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Seite:Die Gartenlaube (1890) 142.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ich Gelegenheit, mit L. Pietsch, der sich in unserer Mitte befand, die mancherlei Erlebnisse dieser Nilreise wieder durchzusprechen. Mit Stanley befanden sich auf einem Boote u. a. der berühmte, inzwischen verstorbene Berliner Archäolog Professor Friedrich und die Franzosen Cambon und Elie Reclus. Diese wunderten sich sehr, daß Stanley sich allabendlich unter englische Reisewerke über Aegypten vergrub und ohne aufzublicken dicke Hefte daraus zusammenschrieb. Auf die Frage, was er da mache, erwiderte Stanley, er schreibe an einem Geschichtswerke über Aegypten; die Frage, ob er denn Altägyptisch verstehe, verneinte er. Als sich darob das Gemüth des deutschen Gelehrten Friedrich entsetzte, sagte Stanley stolz, er habe auch, ohne ein Wort Griechisch zu kennen, eine in Amerika vielgelesene Geschichte Griechenlands verfaßt; dies war mehr, als der deutsche Gelehrte vertragen konnte; es fiel das Wort „Leichtfertigkeit“ von der einen, „Schulfuchserei“ von der andern Seite, und ein peinlicher Zusammenstoß war jeden Augenblick zu befürchten. Bei mir beklagte sich Stanley bitter über die alten Zöpfe, die aus Mißgunst die aufstrebenden Jungen niederzudrücken suchten. Es stand sich hier auch wirklich die Alte und die Neue Welt in unversöhnbarem Gegensatze gegenüber. Inzwischen ließ sich Stanley doch über die wahren Gesinnungen und Beweggründe des deutschen Gelehrten aufklären und er blieb einige Tage recht nachdenklich, als ihn E. Reclus mit folgenden Worten vor den Scheideweg gestellt hatte: „Wollen Sie durch Ihre Werke einen kleineren Kreis auserwählter Geister befriedigen, so müssen Sie allerdings einige Jahre Ihres Lebens opfern, um auf irgend einer Hochschule nachzuholen, was Ihnen an klassischer Bildung fehlt; ist es Ihnen aber bloß darum zu thun, bei den Massen in Ihrem Vaterlande sich einen Namen zu machen und sich hierdurch vielleicht eines Tages den Posten eines Senators zu erobern, so fahren Sie getrost auf dem bereits eingeschlagenen Wege fort.“

Stanley dankte es einem gütigen Geschicke, daß seine ungeschulte, aber auch unbeugsame Arbeits- und Thatkraft bald in eine Bahn gelenkt wurde, aus der er mit der Weltberühmtheit zugleich die Anerkennung der ernsten Männer der Wissenschaft ernten durfte. Noch bevor wir uns trennten, hatte Stanley Ursache, seinerseits mir einmal den Kopf tüchtig zu waschen. Wir lagerten nach glücklich vollendeter Bergfahrt bei frohem Mahle unter den Tempel-Ruinen von Philä, als ein Mitglied der Expedition S. Bakers, von der ein Theil noch bei Assuan vor Anker lag, mit dem Antrage bei mir erschien, ich solle mich dem englischen Unternehmen als Geschichtschreiber desselben anschließen. Das Abenteuer einer mit bis dahin unerhört großartigen Vorbereitungen unternommenen Fahrt nach Innerafrika war für einen jungen, gesunden Mann verlockend genug; auch die äußeren Bedingungen entsprachen so ziemlich; ich hätte rasch nach Kairo zurückfahren, meine Ausrüstung daselbst auf Bakers Kosten bewerkstelligen und dann so schnell als möglich zur Mannschaft desselben stoßen sollen. Stanley war denn auch die ganze Zeit hinter mir her, ich solle mit beiden Händen zugreifen. Es war aber ein Punkt in dem Antrage, der nur nicht zu Sinne wollte; ich hätte mich auf fünf Jahre verpflichten müssen und dieses Zeitopfer schien mir besonders deswegen zu groß, weil ich als Laie in den Naturwissenschaften mir keinerlei dauernden Gewinn fürs Leben von der Theilnahme an dem Unternehmen versprechen konnte. Als ich denn endgültig ablehnte, fand Stanley nicht Worte genug, mich ob einer solchen Unbegreiflichkeit auszuschelten. Er selber hatte freilich auch kaum Lust, statt meiner einzutreten, denn er wollte damals nichts mit Engländern zu thun haben.

Im übrigen hat sich später das Geschick der Expedition Bakers mit dem persönlichen Geschick Stanleys auf eine wundersame Weise verflochten, von der nicht viele Kenntniß haben dürften. Man kennt die romantische Geschichte, wie der reiche Besitzer des „New-York-Herald“ eines Tages seinen Berichterstatter Stanley nach Paris zu sich berief und ihm in einer Unterredung von wenigen Minuten den Auftrag und die Mittel gab, Livingstone zu suchen. Es war aber beim Gelingen der Fahrt zu Livingstone wie beim frühen Mißlingen der Bakerschen Expedition auch der Einfluß des damaligen Khedive Ismail Pascha sehr erfolgreich thätig gewesen. Der Khedive, der Baker anfangs in jeder Weise gefördert, ihm ägyptische Soldaten zum Schutze mitgegeben und ihn mit Empfehlungen an die innerafrikanischen Stammeshäuptlinge ausgestattet hatte, wurde bald von Mißtrauen beschlichen, daß die Engländer bei ihrem Vordringen neben den wissenschaftlichen auch für ihn sehr bedenkliche politische Zwecke verfolgten. Seinen Verdacht bestärkten die Briefe Bakers an den Prinzen von Wales, die sein schwarzes Cabinet in Kairo erbrach und ihm vorlegte, und die, mit bösen Bemerkungen über des Khedive zweideutige Haltung, insbesondere seine Beziehungen zu den Sklavenhändlern im Innern erfüllt, zu seinem immer größeren Verdrusse, regelmäßig nachdem sie der Prinz von Wales gelesen hatte, wortgetreu in der „Times“ ab- gedruckt wurden. Dafür wußte sich nun der Khedive in doppelter Weise zu rächen. Zunächst begegnete der Weitermarsch Bakers, dem zuvor alle Wege geebnet schienen, mit einem Male solchen Schwierigkeiten, daß bald nichts anderes als die Rückkehr der Expedition übrig blieb. Und dann konnte dem englischen Nationalgefühl, das noch nicht so dickhäutig war wie bei der späteren Preisgebung Gordons, der empfindlichste Schlag versetzt werden, wenn es ein Amerikaner mit Erfolg unternahm, Livingstone aufzusuchen, zu dem keiner seiner englischen Landsleute mehr vorzudringen wagte. In Stanley, der sich damals noch längere Zeit in Kairo aufhielt, hatte Ismail Pascha den richtigen Mann zur Ausführung seines Gedankens gefunden; und wir glauben auch in diesem Punkte, daß der Ruhm, den sich Stanley mit der Reise zu Livingstone und mit allen seinen späteren afrikanischen Thaten verdiente, nur noch heller erstrahlen muß, wenn man auf seine kleinen Anfänge vor zwanzig Jahren zurückblickt. Stanley selber bewahrt jenen Zeiten, die doch so weit hinter ihm liegen, eine lebendige, freundliche Erinnerung, und so oft er aus dem Dunkel Afrikas wieder zum Licht emportaucht, beweist er durch Briefe voll rührender Anhänglichkeit an seine Freunde, daß in seiner von dreifachem Erz umschirmten Brust ein gutes und treues Herz schlägt. W. Lauser.     




Die Erforschung der Meere.

4. Die deutsche Plankton-Expedition.

Wir haben am Schluß unseres vorhergehenden Artikels[1] das offene Meer mit der Steppe verglichen, auf welcher allerlei Thiere in Scharen von Weide zu Weide ziehen. Schon die frühere Forschung hat uns interessante Einblicke in die Lebensgeheimnisse der Meeresthierwelt enthüllt. Auf der Hochsee begegneten wir neben den Fischen auch zahllosen winzigen Geschöpfen, wir möchten nur an die Foraminiferen, Radiolarien und namentlich die winzigen Algen erinnern. Die letzteren bedecken oft große Strecken des Meeres, und so sahen z. B. die Naturforscher des „Challenger“ auf ihrer Fahrt tagelang solche Anhäufungen von Diatomeen, wahre Algenwiesen, die gleich Sümpfen rochen. Diese Pflänzchen, diese winzigen Thiere, selbst viele von einer Größe, die man noch ganz gut mit unbewaffnetem Auge unterscheiden kann, können gegen die Gewalt der Wogen nicht ankämpfen, sie müssen willenlos den Meeresströmungen folgen, sind ein Spiel von Wind und Wellen, und Professor Viktor Hensen hat diese Gesammtmasse der Organismen mit dem Namen „Plankton“ bezeichnet, sie bilden den „Auftrieb“ des Meeres, von dem sie umhergeworfen werden, wie der vielgewanderte Odysseus, der gleichfalls so sehr „umhergetrieben“ wurde, wie Homer von ihm singt.

Keine der Expeditionen zur Erforschung der Meere, die wir bis jetzt erwähnt haben, hat sich eingehender mit diesem Plankton beschäftigt, ja es fehlten sogar der Wissenschaft Mittel, um ein genaueres Beobachten dieser winzigen Wesen zu ermöglichen, in wie weit dieselben in dem großen Haushalt des Meeres in Frage kommen. Niemand wagte sich an die schwierige Ausgabe, den Auftrieb des Meeres zu zählen und aus den gewonnenen Zahlen untrügliche Schlüsse zu ziehen; auf den ersten Blick mochte auch ein derartiges Unterfangen ebenso mühsam erscheinen, wie wenn man den Sand am Meeresufer hätte zählen wollen.


  1. Siehe Halbheft 3 dieses Jahrgangs.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_142.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
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