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Seite:Die Gartenlaube (1889) 191.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Auf diesem Höhepunkt angelangt, erwies sich seine Liebe allerdings als völlig hoffnungslos, denn Cäcilie war unheilbar krank.

Was nun folgt, bedarf keiner Erläuterung mehr. Das geliebte Wesen von Tag zu Tag dem Tode entgegenwelken zu sehen, das ist ein Schmerz, der auch die stärkste Natur aufreiben kann. Ernst Schulze war aber eine zu zartbesaitete Natur, die den Schlägen des Schicksals nur eine geringe innere Lebenskraft entgegenzusetzen hatte. So wankte er zwischen Schmerz und Hoffnung unruhig hin und her, bis ein rauher Dezembermorgen ihm die entsetzliche Gewißheit brachte. Im Tagebuch des Dichters heißt es an jenem Tage: „Holde Laura, ich will Dein Petrarca sein! Einst zweifelte ich an einer solchen Liebe und Du sagtest mit stillem Vertrauen: ‚Warum glauben Sie nicht, daß die Liebe so geistig, so dauernd sein könne?‘ O Du beschämtest mich damals, aber ich werde halten, was Du versprachst. So lange meine Lieder leben, sollst auch Du nicht sterben!

Jetzt liegst Du da im heil’gen Schoß der Stille,
Noch glänzt die Stirn, die Wange noch so mild,
Noch schwebt der Geist um seine theure Hülle
Und schmückt mit ernstem Reiz das theure Bild.

Doch ich muß trüb und weinend fort mich wenden,
Denn ach, der Ruf der kalten Wahrheit spricht:
Es war ein Traum, und jeder Traum muß enden,
Was sterblich ist, das hoff’ und zage nicht!“

Als man Cäcilie Tychsen begrub, senkte man auch des Dichters bestes Lebenstheil, sein Hoffen und Sehnen, in die kühle Erde hinab. Ungemessener Schmerz und finstere Verzweiflung bemächtigen sich seiner in der ersten Zeit. Erst nachdem er die Idee erfaßt, der theuren Todten ein poetisches Denkmal zu setzen, wird er gefaßter, ruhiger. „Ich will ein Werk dichten,“ schreibt er einem Freunde, „worin Cäciliens Charakter bis in seine kleinsten Feinheiten dargestellt werden soll . . . In Cäcilien soll die christliche Sehnsucht nach dem Himmlischen und Ewigen dargestellt werden, und ich selbst will in demüthiger Entfernung als die irdische Liebe neben ihr stehen.“

Die Idee dieses Gedichtes und die Arbeit an demselben war nun lange Zeit seine einzige Freude und sein Trost. Die große Wandlung, die sein Geist durchgemacht, kam jetzt erst zur charakteristischen Aeußerung. „Der Uebergang vom schwärmerischen Glück zu einem Schmerz, von dem er sich bis dahin keine Vorstellung machen konnte, hatte allen seinen Gedanken eine andere Richtung gegeben.“

In dieser Stimmung schrieb er sein Gedicht. Binnen Jahresfrist waren nahezu zwölf Gesänge fertig, aber die befreiende Stimmung, die es dem Dichter bringen sollte, wollte sich nicht einstellen. Ja, seine Melancholie wurde noch vermehrt durch neue Irrungen und Wirrungen des Herzens, die ihn zu der liebenswürdigen Schwester der Dahingeschiedenen führten. Die Episode des fünften Gesanges der „Cäcilie“ enthält auch die Geschichte dieser neuen Neigung, die aber nicht von so kurzer Dauer war, wie der Dichter dort sie schildert. Das Schicksal wollte seinen süßen Traum nicht wahr machen, und der Gemüthszustand Ernst Schulzes wurde durch diese neue Enttäuschung noch mehr verdüstert.

Erst der Kriegslärm, der im Herbst 1813 sich immer näher an sein Heimathland zog, weckte ihn aus seinem dumpfen Traumleben auf. Er erinnert sich der heiligen Erbschaft patriotischer Gesinnung, die ihm Cäcilie hinterlassen, und schließt sich der allgemeinen Bewegung an, welche damals alle Deutschen erfaßt hatte. Er trat in die Reihen der Freiwilligen ein, die 1814 gegen Frankreich auszogen, um der heiligen Sache des Vaterlandes zu dienen. Unter den Beschwerden und Entbehrungen des Soldatenlebens kräftigte sich seine schwankende Gesundheit wieder, sein Geist aber verharrte in jener trüben Stimmung, die ihn zwischen Unmuth und Verzweiflung fast willenlos hin- und hertrieb. Mancherlei Mißverhältnisse, die erfolglosen Bemühungen um eine ihm zusagende Stelle, die geringen Erfolge, die Schulze als akademischer Lehrer zu erreichen vermochte, endlich der volle Bruch mit dem Tychsenschen Hause kamen dazu, um des jungen Dichters Lebensstimmung immer mehr zu verbittern. Der trostlos nüchterne Ausgang, den seine Neigung für Adelheid Tychsen hatte, raubte ihm allen Muth; ja es scheint, als ob er einen schmerzlicheren Eindruck hinterlassen hätte als der Tod Cäciliens, der zwar in der Seele des Dichters einen unvertilgbaren tiefschmerzlichen Riß verursacht, zugleich aber seinem ganzen Wesen einen höheren Schwung und seinem dichterischen Vermögen eine gehobene Stimmung verliehen hatte. Sein Charakter war den Mißverhältnissen, die aus dieser schwärmerischen Doppelneigung entstanden, nicht gewachsen; an Leib und Seele zehrten schmerzliche Erinnerungen und getäuschte Hoffnungen. Italien ward nun das Ziel seiner Wünsche. Um den trüben Gedanken zu entgehen, die der Aufenthalt in Göttingen täglich neu hervorbrachte, machte der Dichter zunächst 1816 eine Rheinreise, dann kehrte er in seine Vaterstadt Celle wieder zurück, immer noch mit Plänen und Hoffnungen sich tragend und stets von neuem gegen den Dämon der Schwermuth ankämpfend, indem er sich „zur Mannheit und zur That“ aufzuraffen suchte.

Vergeblich! Der Keim eines innern Leidens hatte bereits zu tief seinen Körper erfaßt; aber je tiefer die Schatten seines Lebens fielen, desto höher schwang sich sein poetischer Genius. Wie in einem Wurf hatte er in schmerzfreien Stunden ein Gedicht vollendet, das er für das Preisausschreiben des Leipziger Buchhändlers Brockhaus bestimmt hatte und das in der That auch den Preis erhielt. Es war „Die bezauberte Rose“, Ernst Schulzes Schwanengesang, das Reifste und Reinste aber auch, was seine Muse geschaffen. Als er die Nachricht von dem ihm zuerkannten Preise erhielt, war seine Empfänglichkeit für freudige Eindrücke schon zu sehr gesunken, indessen erregte die Anerkennung seines poetischen Talents auch jetzt noch seine innige Theilnahme. Allerdings hätte er den Hauch, der so süß durch die Stanzen seines Gedichtes weht, jetzt lieber für einen freien Hauch aus seiner todwunden Brust vertauscht. Aber es war zu spät. Am 29. Juni 1817 starb er still und schmerzlos im Vaterhause.

Die Erinnerung an Cäcilie begleitet den Dichter bis zum Grabe. Sein ganzes poetisches Schaffen ist von diesem Bilde erfüllt und seine beiden großen Dichtungen sind ihr geweiht. Die letzten Strophen der „Bezauberten Rose“ sprechen dies in einer sinnigen und warmen Huldigung aus:

„Dies sang ich Dir, als mit der ersten Rose
Auch mir ein Lenz der neuen Freud’ erschien;
Doch tückisch mischt das Schicksal seine Lose,
Ein weißes zeigt’s, wenn wir ein schwarzes ziehn.
So ruht auch setzt schon unter kühlem Moose,
Die freundlich mir die kurze Lust verliehn,
Und mir ist nichts aus jener Zeit geblieben,
Als nur dies Lied, mein Leiden und mein Lieben.“

Es ist nicht leicht, Ernst Schulze eine bestimmte Stellung in der Geschichte der deutschen Poesie zuzuweisen. Er geht von der Romantik aus und ist eigentlich zeitlebens nicht aus ihrem Feenschloß herausgekommen. Und dennoch darf man ihn nicht zu der romantischen Schule zählen. Sein gesunder Sinn hat ihn vor den phantastischen Verirrungen der Romantiker bewahrt, seine klassische Klarheit hat ihn vor ihren Fehlern behütet. Aber er bleibt darum doch ein romantischer Poet in seinen Stoffen in seinen Formen, in seinen Vorbildern und in seiner Art zu dichten. In der „Cäcilie“ behandelt er die Bekehrung des heidnischen Nordens zum Christenthum, in der „Bezauberten Rose“ die Erlösung der Königstochter, die in eine Rose verzaubert worden war. Das sind gewiß romantische Stoffe. Seine Vorbilder waren Wieland und Ariost. Ihnen strebte er auch in der Form nach. Aber man ist schuldig, zu gestehen, daß er in dieser Richtung seine Meister oft übertroffen hat. Seine Verse athmen einen Wohllaut der Sprache und eine poetische Anmuth, die in der deutschen Dichtung nur selten zu finden sind. Etwas von der „Süße des Minnesangs“ lebt in seinen Gedichten, in denen sich Weichheit und Innigkeit der Empfindung mit dem melodischen Vollklang des Verses, der selbst schon Musik ist, vereinigt. Ein Freund nannte ihn nicht ohne Berechtigung „den wärmsten Dichter unserer nördlichen Zone“. Und alle, die in seine Eigenart sich vertieft, gestehen bereitwillig zu, daß er bei weiterer Reife vielleicht das Höchste zu schaffen berufen gewesen wäre. Aber er ist in der Blüthe seiner Jahre dahingegangen, das gelobte Eiland seiner Poesie vor Augen, ohne daß er es hätte betreten dürfen.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_191.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
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