Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Halbheft 22. | 1890. | |
(3. Fortsetzung.)
Auf der Straße wogte es in fröhlichem Durcheinander; die Sonne war vollends hervorgekommen und lockte die Menschen
ins Freie. Linde Aprilluft wehte, der lichtgraue Himmel zeigte große blaue Stellen, und an allen Straßenecken boten arme Kinder
ganze Büschel von Schneeglöckchen und Veilchen aus.
In ernsten Gedanken schritt Reginald seines Weges. – So war nun das vielbesprochene erste Begegnen mit dem Raubmörder vorüber, und er hatte seines Amtes mit keinem Wort walten können. Freilich, darauf hatte er gefaßt sein müssen. Würde es ihm aber überhaupt gelingen, diese mit Unglauben und Trotz gepanzerte Seele aufzuthauen, ehe sie an die Schwelle des Jenseits gelangte? Allzuviel Zeit blieb ihm nicht mehr! Den Geistlichen überschauerte es kalt. Rund um ihn soviel keimendes, strotzendes Leben, ein Drängen und Treiben, ungestüm, unaufhaltsam, dem Licht, der Sonne entgegen … und dort sollte ein Menschendasein gewaltsam beseitigt werden, weil es hieß: Du schädigst Deine Menschenbrüder – es ist kein Raum für Dich auf Erden! –
Und es konnte nicht ganz verderbt, nicht ganz entartet sein, dies Dasein! Es hatten gute Keime sicherlich auch in ihm geschlummert und nur das, was die Menschen die „Verhältnisse“,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_677.jpg&oldid=- (Version vom 29.6.2020)