Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1890) 134.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

indem er sich zu seiner Enkelin niederbeugte und einen Kuß auf ihre Stirn drückte.

„Gelt, Großpapa, meine Stimme hat nicht gerade verloren in den letzten Monaten?“ fragte sie neckisch. „Aber Herrn von Eschenhagen scheint sie doch nicht zu gefallen, er sagt mir kein Wort darüber.“

Sie blickte mit der Miene eines schmollenden Kindes zu Willibald hinüber, der sich jetzt erhob und gleichfalls an das Klavier trat. Auf seinem Gesicht lag eine leise Röthe und in seinen sonst so ausdruckslosen braunen Augen leuchtete es auf, als er halblaut sagte:

„O, es war sehr, sehr schön!“

Die junge Sängerin mochte wohl an andere Komplimente gewöhnt sein, aber sie fühlte doch die tiefe, ehrliche Bewunderung in den lakonischen Worten und bemerkte recht gut, welchen Eindruck ihr Gesang gemacht hatte; sie lächelte deshalb, als sie erwiderte:

„Ja, das Lied ist auch sehr schön. Ich habe jedesmal einen förmlichen Triumph damit gefeiert, wenn ich es als Einlage zu meiner Rolle sang.“

„Zu Ihrer Rolle?“ wiederholte Willy, der sich diesen Ausdruck nicht erklären konnte.

„Nun ja, bei dem Gastspiel, von dem ich eben zurückkomme. O, es ist glänzend verlaufen, Großpapa, und der Direktor hätte es gern verlängert, aber ich hatte schon den größten Theil meines Urlaubs darauf verwandt und wollte doch wenigstens noch einige Wochen bei Dir sein.“

Der junge Majoratsherr hörte in steigender Verwunderung zu. Gastspiel – Urlaub – Direktor – was sollte denn das alles bedeuten? Der Doktor bemerkte sein Erstaunen.

„Herr von Eschenhagen kennt Deinen Beruf noch nicht, mein Kind,“ sagte er ruhig. „Meine Enkelin hat sich zur Sängerin ausgebildet.“

„Wie nüchtern Du das sagst, Großpapa!“ rief Marietta aufspringend; und sich zu der vollen Höhe ihrer zierlichen Gestalt aufrichtend, fügte sie mit komischer Feierlichkeit hinzu:

„Seit fünf Monaten Mitglied eines hochzuverehrenden herzoglichen Hoftheaters, eine Person in Amt und Würden, also – Hut ab, mein Herr!“

Mitglied des Hoftheaters! Willibald zuckte förmlich zusammen bei dem verhängnißvollen Worte. Der wohlerzogene Sohn seiner Mutter theilte deren ganzen Abscheu vor dem „Komödiantenwesen“. Er trat unwillkürlich drei Schritte zurück und starrte entsetzt auf die junge Dame, die ihm so Schreckliches verkündete. Sie lachte laut auf bei der Bewegung.

„Nun, so viel Respekt brauchen Sie nicht zu haben, Herr von Eschenhagen! Ich erlaube Ihnen, hier am Klavier stehen zu bleiben. Hat Ihnen denn Toni nicht gesagt, daß ich beim Theater bin?“

„Toni? – Nein!“ stieß Willibald ganz fassungslos hervor. „Aber sie erwartet mich, ich muß nach Fürstenstein – ich bin schon viel zu lange hier gewesen!“

„Recht artig!“ lachte das junge Mädchen ausgelassen. „Das ist wirklich nicht sehr schmeichelhaft für uns; aber da Sie Bräutigam sind, müssen Sie natürlich zu Ihrer Braut.“

„Ja, und zu meiner Mama,“ sagte Willy, der ein dunkles Gefühl hatte, daß ihm irgend etwas Fürchterliches drohe, und dem seine Mutter als ein rettender Engel erschien. „Ich bitte um Entschuldigung, aber ich – ich bin wirklich schon viel zu lange hier gewesen …“

Er stockte, denn er erinnerte sich, daß er das schon einmal gesagt hatte, und suchte nach anderen Worten, fand sie aber nicht und wiederholte glücklich die Artigkeit zum drittenmal.

Marietta wollte sich ausschütten vor Lachen. Doktor Volkmar aber erklärte höflich, seinen Gast nicht länger aufhalten zu wollen, und bat, seine Empfehlungen an den Oberforstmeister und an Fräulein von Schönau auszurichten. Der junge Majoratsherr hörte kaum darauf, er suchte seinen Hut, machte eine Verbeugung, stotterte einen Abschiedsgruß und lief davon, als ob ihm der Kopf brenne. Er hatte nur den einen Gedanken, daß er so schnell als möglich fort müsse; dies übermüthige, neckische Lachen machte ihn ganz verrückt.

Als Volkmar, der ihn bis zur Thür begleitet hatte, zurückkehrte, wischte sich seine Enkelin, halb erstickt vor Lachen, die Thränen aus den Augen.

„Ich glaube, bei Tonis Bräutigam ist es hier nicht recht richtig!“ rief sie, die zierlichen Finger an die Stirn legend. „Zuerst lief er stumm wie ein Fisch mit dem Koffer hinter mir drein, dann schien er etwas aufzuthauen bei meinem Gesange, und nun bekommt er wieder einen förmlichen Anfall zum Davonlaufen und rennt nach Fürstenstein zu seiner ‚Mama‘, so daß ich ihm nicht einmal einen Gruß an seine Braut mitgeben kann.“

Der Doktor lächelte ein wenig schmerzlich; er hatte besser beobachtet und errieth, woher die plötzliche Veränderung in dem Benehmen seines Gastes stammte.

„Der junge Mann hat wohl noch nicht viel mit Damen verkehrt,“ versetzte er ausweichend, „und er scheint auch noch einigermaßen unter der Vormundschaft seiner Mutter zu stehen; aber seiner Braut gefällt er offenbar ganz gut, und das ist schließlich die Hauptsache.“

„Ja, hübsch ist er!“ sagte Marietta etwas nachdenklich, „sogar sehr hübsch, aber ich glaube, Großpapa, er ist auch sehr dumm.“

Willibald war inzwischen im Sturmschritt bis zur nächsten Straßenecke gelaufen; da blieb er stehen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen, die vollständig in Verwirrung gerathen waren. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er damit zustande kam, aber er blickte noch einmal nach dem Hause des Doktors zurück, ehe er langsam weiter ging.

Was würde seine Mutter dazu sagen! Sie, die das ganze „Komödiantenvolk“ ohne Ausnahme in Acht und Bann gethan hatte. Und sie hatte recht, Willy spürte ja ganz deutlich, daß so etwas wie Hexerei von diesem Volke ausging, man mußte sich vor ihm hüten!

Aber wenn diese Marietta Volkmar sich nun einfallen ließe, ihre Jugendfreundin in Fürstenstein zu besuchen? der junge Majoratsherr hätte sich doch eigentlich entsetzen müssen bei dem Gedanken und war auch fest überzeugt, daß er sich entsetze; aber dabei trat wieder jenes seltsame Leuchten in seine Augen. Er sah urplötzlich in dem Empfangszimmer am Flügel, wo vorhin seine Braut gesessen hatte, eine zarte, kleine Elfengestalt, die das Köpfchen mit dem lockigen dunklen Haar wie ein Singvögelchen hin und her wiegte, und der Donner des Janitscharenmarsches verwandelte sich in die weichen quellenden Töne des alten Volksliedes, und dazwischen schallte wieder jenes übermüthige, silberhelle Lachen, das auch wie Musik klang.

Und das alles sollte nun verdorben und verloren sein, weil es der Bühne angehörte? Frau von Eschenhagen hatte oft genug solche Ansichten ausgesprochen und Willibald war ein viel zu guter Sohn, um das nicht für ein Orakel zu halten; aber er stieß einen tiefen Seufzer aus, als er halblaut sagte:

„O wie schade! Wie jammerschade!“




Ungefähr in der Mitte zwischen Fürstenstein und Rodeck, da wo das Waldgebirge sich zu seiner vollen Höhe erhob, lag der Hochberg, ein beliebter und besuchter Aussichtspunkt, der wegen seiner weiten Rundsicht berühmt war. Der uralte steinerne Thurm auf seinem Gipfel, der letzte Ueberrest einer im übrigen längst verschwundenen Burgruine, war zugänglich gemacht worden, und zu seinen Füßen hatte sich eine kleine Wirthschaft angesiedelt, die während der Sommermonate reichlichen Zuspruch aus der Umgegend fand. Denn Fremde kamen nicht allzuhäufig in diese wenig bekannten Waldberge und Thäler.

Jetzt im Herbste war der Besuch allerdings spärlich, aber der heutige schöne Tag hatte doch noch einige Menschen zu dem Ausfluge verlockt. Vor einer halben Stunde waren zwei Herren in Begleitung eines Dieners zu Pferde angekommen, und soeben fuhr ein Wagen vor dem Wirthshause vor, der neue Gäste brachte.

Auf der Plattform des Thurmes, an der steinernen Brüstung standen die beiden Herren. und der jüngere war eifrig bemüht, seinem Freunde die einzelnen Punkte der Landschaft zu zeigen und zu erklären.

„Ja, unser Hochberg ist berühmt wegen seiner Aussicht,“ sagte er. „Ich mußte ihn Dir doch endlich einmal zeigen, Hartmut. Nicht wahr, der Blick über dies weite grüne Waldmeer ist unvergleichlich?“

Hartmut antwortete nicht, er schien mit dem Fernglase irgend einen Punkt zu suchen.

„Wo liegt denn Fürstenstein? Ah dort! Es scheint ein mächtiges altes Bauwerk zu sein.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_134.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
OSZAR »