Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1890) 130.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Blätter und Blüthen.

Deutschlands merkwürdige Bäume. Die Kaditzer Linde. Etwa anderthalb Stunden unterhalb Dresdens liegt auf dem rechten Elbufer das schmucke Dorf Kaditz. Es ist alter Kulturboden, auf dem es steht; noch heute zeigt sich der slavische Ursprung in dem Aeußern der Ortschaft, die Häuser kehren der breiten Hauptgasse die Giebel zu, die theilweise fromme Sprüche aufweisen, und viele Eingangsthüren prangen in buntem Farbenschmuck. Ungefähr in der Mitte des Dorfes liegt die hübsche Kirche; zwischen ihr und dem Pfarrhause, mitten unter grünbewachsenen und steingeschmückten Grabstätten aber erhebt sich die weitberühmte Kaditzer Linde.

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die Kaditzer Linde.

Der staunenswerthe Baumkoloß hat 11 Meter Stammumfang; das Innere des Stammes ist völlig hohl und deshalb sind seit lange Stützen nothwendig geworden. An der einen Seite ist die Rinde herausgebrochen; die Stütze war morsch geworden, die Rinde konnte den starken Ast nicht mehr tragen und wurde mit diesem fortgerissen. Besonders merkwürdig ist nun, daß sich innen ringsum die Rinde neu gebildet hat. An der Bruchstelle hat man vor 15 Jahren ein Gitter angebracht, um den Eintritt in die Höhlung des Stammes zu verhindern. Denn die Dorfbewohner, insbesondere die respektlose Jugend, benutzten den hohlen Raum zu allerhand Unfug. Neuerdings ist noch ein Schloß vorgelegt worden, zu welchem man den Schlüssel in der angrenzenden Pfarrei erhalten kann. Doch bedarf es dessen nicht, da man die Höhlung, welche Platz genug für Tisch und Stühle bietet, von außen bequem überblicken kann.

Das Alter des ehrwürdigen Baumes wird auf 1000 Jahre angegeben; leider fehlt aber jeder historische Anhaltspunkt, und eine Berechnung nach Jahresringen ist bei der jetzigen Stammruine völlig ausgeschlossen. Jedenfalls hat der Baum in der Geschichte des Ortes eine große Rolle gespielt und von jeher die Bedeutung einer geweihten Stätte gehabt. Hierzu stimmt die Anlage der Kirche unmittelbar daneben. Bekanntlich stand in jedem Dorf in Sachsen, schon lange vor Karl dem Großen, eine heilige Linde und vor derselben war das „Weichbild“ (Wicbild, d. h. das Ortsbild oder Ortszeichen) aufgestellt. Die Linde mitten im Dorf bezeichnete den Platz, wo man sich abends versammelte und Angelegenheiten der Gemeinde besprach, hier fanden sich die jungen Leute an den Festtagen zum Tanz. Wie man erzählt, soll die Kaditzer Linde auch als Pranger für klatschsüchtige Weiber und ähnliche Missethäter gedient haben. In der That findet sich in geringer Höhe über dem Erdboden am Stamm ein eingewachsenes Stück Eisen, das als Rest des Halseisens bezeichnet wird. Die böszüngigen Frauen saßen, den Hals im Eisen, an den Stamm gelehnt, während die Kirchenbesucher an ihnen zum Gottesdienst vorübergingen. Doch ist darüber etwas Urkundliches nicht erhalten und wir können uns nur mit dem Wunsche trösten, daß es sich wirklich so verhalten haben möge!

O. Z.




Stanleys Briefe über Emin Paschas Befreiung. Keine der afrikanischen Expeditionen der Neuzeit wurde von der gesammten Welt mit so großem Antheil verfolgt wie die Expedition Stanleys zur Befreiung Emin Paschas. Lange Zeit hindurch war das Schicksal beider Helden dieses Dramas ungewiß und die Welt in Europa und Amerika wurde lediglich durch „afrikanische Gerüchte“ beunruhigt, welche bald Stanley todt sagten, bald ihn und Emin in der Gefangenschaft der Mahdisten schmachten ließen. Da kamen die ersten Briefe von Stanley an und mit wachsender Spannung konnte man den Gang der Ereignisse bis zur glücklichen Ankunft an der Ostküste verfolgen. Stanley und seine Offiziere haben in Afrika fleißig geschrieben, die Sammlung der Briefe ergiebt ein kleines Buch von 8 Druckbogen. Der Inhalt dieser Briefe ist in den Tageszeitungen wiedergegeben worden, aber die Wiedergabe selbst erstreckte sich naturgemäß auf so lange Zeiträume und war mitunter so unvollständig, daß J. Scott Keltie, Bibliothekar der Königlichen Geographischen Gesellschaft in London, gewiß vielen einen guten Dienst erwies, als er die Briefe sammelte und als ein Buch herausgab. Dieses ist im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig auch in deutscher Uebertragung erschienen und bietet uns die beste Auskunft über die Schicksale und geographischen Erfolge der Expedition, die beste Auskunft, bis Stanley selbst sein Werk über die Expedition geschrieben haben wird. Was nun die Hauptfrage, die Befreiung Emins selbst, anbelangt, so sind die Briefe reich an werthvollen Auskünften, aber ebenso reich an Räthseln. Doch gewinnt es den Anschein, daß der Hauptpunkt in den Gegensätzen zwischen Stanley und Emin in der Würdigung der Länder am oberen Nil von seiten beider liegt. Für Stanleys Auffassung ist die Instruktion bezeichnend, die er am 18. Januar 1889 brieflich seinem Offizier Jephson, der bei Emin weilte, ertheilt: „Seien Sie freundlich und gut gegen ihn (Emin)“, schreibt Stanley, „wegen seiner vielen Tugenden, lassen Sie sich aber nicht auch von der verderbenbringenden Fascinirung erfassen, welche das Gebiet des Sudan in den letzten Jahren für alle Europäer gehabt zu haben scheint. Sobald sie seinen Boden betreten haben, scheinen sie in eine Wirbelströmung gezogen zu werden, welche sie hinabsaugt und mit ihren Wogen bedeckt. Das einzige Mittel, ihr zu entgehen, ist, allen Befehlen von auswärts blind ergeben und ohne zu fragen, zu gehorchen.“

An einer anderen Stelle schreibt Stanley an denselben Offizier: „Ich bemerkte, daß ich Ihre Briefe ein halbes Dutzend mal gelesen hätte, und bei jedesmaligem Lesen änderte sich meine Ansicht von Ihnen. Zuweilen glaube ich, daß Sie halb Mahdist oder Arabist, dann daß Sie Eminist sind.“ Diese und ähnliche Stellen lassen uns annehmen, daß der „Gegensatz“ zum großen Theil derselbe war, der auch zwischen Gordon und der englischen Regierung geherrscht hat. Ob noch andere Fragen dabei eine wichtige Rolle spielten, und welcher Art diese Fragen waren, das kann niemand aus den Briefen herausklügeln. Die Mühe dürfte auch wenig lohnen. Das bedeutsame Aktenmaterial, welches in den Briefen enthalten ist, wird ja bald vervollständigt werden; denn wie wichtig auch die vermeintlichen Interessen der Engländer in der Aequatorialprovinz sein mögen, sie sind kein Staatsgeheimniß der hohen Politik, welches Jahrzehnte lang verschwiegen wird. Es ist zu hoffen, daß, selbst wenn der Stumme von Bagamoyo nicht so bald im stande sein sollte, Aufklärung zu geben, die Reisewerke Stanleys und seiner Gefährten in nächster Zeit genügendes Licht über diese Fragen verbreiten werden. Einen bleibenden Werth werden aber diese Briefe für die geographische Forschung behalten; hier werden die wichtigen Fragen der Nilseen unter dem frischen unmittelbaren Eindruck erörtert, und stets wird es einen hohen Genuß gewähren, zu lesen, wie nach und nach Vermuthungen geklärt werden und ein einziger kühner Vorstoß eine ganze Reihe sinnreicher Kombinationen über den Haufen wirft.

*




Fastnacht in der Neumarkt. (Zu dem Bilde S. 101.) Wie alle Volksfeste, so wird auch Fastnacht in den verschiedenen deutschen Landschaften mit verschiedenen Bräuchen gefeiert. Die Armuth ist überall erfinderisch, wenn es gilt, die festliche Stimmung der Begüterten zu benutzen. So ist es in der Neumark eine alte Sitte, daß die Kinder armer Leute am Fastendienstag, wie unser Bild zeigt, mit einem „Fastnachtspieß“ von Haus zu Haus gehen. Dies Geräthe, mit welchem die jungen Sänger sich ausrüsten, besteht aus einem anderthalb bis zwei Fuß langen, oben zugespitzten Stock mit mehreren kreuzweis stehenden, spitzen Querhölzern. Die kleinen Stadtwanderer singen halb, halb sprechen sie den folgenden Vers:

„Fastelabend ist hier,
Sechs Dreier zu Bier,
Sechs Dreier zu Speck,
Geh’ gleich wieder weg.

5
Da oben in der Firste,

Da hängen drei Würste:

Die lange gieb mir,
Die kurze behalt’ dir.
Schneid’ weg, schneid’ weg,

10
Schneid’ ein groß Stück Speck,

Schneid’ Raum, schneid’ Raum,
Schneid’ nicht in ’n Baum.“

Es ist dies bloß einer von vielen Versen, aber er genügt, um Wurst und Speck an den Spieß der Kinder zu zaubern. Früher gingen auch

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_130.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2023)
OSZAR »