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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Halbheft 5.   1890.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Flammenzeichen.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Willibald war wortlos der Einladung des Doktors gefolgt; allmählich kam man in ein Gespräch, bei dem Marietta allerdings den Hauptantheil trug. Sie erzählte ausführlich und in höchst komischer Weise das Zusammentreffen mit Willibald. Da sie von der bevorstehenden Verlobung längst unterrichtet war, so behandelte sie den Bräutigam ihrer Freundin wie einen alten Bekannten, sie fragte nach Toni, nach dem Oberforstmeister, und der kleine rothe Mund ging dabei wie ein Mühlwerk.

Der junge Majoratsherr war um so schweigsamer, die helle Stimme, die selbst beim Sprechen so lieblich klang wie Vogelgezwitscher, machte ihn ganz verwirrt. Er hatte den Doktor erst gestern kennen gelernt, als dieser in Fürstenstein einen Besuch abstattete, und es war dabei auch von einer gewissen Marietta die Rede gewesen, die mit seiner Braut befreundet war. Näheres aber wußte er nicht, denn Toni war nicht besonders mittheilsam.

„Und da läßt dies übermüthige Kind Sie nun ohne weiteres im Hausflur stehen und setzt sich an das Klavier, um mir seine Ankunft anzukündigen!“ sagte Volkmar kopfschüttelnd. „Das war sehr unartig, Marietta.“

Das junge Mädchen lachte und schüttelte die kurzen krausen Locken.

„O, Herr von Eschenhagen nimmt es nicht übel, dafür darf er auch zuhören, wenn ich Dir Dein Lieblingslied noch einmal vorsinge, Du hast ja kaum ein paar Takte gehört. Soll ich gleich anfangen?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie an das Klavier, und nun erhob sich wieder jene silberhelle Stimme, die das Ohr förmlich bestrickte mit ihrem Zauber. Sie sang eine alte einfache Volksweise, aber es klang so lockend und schmeichelnd, so weich und süß, als sei plötzlich der Frühling und der Sonnenschein eingezogen in die stillen öden Räume des alten Hauses. Und es legte sich dabei auch wie Sonnenschein auf das Gesicht des alten weißhaarigen Mannes, in das sich so manche Falte der Sorge und des Kummers gegraben hatte. Mit einem halb wehmüthigen, halb freundlichen Lächeln hörte er dem Liede zu, das ihn wohl an die Zeit erinnern mochte, wo er noch jung und glücklich war.

Aber er war nicht der einzige aufmerksame Zuhörer. Der junge Majoratsherr von Burgsdorf, der vor zwei Stunden bei den donnernden Klängen des Janitscharenmarsches eingeschlafen war, der in vollster Uebereinstimmung mit seiner Braut die „dumme Musik“ für eine sehr langweilige Sache hielt, er lauschte diesen weichen, quellenden Tönen so andächtig, als ob sie ihm eine neue Offenbarung verkündeten. Weit vorbeugt saß er da, die Augen unverwandt auf das junge Mädchen gerichtet, das augenscheinlich mit ganzer Seele bei dem Gesange war und dabei mit einer unendlich reizenden Bewegung das Köpfchen hin und her wiegte, und als das Lied zu Ende war, athmete er tief auf und fuhr mit der Hand über die Stirn.

„Mein kleines Singvögelchen!“ sagte Doktor Volkmar zärtlich,

Friedrich Mitterwurzer als Dietrich v. Quitzow.
Nach einer Photographie von Alfred Naumann in Leipzig.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_133.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)
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