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Seite:Die Gartenlaube (1890) 774.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

hohe Reiz Ihrer Persönlichkeit, nicht die feine Bildung Ihres Geistes, die Anmuth Ihres Wesens allein war es, die mich bezauberte, das alles schien mir damals und scheint mir auch heute nur wie die herrliche Fassung, wie der wohlgelungene Schliff eines seltenen Edelsteines: der weiblichen Seele, die sich im bunten Treiben der Welt, im Tumult der Bewunderung und Huldigung ihre köstliche Frische und Unbefangenheit zu bewahren wußte.

Ich liebe Sie, theuerste Annie, von ganzem Herzen, liebe Sie mit der ganzen Leidenschaft und Innigkeit eines Mannes, der sein Leben nicht im tollen Rausch genossen, seine Empfindungen nicht in unwürdiger Weise zersplittert hat! Gottlob, daß ich dies von mir sagen, daß ich es wagen darf, mein Auge zu Ihnen zu erheben! Hierin nur und in meiner tiefen, unermeßlichen Liebe liegt die einzige Gewähr, daß Sie den großen Schatz Ihrer Neigung an keinen Unwürdigen verschenken. Wer ich bin, was ich habe, das wissen Sie! Kein größeres Glück für mich, als mein Los mit Ihnen theilen, Sie als mit mir denkende, mit mir handelnde Gefährtin auf meinem oft schweren und verantwortlichen Berufswege neben mir sehen zu dürfen, kein süßerer Gedanke für mich als der, Sie hochzuhalten als meines Daseins kostbares Kleinod.

Ich wage es noch nicht, auf Ihre volle, freudige Gegenliebe zu hoffen; wie selten wäre ein solches Glück, wie vermessen ich, es ohne weiteres für mich in Anspruch zu nehmen! Aber, wenn Sie nun wissen, wie es in mir aussieht, wenn Sie auf meine große und tiefe Liebe blicken, vielleicht, daß dadurch das freundschaftliche Wohlwollen, das aus Ihrem ganzen liebreizenden Wesen zu mir sprach, gesteigert und Ihr weiches Herz gerührt wird in dem Bewußtsein, wie mein ganzes Sinnen und Denken, mein ganzes Hoffen nur auf Sie gerichtet ist.

Ich harre in Demuth Ihres Ausspruchs, und ich bete zu dem Gott, an den wir beide glauben, zu dem Gott, der sich mir so oft über mein Verdienst gnädig erwiesen hat, er möge Ihr Herz zu meinem Herzen führen und mich lehren, diese Gnade zu verdienen! All mein irdisches Glück liegt in Ihrer Hand! Ich drücke diese theure Hand an meine Lippen, an mein Herz und warte, daß sie über mein Schicksal entscheide.

 Immer Ihr treu ergebener
 Reginald von Conventius.“

Die Schwestern ließen den Brief sinken. Thekla sah sehr ernst und nachdenklich vor sich hin, und ihre Lippen flüsterten, ohne daß das junge Mädchen es hören konnte, mehrmals „Schade!“ Annie aber legte wieder ihren Kopf auf Theklas Kniee und weinte bitterlich.
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Er, dem diese Thränen galten, trat um mehrere Stunden später blaß und ergriffen aus der Thür des Gefängnisses. Remmler, der ihn geleitete, und mit dem der leutselige Pfarrer sonst manch freundliches Wort redete, wartete heute umsonst auf eine Ansprache von ihm.

In dem weiten, in regelrechtem Viereck von Gebäuden umstellten Hof lagerten schon abendliche Schatten, die Sonne reichte nicht mehr bis hierher. Warme, sommerliche Luft wehte zwischen den dunkeln, hohen Mauern, als sei auch sie hier gefangen und könne nicht mehr hinaus. Ein Schwälbchen schoß zwitschernd vorüber und huschte in sein kleines Nest unter einem breiten Steinsims nahe dem Dach; zwischen dem fest eingerammten Pflaster sproßten junge Gräser auf, und durch eine halbgeöffnete Thür sah man in den Garten des Direktors, in dem bereits die Obstbäume zu blühen begannen.

Eben trat Gretchen Remmler aus des Schließers Thür und lief mit ihren leichten Kinderfüßchen quer über den ganzen Hof, als sie den Prediger neben ihrem Vater aus dem Gefängnißthor heraustreten sah.

„Herr Pfarrer –“ begann sie schüchtern.

Er drehte sich freundlich nach ihr um.

„Nun, kleine Friedenstaube, was bringst Du mir?“

„Der Herr Direktor“ – Gretchen schöpfte tief Athem – „ja, der Herr Direktor läßt herzlich bitten, ob der Herr Pfarrer nicht so gut sein möchten und noch ein ganz kleines Weilchen zu ihm kommen, er wollte Sie noch so gern sprechen!“

„Gewiß will ich das, mein Kind! Guten Abend, Remmler, und Du, mein Gretchen, besuchst mich morgen nach der Schule, ich muß noch einmal mit Dir reden!“

Direktor Warner saß im Garten unter einem blühenden Kirschbäumchen auf einer Holzbank und erhob sich lebhaft, als er den Erwarteten erblickte.

„Sehr freundlich von Ihnen, daß Sie kommen, Herr Pfarrer! Ich habe um Entschuldigung zu bitten, daß ich Sie so spät noch herbitten ließ, aber es läßt mir keine Ruhe, ich muß wissen, wie die Sache mit dem Kerl – hm! – ich meine mit dem Schönfeld, abgelaufen ist … abgelaufen ist!“

„Sie wissen, daß er mich durch Gretchen Remmler rufen ließ –“

„Ganz recht, ja! Die Kleine sagte mir Bescheid: der Gefangene auf Nummer achtundfünfzig möchte gern den Herrn Prediger sprechen! Sie können sich vielleicht mein Erstaunen denken! Hat’s denn damit wirklich seine Richtigkeit gehabt – Richtigkeit gehabt?“

„Jawohl, Herr Direktor!“

„Also wahrhaftig! Mir wirbelte der Kopf, als ich es hörte! Nummer achtundfünfzig verlangt nach unserm Herrn Prediger! Ich sagte mir es immer wieder vor, Nummer achtundfünfzig, dieser mit allen Wässern des Atheismus, des Nihilismus gewaschene Spitzbube, der seinen Mord und Raub aufs kaltblütigste eingesteht, nichts von mildernden Umständen, von Verführung, Komplott und Mitschuldigen wissen will, keinen einzigen seiner ohne Zweifel zahlreichen Spießgesellen angiebt, die Aerzte, die ihn auf Geistesstörung hin beobachten wollen, kurzer Hand von seinen ungeschwächten Verstandeskräften überzeugt und nach einem Gott, einem Jenseits und ewigen Leben soviel fragt wie nach einer tauben Nuß! Und nun – wie um alles in der Welt mag es gekommen sein … gekommen sein?“

Ich kann Ihnen das nicht so ganz genau nachweisen, Herr Direktor! Ich habe mich gehütet, den Gefangenen über seine inneren Regungen, die alle noch im Keim liegen und deren er sich halbwegs schämt, allzusehr auszuforschen. Hätte ich das gethan, – sein kaum beginnendes Vertrauen zu mir wäre für immer dahin gewesen. Als Gretchen Remmler zu mir kam, bin ich sofort mit ihr gegangen, da ich glücklicherweise freie Zeit hatte; dennoch schien die kurze Frist, die zwischen dem Aussprechen seines Wunsches und meinem Kommen lag, genügt zu haben, den Mann mit Reue wegen seiner ‚Uebereilung‘ zu erfüllen, ich fand ihn kühl, einsilbig, verlegen, es gelang mir erst ganz allmählich, ihn zum Aufthauen zu bringen.

Ich begegnete bei ihm, wie bei unzähligen andern gebildeten und halbgebildeten Leuten, einem tiefgewurzelten Mißtrauen gegen den geistlichen Stand im allgemeinen, der festen Ueberzeugung, wir Prediger machten aus unserem Glauben ein sogenanntes Geschäft und seien nichts anderes als mehr oder weniger gute Schauspieler. Ich habe diese Ueberzeugung natürlich nicht mit einem Male entkräftet, ich habe sie nur nach bestem Können zu erschüttern vermocht. Schönfeld fragte mich in feierlichem Ton, mit durchdringend auf mich gerichtetem Blick, ob ich thatsächlich alles glaube, was ich anderen Leuten als göttliche Wahrheit predige; nun, ich konnte das mit gutem Gewissen bejahen, und es schien ihm Eindruck zu machen, er war sichtlich betroffen. Er kam dann auf seine That zu sprechen und wie er schlechterdings keine Reue darüber zu empfinden vermöge, wie er auch der menschlichen Gerechtigkeit ihren ungehinderten Lauf lassen wolle, da ihn das Leben anwidere und er der Meinung sei, es sei kein Platz mehr für ihn auf der Welt. Die Person, die er ums Leben gebracht habe, sei ein bösartiges, schädliches Geschöpf gewesen, und man schulde ihm eigentlich Dank, daß er es beseitigt habe.

Auf meine Entgegnung, wir müßten es Gott überlassen, Tod und Leben zu bestimmen, erwiderte er in seinem alten höhnischen Ton, Gott könne ihn ja zu seinem Werkzeug auserkoren haben, um die Menschheit von einem schlechten Subjekt zu befreien.

Ich fragte ihn mit großem Ernst, ob er wirklich irgend eine göttliche Regung, die ihn zu einer solchen That hätte anspornen können, in sich gespürt habe; die Antwort lautete: nein, er entsinne sich überhaupt nicht, jemals einer göttlichen Regung seines Innern gefolgt zu sein. Ob wir denn dazu da seien, thatenlos zuzusehen, wie Laster, Geiz und Ungerechtigkeit sich auf Erden breit machen, ohne den Versuch zu wagen, dem abzuhelfen und den armen Bestohlenen, Unterdrückten ihr Recht zu verschaffen? – Gewiß sollen wir das, entgegnete ich, aber Mord

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_774.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
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