Verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
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No. 23 | 1889. | |
Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Nicht im Geleise.
„Baden-Baden, den 29. September 1885.
Mein lieber Alfred! Jetzt sind zwei Wochen vergangen, seit Du Baden verließest, und in wenig Tagen kehrst Du zurück. Dann sollen wir vor dem Gesetz miteinander verbunden werden. Von Tag zu Tag, ich will es Dir frei gestehen, wächst mir Deinetwegen ein Sorgengefühl im Herzen. Deine Briefe haben es mir vollends klar gemacht, daß nicht Mitleid mit meiner Lage, daß Dich die äußerste Verzweiflung angetrieben hat, um mich zu werben. Ich weiß es nun ganz, wie Dein Herz, leidvoll, verwundet und erregt, wie es ist, die trostlose Vereinsamung nicht ertragen kann, zu welcher es sich verdammt sah. Aber ob Du an meiner Seite den wahrhaften Frieden finden wirst, nach dem Du so heiß verlangst, das ist die Frage, welche ich immer wieder aufwerfe, durchdenke und bald verneine, bald zagend bejahe. Wenn Du nun eines Tages zu der Erkenntniß kämest, daß Du doch niemals ein anderes Weib lieben könnest, als diese eine, welche Dich so gährend noch beschäftigt, obschon Ihr Euch vor vielen Wochen für immer getrennt habt? Du schreibst mir, wie hundertfach es vorkomme, daß die wahre, stillleuchtende, immer dauernde Liebe zwischen zwei Menschen nach und nach erwache, die sich aus bloßer Konvenienz geheirathet, und daß auch wir vielleicht eines Tages diese Liebe in uns lebendig fühlen könnten. Wenn sich diese Hoffnung aber nicht erfüllt? Wenn wir immerdar nichts empfinden werden als die innigste Freundschaft oder wenn ich so sagen soll: geschwisterliche Neigung? Wird Dir Wärme genügen, wo Deine Seele Flammen suchen möchte? Wirst Du Dich an einem freundlichen, aber nüchternen häuslichen Herd zufrieden fühlen können, wo Dein Herz zurückdenken muß an die wilde Poesie Deiner unglücklichen Leidenschaft?
Noch bist Du frei. Ich bleibe Dir immer dieselbe, auch wenn Du gestehst: ,Es war doch eine Voreiligkeit, daß wir uns banden.‘
Wenn Du aber auf Deinem Willen bestehst, weißt Du, daß meine Dankbarkeit und meine herzliche Neigung, mein inniges verstehendes Mitleid mich lehren werden, Dir so viel Glück als möglich zu geben.
Du willst hören, wie ich meine Tage verbringe? Nun, ich habe eine Fülle von Arbeit. Mit dem Rest meines Geldes und dem Erlös von allerlei Sachen, die ich verkaufen ließ, beschaffe ich mir eine kleine Aussteuer von den Dingen, die mir persönlich nothwendig sind. Da heißt es, die Nadel rühren, die Nähmaschine und die Schere in Bewegung setzen; zum Glück habe ich gelernt,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_373.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)