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Seite:Die Gartenlaube (1890) 147.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

in die Wirthschaft halbiert worden war. Und so verging denn kein Tag, an dem er nicht an der Seite von Kaulbars den Versuch einer ’mal flüchtigeren, ’mal eingehenderen Unterhaltung über Nahes und Fernes, über Wirthschaftliches und Persönliches gemacht hätte.

Kaulbars’ Lieblingsthema war es, mit seiner ganzen zur Schau getragenen Ueberlegenheit den Amerikanern ihre Sünden und Mangelhaftigkeiten vorzuhalten.

Eines Tages war es ein Gespräch über Ruth und Toby, von dem aus die Brücke zu diesem Lieblingsthema mit gewohnter Geschicklichkeit geschlagen wurde.

„Die beiden Kinder sind doch der Sonnenschein von Nogat-Ehre,“ sagte Lehnert. „Ueber Ruth ist gar nicht zu streiten; ich kann sie nicht sehen, ohne an die Lilien auf dem Felde zu denken. Aber auch Toby, wie brav und wie gescheit ist er, und wie gewandt! Wenn Obadja heute stirbt, was Gott verhüten wolle, so nimmt er die Wirthschaft in die Hand.“

„Ja, das thut er, die Einbildung dazu hat er, die haben sie hier alle. Kaum ist einer trocken hinter den Ohren, oder auch noch nich ’mal, so wird er ein Reverend oder ein Magistrate, oder sie schicken ihn als Gesandten nach der Türkei . . . Na, für die Türken mag es gehen. Un’ is nu gar ein bißchen Krieg in der Luft und soll es gegen Texas losgehen oder Utah oder gegen Mexiko, na, denn hast Du nich gesehen, denn backen sie die Generale und Obersten wie die Semmeln. Und wer heute noch ein Advokat is oder ein Chemist oder ein Lieferant, der is morgen ein Oberst, und nu geht’s ans Schlachtenschlagen. Und denn fahren sie los und singen Jankee-Doodle und thun, als ob sie wenigstens die Welt erobern wollten, und so lange sie die Schienen unter den Beinen haben, so lange geht es. Aber wenn nu das Marschieren anfängt und das erste Camp kommt oder das erste Bivouac, ja, du himmlischer Vater, da haben wir denn die Bescherung: Da is nichts da, da fehlt die Verpflegung und das Gehungre geht los und wenn sie vierzehn Tage lang im Modder gelegen und noch keinen Feind gesehen haben, dann fallen ihnen die Stiebel vom Leibe und keine Naht hält mehr, und wenn sie dann den Feind zu sehen kriegen, dann platzen die Flinten oder gehen gar nicht los, weil das Pulver nichts taugt oder die Patrone nicht paßt. Und warum is es so? Weil es alles bloß Spielerei is und kein Ernst nich, und Ernst is bloß, daß der Lieferant sein Geld kriegt für die Tornister, die immer drücken, und für seine Mäntel von Löschpapier. Ich habe welche gesehen . . . “

Lehnert wollte widersprechen, aber Kaulbars litt es nicht und fuhr in gleich überlegenem Tone fort: „Ich habe welche gesehen, sag’ ich, die wie Zunder vom Leibe fielen. Und warum? Weil alles Geschäft is, und wo alles Geschäft is, is alles Schwindel. Und wenn ich nu frage: ,Warum is es alles Schwindel?’ so kann ich bloß sagen, ’weil sie nichts kennen als Geld und nichts wollen als Geld und nichts anbeten als Geld und weil sie keinen richtigen Gott haben. Und woran liegt es? Weil sie verloddert sind. Und warum sind sie verloddert? Weil sie nicht dienen. Und der Toby hat auch nicht gedient und von Strammheit und richtiger Propreté ist keine Rede nich. Blaue Krawatte trägt er und hat ’ne schlappe Haltung, aber ein blauer Shlips is nicht Proprete, und eine lange Stakete, die hin und her schwankt und immer schlenkert, weil kein Rückgrat drin is, is nich Strammheit.“

Hier hatte sich Kaulbars vorläufig erschöpft und Lehnert fand Gelegenheit, einzuwerfen: „Ich bin überrascht, Mister Kaulbars, Sie so streng zu sehen. Als hier der große Krieg war, Anno 63, da waren wir beide noch drüben und haben beide nichts gehört und nichts gesehen, und was wir nachher, als wir ’rüber kamen, gehört haben, nu hören Sie, Mister Kaulbars, da muß man doch Respekt haben vor dem, wie’s damals hergegangen ist; sie haben sich geschlagen wie die besten Truppen und sind auch richtig verpflegt worden und war keine Rede von vor Hunger sterben. Und so mein’ ich denn, es kann nicht alles bloß Schwindel sein.“

„Es is Schwindel, sag’ ich, und wer gedient hat . . . “

„Ich habe auch gedient, Mister Kaulbars.“

Kaulbars lächelte. „Wobei denn?“

„Bei den Görlitzer Jägern.“

„Na, hören Sie, mit die Jäger, das is immer bloß so so. Das is nich Fisch und nich Vogel und geht eigentlich immer bloß auf Jagd und wilddiebt ein bißchen und is kein richtiger Soldat nich. Ich habe bei die Vierundzwanziger gestanden, Hauptmann von Goerschen, fünfte Compagnie. Haben Sie von dem ’mal gehört? Ich meine von Goerschen. Das heißt, es gab eigentlich zwei Goerschens, einer hieß Franz, der war auch ganz gut, aber unserer hieß Otto und wir nannten ihn ‚unseren Otto’ und war schon mit bei Düppel, Schanze drei. Ich sag’ Ihnen, die Schanze war weg wie Schnupftabak. Ja, so sind die Vierundzwanziger, Ruppin und Havelberg, und Rathenow und die ‚Zietenschen‘, das gehört eigentlich auch noch mit dazu. Hören Sie, die Görlitzer mögen ja so weit ganz gut sein, man soll nicht streiten und soll nich nein sagen, wenn man’s nich weiß. Aber das sag’ ich Ihnen, Mister Lehnert, aufs Dienen kommt es an und jeder muß ’mal Rekrut gewesen sein und muß die Honneurs gelernt haben und muß die Signale gelernt haben. Und das is gewiß, wenn der Hornist blies und war das Signal von der fünften Compagnie, da gab es ein Ohrenspitzen wie ’n Kavalleriepferd und mitten im Schlaf. Und wenn dann der alte Oberst von Unruh mit seiner Krähstimme kommandierte: .Präsentiert das Gewehr’, und dann der Prinz, unser Prinz, die Front abschritt und die Spielleute spielten und wir mit .Augen rechts’ dastanden wie die Puppen, und ich sag’ Ihnen, Lehnert, was für Puppen! – ja, das hätten Sie sehen sollen, das hatte so seine Art, das war ein Vergnügen, und wenn der Prinz dann sagte: ,Ja, das sind meine Vierundzwanziger; Kinder, wenn ich Soldaten sehen will, dann seh’ ich mir die Vierundzwanziger an. Es lebe der Kaiser!’ ja, Mister Lehnert, das war was, das kommt vons Dienen und vons Gehorchenkönnen und von der Strammheit und der Propreté, und wenn Sie die ganzen achtunddreißig ‚States‘ umstülpen und hier unser Indianterritory mit dazu und alle Mennoniten und den alten Obadja auch, so was fällt nich ’raus un’ kann auch nich ’rausfallen, weil’s nich drin is und weil alles Schwindel is . . . Und Miß Ruth, nu ja, Miß Ruth ist ein hübsches Ding, geb’ ich zu, meinetwegen, und Mister Toby guckt in die Welt wie die Maus aus der Heede. Hübsch sind sie und gewaschen und haben so was wie Prinz und Prinzessin. Aber, bei Lichte besehen, das ist eben der Unsinn. Wer kein Prinz is, darf auch nicht wie ’n Prinz aussehen. Prinz Friedrich Karl, der durfte, der war einer. Aber Toby? Toby weiß alles am besten und is doch bloß noch ein Quack. Aber das is hier alles eins, und mit zwanzig ist er bei der Gesandtschaft in Japan und mit vierundzwanzig ist er Oberpriester in Nogat-Ehre. Denn der Alte wird klapprig und ewig kann er doch nicht leben und wenn er auch so fromm wäre wie Abraham oder wie Hiob.“


19.

So verliefen die Gespräche, welche die beiden preußischen „Kameraden“, wenn sie morgens auf die Felder hinausritten, miteinander führten, Gespräche, die Lehnert nur zu deutlich zeigten, daß mit dem guten Kaulbars (und mit der Frau lag es nicht viel besser) Wohl ein friedlicher, aber kein freundschaftlicher Verkehr möglich sei.

Und so würde denn das Gefühl von Vereinsamung, das ihn sehr bald nach seinem Erscheinen in Nogat-Ehre zu quälen begann, sehr wahrscheinlich in einem beständigen Wachsen geblieben sein, wenn ihm nicht der anfangs mit so viel Mißtrauen und Abneigung angesehene Monsieur Camille L’Hermite mit jedem Tage theurer geworden wäre. Monsieur L’Hermite hatte nichts von der selbstgefälligen Enge, darin sich beide Kaulbarse gefielen, und so kam es, daß sich für Lehnert mit dem „lieben Landesfeinde“ – „mon cher ennemi“, wie Monsieur L’Hermite sagte – nach und nach ein Verhältniß anbahnte, das ihm der deutsche Landsmann nicht gewähren konnte.

Den ersten Anstoß zu dieser Wendung gab ein ganz kleiner Vorfall, der sich schon während der ersten Wochen ereignete. Wenn von Tisch aufgestanden und nach kurzem und meist die Wirthschaft betreffendem Gespräche der Rückzug in die Zimmer des oberen Stocks angetreten wurde, schloß sich Lehnert diesem Rückzug nicht immer an, sondern zog es mitunter vor, in einer jenseit der Akazienallee gelegenen Garten- und Parkanlage, darin sich auch die von Obadja aus großen Feldsteinen aufgeführte Familiengruft befand, noch eine halbe Stunde lang auf und ab zu gehen, wobei Ruths Neufundländer ihn meistens begleitete. Stieg er dann, wenn’s dunkel geworden war, auch seinerseits die Treppe hinauf,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_147.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
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