Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Flur, alles aufs einfachste: nur ein schwerer Eichentisch, um den einige Stühle standen, zog sich durch den nahezu schmucklosen und nur mit einem Geweihkronleuchter ausstaffierten Fest- und Speiseraum, dem ein großer, an der einen Schmalseite befindlicher Silber- und Geschirrschrank zugleich als Anrichtetisch diente. Des weiteren aber lief, quer durch den Raum hin, eine Matte von Kokosfaser auf eine kleine Thür zu, deren gobelinartigen Vorhang Toby jetzt zurückschlug. Und nun ließ er Lehnert Vorgehen und folgte.
Wenn das Treppenhaus schattig und die Halle beinah’ dunkel gewesen war, so war hier alles hell, denn ein breiter Lichtstreifen fiel durch ein Giebelfenster von beträchtlicher Höhe; neben dem Fenster aber und von seinem Lichte halb umschienen, saß Obadja bei der Korrespondenz, die, sorglich von ihm unterhalten, nach den verschiedensten Theilen der Union, besonders aber nach Kansas und Dakota ging. Als er hörte, daß jemand eingetreten war, wandt’ er sich, indem er den Stuhl drehte, der Thür zu, blieb aber sitzen.
„Lieber Vater,“ sagte Toby, „hier bring’ ich Dir Mister Lehnert Menz.“
„Lehnert Menz?“ wiederholte ruhig und freundlich der Alte. „Hab’ ich recht verstanden?“
„Zu Befehl!“ sagte Lehnert.
Obadja lächelte, weil er sich aus lang zurückliegenden Zeiten her dieser militärischen Form der Bejahung erinnerte. „Nun, Mister Lehnert,“ fuhr er fort, „Ihr wollt es also mit uns versuchen? Toby hat mir davon erzählt. Und hat mir auch erzählt, daß sich unsere Wege vor Jahren schon einmal gekreuzt haben. Nehmt einen Stuhl, bitt’ ich, und rückt hier heran und setzt Euch ins Licht, daß ich Euch besser sehen kann. Es geht noch mit allem sonst, des Barmherzigen Gnade sei dafür gepriesen, aber mit dem Sehen will es nicht recht mehr. Und ich sehe doch jedem gern ins Auge. Das Auge sagt noch mehr als die Stimme.“
Lehnert that, wie ihm geheißen, und erwartete nun, daß ein Fragen und Katechifieren beginnen werde, ja mehr, es lag ihm daran, es war geradezu sein Wunsch. All die Zeit über hatte seine That auf seiner Seele gelastet, und er sehnte sich danach, alles herunter zu beichten und in dieser Beichte Trost und Erleichterung zu finden. Aber von dieser Erwartung erfüllte sich nichts und wenn ihm auch nicht entging, daß Obadja, wie zufällig, seine Hand nahm und ihn dann von der Seite her ansah, so könnt’ ihm doch noch weniger entgehen, daß jede unmittelbare Frage nach Leben und Vergangenheit mit Absicht vermieden wurde.
„Ich höre von meinem Sohne Toby,“ nahm Obadja nach einer Weile wieder das Wort, „daß Ihr ein Preuße seid, also, meiner Geburt nach, ein Landsmann von mir und jedenfalls ein Landsmann meiner zwei ältesten Sohne, die diesem neuen Lande wieder den Rücken gekehrt haben und lieber drüben sind als hier. Und vielleicht haben sie recht gethan. Denn die Freiheit, deren wir uns hier rühmen und freuen, ist ein zweischneidig Schwert und die Gewaltherrschaft der Massen und das ewige Schwanken in dem, was gilt, erfüllen uns, so sehr ich die Freiheit liebe, mit einer Unruhe, die man da nicht kennt, wo feste Gewalten bestehen. Ordnung und Arbeit, worauf es ankommt, die sind in dem Lande drüben, drin wir beide geboren wurden, recht eigentlich zu Haus, und um dieser Tugenden und vor allem auch um der Nüchternheit willen sind mir die Preußen die liebsten und sind mir die nutzbarsten Mitarbeiter an meinem Werk.“
Hier unterbrach sich Obadja, wie sich Prediger in ihrer Predigt unterbrechen, um nach einiger Zeit einen neuen Anlauf zu nehmen, und Lehnert schwieg, weil er fühlte, daß jetzt ein Uebergang kommen müsse. Und der kam denn auch wirklich.
„Die nutzbarsten Mitarbeiter,“ wiederholte Obadja. „Und das gilt auch von dem guten Mister Kaulbars, der jetzt meiner gesammten Wirtschaft als ein Verwalter und Hausmeier vorsteht. Er ist ein ehrlicher Mann, ohne Lug und Trug, ein treuer Arbeiter und prompt in der Erfüllung seiner Pflichten und hat, was ihn meinem Herzen am nächsten stellt, die rechte Freud’ und Lust an dem Segen Gottes als solchem, und eine Ernte zu Grunde gehen zu sehen, das wurmt ihn und quält ihn, auch wenn jeder Halm versichert ist. Es ist ihm nicht um den Gewinn bloß, es ist ihm um den Segen, den er nicht missen will. Ja, so ist dieser Mister Kaulbars, den ich, so lang ich noch in der Arbeit steh’, in Ehren zu halten gedenke. Aber Euer Landsmann ist ein Eigensinn und ein Besserwisser, der sich dem neuen Lande, drin er nun lebt, nicht anbequemen und alles nach der Weise seiner alten Heimath anordnen und regeln will. Er gehorcht wohl, weil er im Gehorsam erzogen ist, aber es ist ein todter Gehorsam, und ein todter Gehorsam ist unfruchtbar, nicht bloß in Herz und Seele, sondern auch auf dem Arbeitsfelde draußen, und so schädigt er mich, ohne es zu wollen, und mindert mein Gut. Dem will ich abhelfen, da will ich Wandel schaffen, und dessen verseh’ ich mich von Euch. Ich hab’ in Eurem Auge gelesen und ich kenne Euch nun: Ihr habt einen Ehrgeiz und es lastet was auf Eurer Seele, das hat Euch bis diese Stunde durch die Welt getrieben und ich sehe das Zeichen auf Eurer Stirn. Aber ich weiß auch, daß Ihr ein tapferes Herz habt und einen Edelsinn, der sich nicht verleugnet, wo Liebe ihn pflegt. Und diese Liebe soll Euch werden. Getröstet Euch dessen. Keiner, der unter dieses Dach getreten, ist ungetröstet von dannen gegangen. Im Namen dessen, der die Liebe war, ruf’ ich Euch zu: ‚Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Lehnert Menz, Deine Last soll von Dir genommen werden. Ich segne Dich . . . ‘“
Und Lehnert fühlte, während er den Kopf neigte, wie die Hand Obadjas seinen Scheitel berührte.
Nebenan, in der großen Halle, war inzwischen für Lehnert ein Frühstück aufgestellt worden, und zwar durch Frau Rosalie Kaulbars in Person, die nicht nur alles Nöthige selbst herzugetragen, sondern dem eingerichteten Frühstückstisch auch noch eine der preußisch-heimischen Art entsprechende Ausschmückung gegeben hatte. So kam es, daß sich, um gleich die Hauptsache zu nennen, um die Kufe mit saurer Milch ein blühender Lindenzweig legte. Eier in der Schale sammt Schinken vervollständigten das einfache Mahl, dem Frau Kaulbars anfänglich, einigermaßen aus der Rolle fallend, auch noch eine halbe Wassermelone beigegeben hatte, bis der zufällig anwesende Mister Kaulbars gegen solche Zusammenstellung Verwahrung eingelegt hatte. „Was denkst Du denn eigentlich, Röse? Soll er hier gleich mit Kullern und Schneiden anfangen?“
Als Lehnert aus Obadjas Zimmer trat, hatte sich das Ehepaar, um nicht neugierig zu scheinen, aus der Halle in die Wirthschaftsräume des abgetrennt stehenden Quergebäudes zurückgezogen. Statt ihrer waren Ruth und Toby da, mit ihnen Uncas, ein wundervoller, schwarz- und weißgefleckter Neufundländer, der seine Herrin Ruth auf Schritt und Tritt zu begleiten pflegte.
„Stören wir Dich, wenn wir uns zu Dir setzen?“ fragte Toby, indem er Lehnert an die Schmalseite des Tisches führte, wo gedeckt war.
Lehnert suchte nach einer Antwort, aber er fand sie nicht. Das war mehr Liebe, als er sich in seinem ganzen dreiunddreißigjährigen Leben zusammenrechnen konnte. Er legte die Hand auf die Stuhllehne, drin ein Kleeblatt eingeschnitten war, und faltete die Hände zum ersten Male seit vielen Jahren.
Die Geschwister schwiegen und sahen ihm bewegt zu. Als sie aber wahrnahmen, daß er sich wieder gesammelt hatte, sagte Toby: „Nun also, Lehnert, wir bleiben und leisten Dir Gesellschaft. Sieh nur, Uncas schließt auch Freundschaft mit Dir. Nicht wahr, Ruth, das bedeutet was? Er hält nicht gleich zu jedem.“
Lehnert nahm, von der Milch und brach dann, um sie sich vorzustecken, einige Blüthen von dem Lindenzweig ab, und Ruth sah wohl, daß ihn dieser Zweig ganz besonders erfreut hatte.
„Das dankst Du dem Mister Kaulhars und seiner Frau,“ sagte Ruth. „Die sagten, das, sei so Sitte drüben. Und da habe ich den Zweig gepflückt und um die Milchkufe gelegt, aber die Wahrheit zu gestehen, mit halber Freude. Denn die Kaulbarse, besonders er, wollen alles preußisch machen, und wenn ich denke, daß Du auch ein Landsmann von ihnen bist, so beschleicht mich eine kleine Furcht, daß wir hier eine preußische Kolonie werden.“
„Das hat gute Wege,“ lachte Lehnert, „ich habe das Alte drüben gelassen.“
Sie plauderten noch ein Stückchen weiter über die Anhänglichkeit an die alte Heimath, die jeden bewußt oder unbewußt dahin leite, auch in der Fremde nach den vertrauten Formen und Gebräuchen der Heimath zu streben.
Als Lehnert mittlerweile sein Mahl beendet hatte, wandte sich Ruth an den Bruder und sagte: „Nun aber ist es Zeit, Toby, daß wir Mister Lehnert auf sein Zimmer führen.“
Alle drei stiegen treppauf, wobei Toby führte.
Der Oberstock war von ganz anderer Einrichtung, als das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_123.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)