Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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denn, wenn nicht ein Wunder geschehen war, im Hause selbst irgendwo verborgen sein. Und bis unter das Dach hin wurde nun jeder Winkel und Beischlag untersucht und die Suche bis in Schuppen und Milchkeller fortgesetzt. Man durchwühlte das Heu, die Hobelspäne, selbst in den Rauchfang stieg man hinauf und wurde nicht müde, das oberste zu unterst zu kehren. Alles umsonst. Die Alte wußte nichts. Er war fort.
Sechs Jahre waren hin, und wieder war Sommer, als ein schlank aufgeschossener Mann von Mitte dreißig, der in seinem Aufzuge halb einem Cooperschen Trapper und halb einem Bret Harteschen Kaliforiner aus den Goldfeldern, den „Diggings“ glich, auf einem bequemen Waldpfade zu den Shawnee-Hills emporstieg, einem ausgedehnten, südlich vom Staate Kansas in den sogenannten „Indiair-Territories“ gelegenen Gebirgszuge. Er kam vom Fort Mac Culloch, das er schon tags vorher verlassen, und hoffte noch vor abend in dem an der andern Seite der Shawnee-Hills gelegenen Fort Holmes zu sein, an dessen Befehlshaber er einen Empfehlungsbrief hatte. Der Brief selbst aber lautete:
„. . . Dem Kommandierenden von Fort Holmes empfehle ich den Ueberbringer dieser Zeilen, Mr. Lionheart Menz, aus San Francisko, einen Preußen (aus Silesia) von Geburt, der bei Gelegenheit des letzten Eisenbahnunfalls nach Fort Mac Culloch gebracht und von uns in mehrwöchige Pflege genommen wurde. Er hatte einen Bruch des linken Oberarms erlitten. Mr. Lionheart Menz hat sich hier unser aller Herzen gewonnen. Er war, eh’ er nach San Francisko ging, mehrere Jahre lang in den Diggings, kam daselbst zu Vermögen und hatte vor, von San Francisko nach Portland und von Portland nach Shanghai zu gehen, um daselbst in ein Geschäft einzutreten, als der Zusammenbruch der Neu-Mexiko-Bank ihn fast um sein ganzes Vermögen brachte. Von neuem anzufangen, war er unlustig, und so hat er denn vor, es wieder als Zimmermann zu versuchen, am liebsten, seiner eigenen Angabe nach, in der Brettschneidebranche, weshalb er an den Mississippi will, wahrscheinlich nach St. Louis und, wenn er dort scheitert, nach Milwaukee, Wisconsin. Er ist, wie alle Deutschen, musikalisch, wovon er uns Proben gab, trotzdem ihm die ganze Zeit über nur die rechte Hand zur Verfügung war. Jetzt ist er vollkommen wieder hergestellt, und Ihr werdet zu Spiel und Tanz mehr von ihm haben als wir. Sein eigentliches Instrument ist die Zither, hierlandes wohl schwer zu beschaffen, aber er knipst auch auf der Violine, meistens mit einer Federspule, was allemal eine vorzügliche Wirkung macht. Er hat den Wunsch ausgesprochen, seine Weiterreise, zunächst wenigstens, zu Fuß machen zu dürfen, weil er sich nach so vielen Wochen von Unthätigkeit nach Bewegung und Anspannung sehnt. Wir haben seinem Wunsche gern willfahrt und ihm zwei von unseren Cherokeeleuten als Führer und Träger mitgegeben. Unsere Bitte an Euch geht nun dahin, ihm in Fort Holmes gastlich begegnen zu wollen, mit jenem Entgegenkommen, das Ihr immer übt und das sich in diesem Falle doppelt belohnen wird. Er ist nämlich, von seiner Musik ganz abgesehen, über deutsche Zustände gut unterrichtet, war Anno Siebzig in der Nähe des deutschen Kronprinzen und hat den Einzug in Paris unter Bismarcks Augen mitgemacht. Daß seine Stellung in jenen Tagen eine hervorragende gewesen sei, wird sich kaum annehmen lassen, aber er hat doch den Vorzug, von allem damals Erlebten erzählen zu können. Ich empfehle mich Eurer kameradschaftlichen Geneigtheit.
Henry Wood, Kommandant von Fort Mac Culloch.“
So der Brief, der das, was Lehnert in den letzten sechs Jahren erlebt hatte, kurz erzählte. Ja, so war es gewesen: ein Vermögen war rascher hingeschwunden, als er es erworben hatte. Im übrigen war die Nachricht von dem Bankrott der Neu-Mexiko-Bank, so unvorbereitet sie ihn traf, ohne tiefere Bewegung von ihm aufgenommen worden, weil ihn dieser beinahe völlige Vermögensverlust rasch und mit einem Schlag einem im Lauf des letzten halben Jahres in San Francisko geführten Spekulationsleben entriß, das ihm eigentlich schon widerstand, während er es noch mitmachte. Ja, er sehnte sich aufrichtig danach, an die Stelle des mit deutschen und schweizerischen und vielfach auch mit französischen Abenteurern in den Diggings verbrachten Lebens und des schlimmern in der kalifornischen Hauptstadt wieder ein Leben voll Arbeit treten zu lassen, und die Reise nach dem Osten erschien ihm als der erste Schritt dazu. Selbst der Eisenbahnunfall, der ihn traf, war nicht dazu angethan, ihn anderen Sinnes zu machen. Im Gegentheil, die stillen Wochen in Fort Mac Culloch hatten ihn in diesen seinen Anschauungen nur noch gefestigt, und es war unter einem lange nicht gefühlten Behagen, daß er jetzt frisch und rüstig die Shawnee-Hills hinaufstieg, auf kaum fünfzig Schritt die beiden Cherokees vor sich, die seinen Koffer an einer über ihre Schultern gelegten Stange trugen. Von Zeit zu Zeit sahen sie sich nach ihm um, und ihr freundliches Grinsen, wenn er nach diesem oder jenem fragte, steigerte nur noch die Heiterkeit seiner Seele.
Gegen mittag hatten alle drei, nach mehrmaliger Rast, den Kamm des ziemlich hohen Gebirgszuges erreicht, und Lehnert sah nun weit und frei nach Norden hin. Alles, was da vor ihm lag, war ein wohl an sieben Meilen breites, von der von Galveston kommenden Bahn durchschnittenes Querthal, an dessen entgegengesetzter Seite das Land allmählich wieder anstieg, bis es abermals einen ziemlich hohen, dem diesseitigen Zuge der Shawnee-Hills entsprechenden Bergzug bildete. Dazwischen war wenig Leben. Von den Ortschaften an der Bahn hin waren nur die weiter entfernten sichtbar: Station Darlington und Station Gibson (letztere schon ganz drüben), während sich die verhältnißmäßig nahe gelegene Station Holmes sammt ihrem gleichnamigen Fort verbergen zu wollen schien. Erst als Lehnert die beiden Indianer herbeirief und nach dem Fort fragte, gaben sie seinem Auge die nöthige Richtung, und nun sah er (die Station blieb versteckt) wenigstens die vier gekupferten Thürmchen von Fort Holmes deutlich in der hellen Sonne blinken.
Und ehe noch sechs Uhr heran war, hatte sich Fort Holmes in aller Gastlichkeit aufgethan, trotzdem der mitgebrachte Empfehlungsbrief, und zwar infolge zufälliger Abwesenheit des Kommandanten von Fort Holmes, noch gar nicht seine Schuldigkeit hatte thun können. Als nun aber zwei Stunden später der Kommandierende wieder daheim war und den ausführlichen Brief seines Kameraden Henry Wood von Fort Mac Culloch gelesen hatte, steigerte sich das Entgegenkommen noch um ein Erhebliches, und Aufforderungen von beinah’ dringlicher Natur ergingen an Lehnert, auch in Fort Holmes eine längere Rast nehmen zu wollen. Lehnert aber, den ein ernstliches Verlangen erfüllte, dem vielwöchigen Nichtsthun ein Ende zu machen, blieb nur bis über den zweiten Tag. Am Morgen des dritten nahm er Abschied und schritt vom Fort aus auf das gleichnamige Stationsgebäude zu, das in kaum halbstündiger Entfernung gerade da, wo der Schienenweg aus dem Gebirge trat, in einer halbmondförmigen Ausbiegung am Saum eines Ahornwäldchens lag.
Die kleine Bahnhofsuhr von Station Holmes zeigte neun Uhr früh, als Lehnert daselbst eintraf. In einer Viertelstunde mußte der von Galveston nach dem Norden führende Zug da sein, er kam aber mit erheblicher Verspätung, so daß Lehnert und die wenigen Personen, die mit ihm auf dem Bahnsteige warteten, sich beim Einsteigen beeilen mußten. Die Wagen waren nur schwach besetzt und in demjenigen, in welchem sich’s Lehnert alsbald bequem zu machen suchte, befand sich nur ein einziger Mitreisender, ein junger Mann von achtzehn Jahren, der, wiewohl einigermaßen abweichend von der Mode gekleidet, trotzdem leicht erkennen ließ, daß er einem guten Hause zugehörte. Seine Züge verriethen den Deutschen, während andererseits die Sicherheit und Ruhe seiner Haltung mit gleicher Bestimmtheit zeigte, daß er, wenn auch vielleicht nicht in Amerika geboren, so doch jedenfalls amerikanisch geschult sei. Die Gegend schien er zu kennen. Er las, in die Ecke gedrückt, eine Zeitung und hatte den linken Arm auf eine Ledertasche gestützt, in deren Messingschild, wenn nicht alles täuschte, der Name des jungen Reisenden eingraviert war. Lehnert suchte denn auch das Eingravierte zu lesen, was ihm unschwer glückte. „Tobias Hornbostel“ stand in oberster Reihe, dicht darunter aber in etwas kleinerer Schrift: „Nogat-Ehre, Station Darlington, Indian-Territory.“ Das war beinah’ eine Biographie, mindestens eine volle Adresse. In Lehnert stieg, als er Namen und Ortsangaben entziffert hatte, eine alte Erinnerung auf, und wenn er schon vorher den Wunsch einer Gesprächsanknüpfung gehabt hatte, so steigerte sich dieser Wunsch jetzt bis zu festem Entschluß. Er wollte nur warten, bis der Mitreisende das Zeitungsblatt aus der Hand gelegt haben würde. Das war nun geschehen und Lehnert sagte: „Ihr seid ein Deutscher.“
Der, an den die Frage sich richtete, bejahte mit vieler Freundlichkeit und fragte dann seinerseits, woran er ihn erkannt habe.
„Nichts leichter als das,“ sagte Lehnert. „Du hast das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_118.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)