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Seite:Die Gartenlaube (1890) 122.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

mit geschickter Biegung auf den Hof des Stationsgebäudes fuhr. Derselbe junge Cherokee, der schon gestern bei Lehnerts Ankunft bereit gestanden hatte, sprang auch heute wieder dienstfertig hinzu, Tobias aber gab statt seiner der Schwester die Zügel in die Hand, sprang dann ab und begrüßte sich mit Lehnert. „Alles in Ordnung!“ sagte er. „Ich habe mit dem Vater gesprochen und es ist nun an Dir, in unsere Farm einzutreten und sein Hausmeier zu werden. Ob erster oder zweiter, wird sich zeigen. Er ist froh, einen Deutschen mehr in seinem Hause zu haben. Er sagte, die Deutschen seien die besten, auch wenn sie, verzeih, nichts taugten. Und nun erlaube mir, nachzuholen, was ich gestern versäumt habe, Dir meine Schwester Ruth vorzustellen; steig’ auf und setz Dich neben sie. Oder noch besser, wir setzen uns zwei beide auf den Rücksitz und Ruth kutschiert. Sie fährt nämlich wie ein Fahrer, ein Wort, das ich einem Landsmann von Dir verdanke.“

Während Toby noch weiter plauderte, lenkte das Wägelchen in den Feldweg ein, und die Bahn in immer weiter werdendem Abstande neben sich, ging es zwischen den Maisfeldern hin, deren hoher Stand den Wagen sammt seinen Ponies überragte. Schließlich war man aus den Maisfeldern heraus und gelber Raps lag vor ihnen, dessen Duft der Wind ihnen zutrug. Und dazu klangen die Glöckchen, wenn die Shettländer ihre langen Mähnen schlugen, um sich der Bremsen zu erwehren. Lehnert aber sog das alles begierig ein, und es war ihm, als flög er und als wären es alte Zeiten und als thäten sich Heimath und Glück noch einmal vor ihm auf.

„Ist das alles Euer?“ frug er und wies auf die Fruchtfelder links und rechts.

„Ja,“ sagte Toby, „das heißt, es ist alles Mennonitenland, alles Nogat-Ehre. Was aber dem Vater persönlich gehört, unsere Farm, das liegt nach der anderen Seite zu, das sollst Du morgen sehen, da steht es noch besser und der Klee geht bis über die Wagenräder. Du mußt nämlich wissen, der Vater ist ein großer Farmer und Landmann und liest alle Zeitungen und Zeitschriften, und was die Gelehrten anrathen, das schafft er an und scheut kein Geld. Nicht wahr, Ruth?“

Ruth nickte langsam und gravitätisch, ohne sich nach ihnen umzusehen, und Lehnert sah aus der halb komischen Art, in der diese Zustimmung erfolgte, daß Obadja zu den Neuerungsschwärmern gehören müsse. Ueberhaupt könnt’ er wahrnehmen, daß das Gemisch von Offenheit und Heiterkeit, das ihn schon an dem Bruder so angezogen hatte, bei der Schwester noch stärker vertreten war. Von Ernst und Schwerfälligkeit keine Spur; ihr Frohsinn war von jener entzückenden Art, wie die kindlich Gläubigen ihn so oft haben, die nicht anders wissen, als daß Gottes gütige Vaterhand sie jeden Augenblick hält und trägt und schützt, – ein beseligendes Gefühl immer abwesender Gefahr.

Eine kleine Pause war eingetreten, und Toby, dem daran lag, das so glücklich eingefädelte Gespräch auch fortgesetzt zu sehen, nahm es an alter Stelle wieder auf und sagte: „Ja, kein Geld und keine Müh’. Nichts scheut er. Und das alles bei seinen hohen Jahren.“

„Ist er denn schon so alt?“ fragte Lehnert. „Ihr seid ja doch beide noch so jung.“

„Dreiundsiebzig,“ lachte Ruth.

„Da muß er sehr spät geheirathet haben.“

Jetzt verdoppelte sich das Lachen. Aber Toby, der wohl fühlte, daß das Lachen Lehnert verlegen machen müsse, gab nun Aufklärung und erzählte, daß der Vater dreimal verheirathet gewesen sei, so daß sie viele Halbgeschwister hätten. Die Kinder der ersten Ehe seien nach Preußen, nach Danzig und Dirschau, zurückgegangen, die der zweiten lebten in Dakota, und sie beide, seien die jüngsten. Ihr ältester Halbbruder sei schon über vierzig Jahre alt und voriges Jahr zum Besuch in Nogat-Ehre gewesen.

In diesem Augenblicke stieg der Boden ein wenig an, und als man oben war, wurde in kleiner Entfernung eine blinkende, langgestreckte, nur hier und da von hohen Pappeln überragte Häuserreihe sichtbar, auf die Ruth jetzt mit der Peitschenspitze hindeutete. „Das ist Nogat-Ehre. Siehst Du’s? In einer Viertelstunde sind wir da. Das letzte Gehöft da, zwischen den zwei Pappeln, das ist unser Haus. Und dann kannst Du sehen, wie wir leben. Es wird Dir schon gefallen. Du siehst so recht aus, als ob Du glücklich und zufrieden sein könntest. Aber ich spreche so, wie wenn wir Dich schon hätten. Und wir haben Dich doch noch lange nicht. Ich weiß ja noch nicht einmal Deinen Namen . . . Toby, warum hast Du mir seinen Namen nicht genannt?“

Toby lachte. „Weil ich ihn selber noch nicht weiß. Und der Vater hat auch gar nicht danach gefragt. Aber nun wird es freilich Zeit damit, wenn wir nicht mit einem Namenlosen in Nogat-Ehre einfahren wollen.“

„Ich heiße Lehnert Menz.“

„Ein hübscher Name,“ sagte Toby.

Ruth nickte zustimmend. Aber gleich danach schien sie wieder wie wankend und schwankend zu werden und setzte hinzu: „Ja, hübsch. Aber was ist Lehnert? Ist es ein Kalendername?“

„Freilich ist er das. Und Du solltest ihn kennen. Lehnert ist Lienhardt. ,Lienhardt und Gertrud‘ wirst Du doch noch nicht ganz vergessen haben.“

„Nein, gewiß nicht. Es war die schönste Geschichte, die wir als Kinder gelesen haben. Und der Vater kam oft dazu, wenn die Mutter sie vorlas, und wenn Lienhardt und Lehnert ein und dasselbe sind, dann gefällst Du mir noch besser. Und wenn Du so bist wie Lienhardt, denn ich weiß noch, daß er gut war, da wollen wir gute Freunde werden.“


16.

Als Ruth noch sprach, fuhr man über einen Brückenbogen und lenkte jenseit desselben in einen breiten, mit jungen Akazien besetzten Weg ein, zu dessen einer Seite ein von den Bergen kommender Bach schäumte, während sich an der anderen Seite die Gehöfte der Mennonitenkolonie hinzogen. Man war in Nogat-Ehre. So viel Lehnert während der Fahrt durch die lange Dorfstraße wahrnehmen konnte, waren die Gehöfte von ziemlich gleichem Aussehen und bestanden aus einem einstöckigen Fachwerkwohnhaus, das mit breiter Front auf die Straße blickte, während die großen Stallgebäude quer standen und mit ihren Giebeln auf die Straße sahen. Einige hatten vor ihrer Thür eine mit Geisblatt und Pfeifenkraut umsponnene Gitterlaube, von der aus vier oder fünf Steinstufen zunächst auf den Akazienweg und dann bis zum Bach hinabführten, allen Häusern gemeinsam aber war ein von einem Staketenzaun eingefaßter Vorgarten, in dem zwischen Taxus- und Buchsbaumrabatten einige wenige Georginen, meist aber Malven und Sonnenblumen standen, ganz als ob es Gärten aus der Nogat- und Weichselniederung wären.

Lehnert ging das Herz auf beim Anblick der einfachen Anlagen, die den aus Deutschland mitgebrachten Gartentypus mit so viel Vorliebe pflegten, und wandte sich eben, um eine große Glaskugel und ein bemaltes Bienenhaus noch einmal flüchtig zu mustern, als das Ponygefährt auf einen ansteigenden und fast eine Rampe bildenden Kiesweg hinauflenkte und nun vor dem Schwellstein eines nüchtern wirkenden, weitschichtigen Hauses hielt, das zum Unterschiede von den anderen ohne Staketenzaun und Vorgarten war und durch seine Stille, die hohen Fenster und ein paar gothische Holzverzierungen an ein halb kirchliches Gebäude gemahnte.

„Hier sind wir,“ sagte Toby, nahm seiner Schwester die Zügel aus der Hand und wartete, bis ein Knecht (auch hier ein junger Cherokee) vom Hof her erschien, dem er das Gespann über geben konnte. Dann traten alle drei in ein bis hoch hinauf mit Holz verkleidetes Treppenhaus, das durch die ganze Tiefe des Hauses lief. Als man bis an die geradlinig aufsteigende Treppe gekommen war, gab Ruth dem Lehnert zum Abschiede die Hand, wandte sich aber auf der dritten Stufe noch einmal und sagte: „Die Hauptsache nicht zu vergessen, Gott segne Deinen Aus- und Eingang.“ Und nun erst eilte sie rasch ihrer im Oberstock gelegenen Wohnung zu. Toby mußte lächeln, als er sah, wie Lehnert der Erscheinung nachblickte. Dann nahm er seinerseits Lehnerts Arm und sagte: „Nun komm, daß ich Dich zu dem Vater führe!“

Das einen großen Flur bildende Treppenhaus hatte zu beiden Seiten Bänke, sonst war es ein leerer Raum, der, mit Ausnahme des Frontportals, nichts als drei Thüren zeigte, von denen eine kleinere nach dem Hof hinaus ging, während zwei hohe Doppelthüren in die neben dem Treppenhause gelegenen Haupträumlichkeiten führten. Beide Doppelthüren standen in diesem Augenblick offen und gestatteten einen Blick nach rechts hin in einen Betsaal, nach links hin in eine hochgewölbte Halle. Diese Halle – von mächtiger Wirkung, trotzdem sie von kleineren Verhältnissen als der Betsaal war – mußte von jedem, der in Obadjas Wohn- und Arbeitszimmer wollte, durchschritten werden. Auch hier übrigens, in dieser geräumigen Halle, gab sich, ganz so wie draußen im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_122.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
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