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Seite:Die Gartenlaube (1890) 135.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Ja, das Schloß ist immerhin sehenswerth,“ meinte Fürst Adelsberg. „Im übrigen aber hattest Du ganz recht, vorgestern zu Haus zu bleiben. Ich habe mich sträflich gelangweilt bei dem Besuche.“

„So? Du schienst doch sehr eingenommen von dem Oberforstmeister.“

„Gewiß, ich plaudere sehr gern mit ihm, aber er war ausgefahren und kam erst kurz vor meinem Aufbruche wieder zurück. Sein Sohn ist jetzt überhaupt nicht in Fürstenstein, er studiert noch auf der Forstakademie, und so hatte ich denn nur dem Fräulein von Schönau aufzuwarten, aber kurzweilig war dies ‚Vergnügen‘ gerade nicht. Alle fünf Minuten ein Wort und zu jedem Wort eine Minute! Sehr viel Wirthschaftlichkeit und Häuslichkeit, und sehr wenig da oben hinter der Stirn! Ich hielt im Schweiße meines Angesichtes die Unterhaltung im Gange und hatte dann noch die Ehre, den Bräutigam der Baroneß kennen zu lernen, einen echten, unverfälschten Landjunker, mit einer sehr energischen Frau Mama, die ihn und die künftige Schwiegertochter gänzlich unter dem Kommando hat. Wir führten unendlich geistreiche Gespräche und kamen schließlich sogar auf die Rübenkultur, über die ich eingehend belehrt wurde. Es wurde erst menschlich, als der Oberforstmeister mit seinem Schwager, dem Baron Wallmoden, zurückkehrte.“

Rojanow hielt das Glas immer noch auf Fürstenstein gerichtet, während er anscheinend gleichgültig zuhörte. Jetzt wiederholte er in fragendem Tone:

„Wallmoden?“

„Der neue preußische Gesandte an unserem Hofe. Eine echte Diplomatenerscheinung, vornehm, kühl, zugeknöpft bis zum Halse, übrigens von sehr angenehmen Formen. Excellenz die Frau Baronin waren nicht sichtbar, was ich mit Fassung ertrug, denn da der Herr Gemahl schon graue Haare hat, so wird sich die Dame wohl auch in dem Alter befinden, dem man nur noch Hochachtung zollt.“

Um Hartmuts Lippen spielte ein eigenthümlich bitterer Ausdruck, als er jetzt das Glas sinken ließ. Er hatte seinem Freunde das Zusammentreffen mit Frau von Wallmoden verschwiegen. Wozu auch diesen Namen erwähnen? Er wollte so wenig als möglich daran erinnert sein.

„Uebrigens wird es mit unserer romantischen Waldeinsamkeit bald vorbei sein,“ fuhr Egon fort. „Wie ich von dem Oberforstmeister hörte, kommt der Hof diesmal zu den Jagden nach Fürstenstein, und ich kann mich dann auch auf einen Besuch des Herzogs in Rodeck gefaßt machen. Sehr entzückt bin ich darüber nicht, denn mein erlauchter Herr Onkel pflegt mir ebenso oft und ebenso eindringlich Moral zu predigen wie der Stadinger, und da muß ich natürlich standhalten. Aber bei Gelegenheit dieses Besuches werde ich Dich vorstellen, Hartmut, Du bist doch einverstanden?“

„Wenn Du es für nothwendig hältst und die Etikette Eures Hofes es gestattet –“

„Bah, die Etikette wird bei uns nicht so streng gehandhabt, und überdies – die Rojanows gehören doch zu den Bojarenfamilien Deiner Heimath?“

„Gewiß!“

„Nun, dann bist Du ohne weiteres zu der Vorstellung berechtigt. Ich halte sie allerdings für wünschenswerth, denn ich habe mir nun einmal in den Kopf gesetzt, Deine ‚Arivana‘ auf unserer Hofbühne zu sehen, und sobald der Herzog Dich und Dein Werk kennt, steht das gar nicht mehr in Frage.“

Die Worte verriethen die ganze leidenschaftliche Bewunderung, die der junge Fürst für seinen Freund hegte; aber dieser zuckte nur leicht die Achseln.

„Möglich, besonders wenn Du dafür eintrittst, aber ich mag das nicht der Protektion verdankest. Ich bin kein Dichter von Beruf, weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt ein Dichter bin, und wenn mein Werth sich nicht selbst den Weg bahnen und erzwingen kann –“

„So wärst Du starrsinnig genug, es der Oeffentlichkeit zu entziehen – das sieht Dir ähnlich! Hast Du denn gar keinen Ehrgeiz?“

„Vielleicht nur zu viel, und daher stammt das, was Du meinen Starrsinn nennst. Ich habe mich nie fügen und unterordnen können im Leben, ich konnte nicht, meine ganze Natur bäumte sich auf dagegen, und für die Verhältnisse an Euren deutschen Höfen bin ich nun vollends nicht geschaffen.“

„Wer sagt Dir denn das?“ fragte Egon lachend. „Man wird Dich dort wie überall verwöhnen und umschmeicheln. Es ist nun einmal Deine Art, wie ein Meteor aufzusteigen, und von solchen Sternen verlangt man es gar nicht, daß sie die gewöhnlichen Bahnen ziehen. Ueberdies hast Du als Gast und Ausländer von vornherein eine Ausnahmestellung, und wenn Dich erst noch der Nimbus des Dichters umgiebt, dann –“

„Denkst Du mich damit in Deiner Heimath festzuhalten!“ ergänzte Hartmut.

„Nun ja denn! Ich allein traue mir nicht die Macht zu, Dich dauernd zu fesseln, Du wilder, ruheloser Gast, aber ein aufsteigender Dichterruhm ist eine Fessel, die man nicht so leicht abstreift, und seit heute morgen habe ich mir geschworen, Dich um keinen Preis wieder fortzulassen.“

Rojanow stutzte und sah ihn forschend an.

„Warum gerade seit heut morgen?“

„Das ist vorläufig mein Geheimniß,“ sagte Egon neckend. „Ah, da kommen noch mehr Gäste, wie es scheint!“

Man hörte in der That Schritte auf der schmalen steinernen Wendeltreppe, und in der Oeffnung, welche auf die Plattform führte, erschien das bärtige Gesicht des alten Thurmwächters.

„Bitte, nehmen Sie sich in acht, Gnädigste,“ ermahnte er, sich besorgt umschauend. „Die letzten Stufen sind sehr steil und ganz ausgetreten – so, da wären wir oben!“

Er wollte der nachfolgenden Dame die Hand reichen, aber sie bedurfte seiner Hilfe nicht, sondern stieg leicht und mühelos vollends empor.

„Welch ein schönes Mädchen!“ flüsterte Fürst Adelsberg seinem Freunde zu; aber dieser machte statt aller Antwort eine tiefe und sehr förmliche Verbeugung vor der Dame, die bei seinem Anblick eine gewisse Ueberraschung nicht verbergen konnte.

„Ah, Herr Rojanow, Sie hier?“

„Ich bewundere die Aussicht des Hochberges, die man wohl auch Ihnen gerühmt hat, Excellenz!“

Das Gesicht des jungen Fürsten verrieth ein grenzenloses Erstaunen, als das „schöne Mädchen“ Excellenz titulirt wurde und er aus der Anrede ersah, daß sie seinem Freunde nicht fremd sei. Er kam schleunigst herbei, um gleichfalls dieser Bekanntschaft theilhaftig zu werden, und Hartmut konnte nicht umhin, den Fürsten Adelsberg der Baronin Wallmoden vorzustellen; aber er berührte nur sehr flüchtig die Begegnung im Walde, denn die junge Frau fand es auch heute für gut, sich in ihre stolze Unnahbarkeit zu hüllen. Es wäre kaum nöthig gewesen, denn Rojanow beobachtete die äußerste Zurückhaltung, sie schienen beiderseits entschlossen, die Bekanntschaft als eine durchaus flüchtige und oberflächliche zu behandeln.

Egon hatte mit einem vorwurfsvollen Blicke seinen Freund gestreift, er begriff nicht, wie man eine solche Begegnung verschweigen konnte, dann aber stürzte er sich mit vollster Lebhaftigkeit in die Unterhaltung. Er stellte sich als Nachbar vor, erwähnte seines vorgestrigen Besuches in Fürstenstein und sprach sein Bedauern aus, Frau von Wallmoden damals verfehlt zu haben. Damit war ein Gespräch eingeleitet, bei dem der junge Fürst seine volle Liebenswürdigkeit entfaltete, während er zugleich in den Schranken gemessenster Artigkeit blieb. Er wußte freilich von Anfang an, daß er der Gemahlin des Gesandten gegenüberstand, der man nicht mit einem kecken Komplimente nahen durfte, wie Hartmut es gegen die Unbekannte gewagt hatte, und dieser heiteren, unbefangenen Liebenswürdigkeit gelang es sogar, den eisigen Hauch zu mildern, der die schöne Frau umgab. Egon hatte schließlich den Vorzug, ihr die Landschaft zeigen und erklären zu dürfen.

Hartmut betheiligte sich nicht so lebhaft an der Unterhaltung, wie es sonst seine Art war, und als er das Fernglas, um das ihn der Fürst gebeten hatte, wieder hervorzog, vermißte er auf einmal seine Brieftasche. Der Thurmwächter erbot sich sofort, sie zu suchen, aber Rojanow erklärte, er werde das selbst thun. Er erinnerte sich noch genau der Stelle, wo beim Heraufsteigen irgend etwas zu Boden geglitten war, das er nicht weiter beachtet hatte. Es war jedenfalls die Brieftasche gewesen, er würde sie mit leichter Mühe finden und dann die Herrschaften wieder aufsuchen. Damit grüßte er und verließ die Plattform.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_135.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
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