Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1890) 054.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

aus der Sache mit dem Kreuz mehr gemacht, als Du hättest machen sollen. Gieb nach, Lehnert! Trutz macht Feind’. Und wir brauchen Freunde, weil wir arm sind und das Geschäft schlecht geht und gerade jetzt im Sommer. Und unser Nachbar ist er auch. Es is doch sonst mit den Försters gut gegangen. Gieb nach und versöhne Dich mit ihm! Dann haben wir gute Zeit, und wenn dann ’mal was vorkommt, na, Du weißt schon, was ich meine, so verpufft und verknallt es. Kennst ja doch unser altes Sprichwort: der Wald ist groß und der Himmel ist weit.“

Lehnert ging auf und ab, die Hände aus dem Rücken. Er hatte das alles schon oft gehört, nur eines nicht: daß er das mit dem Kreuz doch vielleicht schlimmer genommen hätte, als nöthig. Und so hochmüthig er war, so bescheiden war er auch.

„Wenn es so wäre? Wenn ich mehr daraus gemacht hatte, als nöthig?“ so gingen seine Gedanken.

Und er nahm der Mutter Hand und sagte: „Gut, Alte, ich will es mir überlegen.“


6.

Was hüben die Mutter ihrem Sohn und drüben die Frau ihrem Mann gesagt hatte, blieb doch nicht ganz ohne Einfluß, weil beide Parteien klug genug waren, das Wahre darin herauszufühlen. Opitz war strenger als nöthig, Lehnert war aufsässiger als nöthig, und der schlichte Ton, worin das einem jeden gesagt wurde, that seine Wirkung. So machte sich’s, daß beide still schweigend übereinkamen, sich wenigstens nicht mehr reizen zu wollen, und weil sie dabei fühlen mochten, daß das bei steten persönlichen Begegnungen sehr schwer sein würde, so faßten sie den Entschluß, sich nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen. In der That, sie vermieden es, sich zu sehen, und gaben es unter anderm auf, zu gleicher Zeit wie sonst wohl im Vorgarten zu sitzen und sich über die Straße hin mit den Augen zu messen. Ja, Lehnert seinerseits ging noch weiter und machte, wenn er ins Dorf mußte, nur um die Försterei zu vermeiden, lieber den Umweg am Waldsaume hin. Auch die Hühner, die durch ihre Besuche drüben im Garten der Försterei beständig Anlaß zu Klagen und bitteren Worten gegeben hatten, hielt er besser in Ordnung. An einen völligen Ausgleich der alten Gegensätze war freilich nicht zu denken, dazu war zu viel vorgefallen, aber wenn Friede nicht sein konnte, so war doch wenigstens Waffenstillstand.

Und unter solchem Waffenstillstande verging eine Woche.

Nun war wieder Sonntag und die Glocken der Arnsdorfer Kirche klangen wie gewöhnlich vom Thal zu den Bergen herauf. Aber diesem Rufe folgten heute nur wenig, weil oben in der Kirche von Wang ein Brückenberger Paar getraut werden sollte. Das veranlaßte denn alle die, die sich mehr von der Trauung einer jungen hübschen Braut als von der Predigt des alten Siebenhaar versprachen, lieber bergauf nach Wang zu steigen, und das um so mehr, als über das wundervolle Brautkleid, das aus Hirschberg und nach andern sogar aus Breslau stammen sollte, schon die ganze Woche lang gesprochen worden war. In der That, Schaulust und Neugier gaben heute den Ausschlag. Aber einige stiegen doch nicht bloß als Neugierige, sondern als recht eigentliche Trauzeugen und Hochzeitsgäste hinauf, unter ihnen auch Opitz in Gala.

Zu den zur Hochzeit Geladenen hatte wegen aller guter Beziehungen zum Bräutigam anfangs auch Lehnert gehört; als dieser aber durch Christine von Opitz’ wahrscheinlicher Anwesenheit erfuhr, war er sofort zum Fernbleiben entschlossen gewesen. Wußt’ er doch, daß mit Opitz, wenn dieser ein Glas über den Durst getrunken hatte, doppelt schwer zu verkehren war, und auf diese Gefahr hin wollt’ er eine Begegnung mit ihm nicht wagen. So zog er es denn vor, zu Hause zu bleiben und in einem von Amerika handelnden Buche zu lesen, das ihm ein alter Kriegskamerad neuerdings geliehen und auf das er sich schon ein paar Tage lang gefreut hatte. Daneben war es ihm übrigens durchaus recht, daß seine Mutter, ohne gerade zu den Geladenen zu zählen, an dem Kirchgänge nach Wang hinauf theilnehmen und sich hinterher in dem ihr aus besseren Tagen wohlbekannten Hochzeitshause nach Möglichkeit nützlich machen wollte.

Der Tag wurde freilich unserem Lehnert ganz gegen Erwarten lang und schwer genug. Denn bald nach Opitz waren auch Frau Bärbel und Christine nach Wang hinaufgestiegen, und so kam es, daß der auf seinem Inselchen Zurückgebliebene zwölf Stunden lang nichts als das Vorüberschießen der Lomnitz hörte, wenn nicht gerade drüben der Opitzsche Hofhund anschlug. Bis gegen abend sah er so draußen im Freien und las von Urwald und Prairie, von großen Seen und Einsamkeit. Er schwelgte darin und vergaß die Zeit, aber mit einemmal ergriff ihn doch ein Grauen. „Einsamkeit! Nein, nein, nicht Einsamkeit! Nicht einsam leben, nicht einsam sterben.“ Und er wiederholte sich das Wort und in seiner überreizten Einbildungskraft sah er sich auf einem Bergkegel, ein Thal zu seinen Füßen und den Sternenhimmel über sich. Ein Frösteln überkam ihn zuletzt, und so ging er denn wieder hinein und warf Kienäpfel in die Gluth und starrte darauf hin. Aber das Hineinstarren in die Flamme war ihm bald nicht weniger unheimlich als das Bild, das eben draußen vor seiner Seele gestanden hatte. Dabei war es ihm beständig, als ob er Stimmen höre, Stimmen von weit, weit her. Und er sprang auf und trällerte vor sich hin, um sich alles, was ihn ängstigte, fortzusingen. Aber es wollte nicht recht glücken und er war froh, als er um die zehnte Stunde seine Mutter über den Brückensteg schreiten sah.

„Singst ja so, Lehnert. Was is es denn?“ sagte die Alle beim Hereintreten. „Christine war wohl da . . . Ja, sie ging schon, als der Tanz eben anfing.“

„Ach, laß doch die Christine!“

„Du nimmst sie doch noch.“ Und während die Alte das sagte, stellte sie ein Bündel, das sie bis dahin vorsichtig in den Händen gehalten hatte, auf den Tisch und löste den Knoten eines buntgeblümten Taschentuchs, in das alles eingeschlagen war, was sie vom Hochzeitshause her mitgebracht hatte: große Stücke Streußelkuchen, eine halbe Wurst, ein Schinkenknochen und ein Napfkuchen.

„Wollen wir uns noch einen Kaffee machen, Lehnert?“

Er schwieg.

„Du hast ja noch Feuer im Ofen. Und das ist recht. Oben auf Wang, in der Kirche, war es wieder so kalt und auf dem Kirchhof pfiff es, daß es einem bis auf die Seele ging. Ich glaub’, ich habe mir wieder was geholt, hier links unterm Schulterblatt. Aber wenn wir uns noch einen Kaffee machen und ein Glas Rum einthun, ich habe noch welchen . . . ja, Lehnert, ein paar Tropfen muß man doch immer haben . . . dann vergeht es wieder. Und ein Katzenfell ist auch gut.“

Während sie noch so sprach, hatte sie ein Messer geholt und begann den Rapskuchen in große Scheiben zu schneiden. „Iß, Lehnert; frisch schmeckt er doch am besten!“ Und dabei griff sie nach dem größten Stücke.

Lehnert schwieg noch immer.

„Iß doch, Jung’!“

„Ich mag nicht, Mutter . . . Und wie das alles wieder aussieht, – wie’n Bettelsack. Haben sie Dir’s denn gegeben?“

„Gewiß! Ich werde mir doch nichts wegstibitzen und ab zieh’n wie die Katze vom Taubenschlag!“

„Ach, das mein’ ich ja nicht, Mutter. Ich meine bloß, ob sie Dir’s aus freien Stücken gegeben haben oder ob Du darum gebeten hast?“

„Versteht sich, hab ich drum gebeten. Alle haben . . .“

„Opitz auch?“

„Nu, der wohl nich. Der is ja was Vornehmes. Und Siebenhaar auch nich.“

„Siebenhaar? War denn Siebenhaar auch da?“

„Gewiß war er da. Der von Wang hat freilich getraut, aber Siebenhaar kam auch noch und kam eben, als alles zu Tisch ging, und war großer Jubel, als er kam, und saß gerade der Braut gegenüber und hat auch eine Rede gehalten. Und als sie die Tische wegtrugen und das Tanzen anfangen sollte, da nahm Siebenhaar Opitzen am Arm und beide gingen wohl an die vier oder fünfmal um die Wiese ’rum. Und immer, wenn sie wieder an dem Staketzaun vorüber kamen, hab’ ich gehorcht.“

„Das glaub’ ich. Du horchst immer. Aber der Horcher an der Wand . . .“

„Diesmal nicht, Lehnert. Es war bloß Gutes, und daß es von Dir war, ist sicher; ich habe Deinen Namen gehört. Und Opitz, der wieder etwas fisslig war - er hielt sich aber und ließ sich nichts merken – Opitz nickte. Das hab’ ich mit diesen meinen Augen gesehen. Und einmal hört’ ich ganz deutlich, daß er sagte: ,Nu, ja, ja! Jeder ist ein Mensch und jeder hat seine Menschlichkeiten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_054.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
OSZAR »