Lore?“ erkundigte sich Fräulein Melitta und befühlte die Schnitzerei der aus schwarzem Holze gefertigten, mit Gold inkrustirten Möbel.

„Ja, und ich habe so furchtbares Kopfweh.“

„Du siehst auch so roth aus, die Augen ganz verschwollen. Du solltest Dich bald nach dem Essen legen.“

„Ich will nicht essen, Tante.“

„Aber wir haben ja ein so nettes kleines Souper,“ klagte die alte Dame.

„Ich bitte, Tante, entschuldige mich bei Frau Becker,“ stammelte Lore. Ihr war so schwindlig, daß sie sich an dem geschnitzten Bettpfosten halten mußte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_135.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)
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