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Seite:Die Gartenlaube (1890) 782.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

immer wieder mußte die jugendliche Weltbürgerin von irgend einen gerade unbeschäftigten Angehörigen zurückgestopft werden, erheischte also eine fortwährende Aufsicht.

Der Vater hatte sich nun vor zwei Tagen ein netzartiges Drahtgeflecht meterweise aus der Eisenhandlung geholt und das Bettgitter äußerst kunstgerecht durchflochten, eine Leistung, die, wie er mit Stolz ausrechnete, dem Familienvermögen mindestens fünf Mark erhalten hatte.

Daß dieser dilettantische Eingriff in die Innungsrechte des Handwerkes einen kleinen Fehler hatte, indem an den beiden sich treffenden Enden des Drahtgeflechts lauter kleine Dornen und Enden heraussprießten und sich jeder, der einmal ohne besondere Aufmerksamkeit an dem Bettchen vorbeiging, handgroße Löcher in die Kleider riß – daß daher die Ersparniß auf der einen Seite eine Mehrausgabe von mindestens zwanzig Mark auf der andern bedingte, hielt der Vater für eine Erfindung weiblicher Bosheit und glaubte es einfach nicht.

An dem erwähnten Morgen nun hatte die Hausfrau sich gleich nach dem Aufstehen liebevoll über die Wiege der Kleinsten gebeugt, und beim Zurücktreten – ritz – ratz – riß sie sich ein rechtwinkliges Dreieck von so mathematischer Genauigkeit in den Morgenrock, wie es ihr Sohn, der Tertianer, in seiner Geometrie fast noch nie so schön und regelrecht gezeichnet hatte.

Stürmisch erwartete die gereizte Mutter ihren noch schlafenden Gatten und verlangte von ihm, als er noch kaum die Augen offen hatte, Mitgefühl und Reue über diesen neuesten Erfolg seiner Bastelleidenschaft. Ein lebhaftes Wortgefecht eröffnete den Morgen, und verstimmt begab man sich zum Frühstück.

Die größeren Kinder des Hauses waren bereits versammelt. Liesbeth, ein bildhübsches Backfischchen von fünfzehn Jahren, deren tiefblaue Augen unter dichten, schwarzen Wimpern sehr schelmisch hervorsahen, schien durch die ersichtliche üble Laune ihrer elterlichen Vorgesetzten nicht besonders beunruhigt zu sein. Sie wußte, daß sie bei solchen Anlässen als der Liebling des Vaters immer am besten wegkam, und hatte außerdem ein so glückliches Temperament, daß sie jeweilige Schelte schnell und sorglos abschüttelte und wieder so lustig war wie vorher. Das kleinste Kind schlief noch ahnungslos in der neuumflochtenen Wiege, die den ersten Grund zu der düstern Stimmung des Morgens gegeben hatte, und schon glaubte der Hausherr, daß das Frühstück wider Erwarten ohne besonderen Aerger vorübergehen werde.

Denn auch die beiden Jungens der Familie verhielten sich heute ziemlich ruhig. Der dicke Franz war vermöge seines grenzenlosen Phlegmas, das ihm den wenig schmeichelhaften Kosenamen „Pfund Wurst“ eingetragen hatte, nie sehr lärmend und, wenn er etwas zu essen und zu trinken hatte, so ausschließlich mit Leib und Seele dabei beschäftigt, daß er für Extravaganzen keine freie Minute fand.

Der dreizehnjährige Ernst fühlte daher die schwerwiegende moralische Verpflichtung, den täglichen Bedarf an Dummheiten für den Bruder mit zu besorgen, und kam dieser Empfindung aufs gewissenhafteste nach. Immer trug er das Bewußtsein irgend einer verborgenen Schandthat im Busen, die jeden Augenblick „herauskommen“ konnte!

Da Ernst seine eigenen Sachen beständig verlor, verlegte und zerbrach, so entnahm er mit einer Genialität, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, alles Fehlende, oder vielmehr Ersatz dafür, wo er es eben konnte, und trug zum Beispiel heute – dem Vater zum Glück verborgen! – einen Bauer aus des Hausherrn Schachspiel als Kragenknopf mit dem tröstlichen Bewußtsein, daß derselbe ja vor Abend nicht gebraucht werde.

Nebenbei hatte er sich gestern das väterliche Taschenmesser geborgt und die kleinere Klinge desselben war, wie das Messern in der Hand von Tertianern merkwürdigerweise öfter widerfährt, „ganz von selbst“ zerbrochen. Im Bewußtsein dieser beiden belastenden Umstände war es daher Ernst recht elend zu Muthe, und er konnte es kaum erwarten, heute in die Schule – einen ihm sonst tief verhaßten Aufenthalt! – zu gehen, obwohl das in der Stille der Nacht angefertigte Exercitium auch dort einen unfreundlichen Empfang in Aussicht stellte. –

Stumm und bedrückt frühstückte alles. – Plötzlich tönte aus dem Nebenzimmer ein schrilles Geschrei, die Thür wurde aufgerissen und die schon etwas bejahrte Köchin des Hauses stürzte unter gellendem Wehklagen ins Zimmer, auf ihren Schultern als unfreiwillige süße Last Franzens Eichhörnchen tragend, welches, mit bitterer Ironie „das zahme“ genannt, bei Gelegenheit der Fütterung seinem Käfig entschlüpft und der Küchenfee auf den Rücken gesprungen war – eine Lage, in der es sich entschieden mindestens ebenso unglücklich fühlte wie sein Opfer und die nur dadurch hingehalten wurde, daß es sich mit seinen Krallen in die Haare seiner Trägerin verfangen hatte.

Alles sprang auf. Der Vater – zum Glück der Vater höchsteigenhändig! – warf die Kanne mit der Milch um, die sofort in einer breiten plätschernden Straße auf die Dielen niedertroff. Die Mutter lief nach Wischtüchern, Liesbeth lachte, daß ihr die Thränen herunterliefen, die beiden Jungen aber faßten die Sache als Sport auf und rannten schreiend hinter der Köchin her, die, mit dem Eichhörnchen auf dem Rücken, wie von Furien gepeitscht, einem Cirkuspferde vergleichbar, immer rund um den Tisch raste.

Endlich befreite sich das unselige Hausthierchen unter Mitnahme eines Viertels von dem Gelock der Köchin; es jagte, von den Brüdern unter Hussa und Hallo verfolgt, unter alle Schränke, sprang auf den gedeckten Tisch, trat in die Butter und entfloh schließlich über das Sofa auf den Ofen, die Spuren seiner zierlichen Pfötchen in getreuer Butternachbildung auf dem dunkelgrünen Plüsch des Möbels zurücklassend – eine Thatsache, welche das Stichwort „natürlich!“ – gebieterisch herausforderte.

Eine allgemeine Ermattung folgte dem geräuschvollen Auftritt.

Die Köchin, eine kräftige Person, auf deren thätige Mithilfe und guten Willen man beim heutigen großen Reinmachen stark rechnete, zerfloß infolge von Schreck und Schmerz in Thränen und erklärte, dazu hätte sie sich nicht vermiethet, daß sie sich von „den jungen Herren ihren Biestern“ umbringen ließe – sie bekäme Magenkrampf! Mit dieser tröstlichen Versicherung wankte sie schluchzend hinaus.

Der Vater schlug ärgerlich nach seinen Söhnen und verwünschte Jungens und Eichhörnchen in einem Athem, so daß die beiden unschuldigen Schuldigen schon vor der gesetzlichen Schulzeit sich drückten mit der Versicherung „es haut schon dreiviertel,“ die neuerdings für „es schlägt“ beliebt wurde. Sie wurden mit allseitigem Segen entlassen und man hörte nur noch, wie sie auf der Treppe dem abholenden Freunde, „dem Schulze“, das Geheul der Köchin zu dessen namenloser Erheiterung dramatisch vortrugen. – Die Zurückbleibenden, einschließlich des Eichhörnchens, welches sich auf Umwegen auf die Gardinenstange gerettet und sich daselbst als verlegener, rother Knäuel ins Privatleben zurückgezogen hatte, fühlten die eingetretene Stille recht wohlthätig. Die Laune hob sich.

Zudem erschien eben der Briefträger, dieser stets willkommene Mann, und erwies sich auch heute als Friedensengel. Er brachte einen ganzen Stoß Postsachen für den Hausherrn, die, wenn sie sich auch bei näherer Betrachtung mit einer Ausnahme als uninteressante Geschäftsempfehlungen mit der verhaßten Dreipfennigmarke erwiesen, doch immerhin als Ableitung hochwillkommen waren.

Der Oberstlieutenant, ein Mann von System, der alles langsam und höchst ausführlich betrieb, namentlich seit der Dienst

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_782.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)
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