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Seite:Die Gartenlaube (1890) 787.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Nach kaum zehn Jahren fand Rapp seine in schwerer Arbeit errichtete und emporgebrachte Kolonie zu klein, er verkaufte sie um 100 000 Dollars und erwarb dafür weite Ländereien am Flusse Wabash im südwestlichen Theil von Indiana, mitten in dichtem, sumpfigem Walde. Hier mußten nun von neuem die Wälder ausgerodet, Aecker gewonnen und Weinberge angelegt werden. Ein Leben der Mühen und der Entbehrung aller Familienfreuden war auch den Kommunisten von Neu-Harmony beschieden; aber ihr Schatz im Verwahrsam von Rapp wuchs, und das sollte ja die Hauptsache sein, um ins tausendjährige Wonnereich in wohlverdienter Ehrenstellung einziehen zu können. Und fragten[WS 1] die Ungeduldigen, wann dies stattfinden werde, so tröstete sie Rapp damit, daß sich die Zeit erfüllen müsse. Sie habe mit dem Bundesfest vom 15. Februar 1805 begonnen, und nach der Offenbarung Johannis rechne er, daß sie 24½ Jahre dauern werde, also bis 1829 gemeiner Rechnung. Ihrer genug von den Begründern waren derweil unter den ungeheuren Anstrengungen, die ihnen als Mitgliedern der Harmony auferlegt waren, schon gestorben oder gebrechlich geworden. Aber es hatte sich auch in den Theuerungsjahren 1816 und 1817 aus Schwaben neuer Zuzug von Rappschen Jüngern eingestellt und die Zahl der Kolonisten bis auf tausend gesteigert. Mit ihrer Aufnahme mehrte sich der Bundesschatz. Rapp veranstaltete ein neues Dank- und Schwurfest und führte einen noch größeren Despotismus denn seither als von Gott gewollt ein. Alle Briefe mußten durch seine Hände gehen und kein anderes Buch wurde in Neu-Harmony zugelassen als die Bibel und das Rappsche Gesangbuch.

Im Jahre 1823 war der edle und berühmte englische Philanthrop und Schwärmer für eine kommunistische Gesellschaftsreform Robert Owen in Nordamerika und machte da, wie früher in England und auf dem europäischen Festlande, Aufsehen mit seinem verkündeten Traumbild von einem neuen Eden, wo es weder Krieg noch Verbrechen mehr geben werde. Die große Menschenfamilie sollte regiert werden nach dem Gesetz der Liebe. Owen setzte sich mit Rapp in Verbindung und wollte ihm seine Kolonie abkaufen, um sogleich einen wohl eingerichteten kleinen Staat zu haben, der den Anfang einer allgemeinen Weltgesellschaft nach seinen Ideen bilden könnte. Rapp als kluger Finanzmann war bereit, gegen eine halbe Million Dollars den Handel abzuschließen, durch den Owen 30 000 Acres meist bebautes Land mit Wohnungen für 1500 Menschen erhielt. Der englische Idealist bekam durch seine Verehrer in Boston und New-York mit Leichtigkeit die verlangte Kaufsumme zusammen, übernahm die Rappsche Kolonie Neu-Harmony am Wabash und begann mit Feuereifer sein Werk eines wissenschaftlichen Sozialismus, der den Kommunismus ohne religiöse Grundlage für das einzig Richtige erklärte. Jedoch bereits nach zwei Jahren hatte er damit jämmerlich Bankerott gemacht und seine Kolonie gerieth in vollständige Auflösung.

Rapp aber hatte inzwischen mit dem gelösten Gelde eine neue Kolonie bei Pittsburg am Ohio angelegt, die er Harmony-Economy nannte und die er nicht auf den gemeinsamen Namen seiner Anhänger, sondern auf den seines angenommenen Sohnes Reich[e]rt – sein eigener Sohn Johann war schon 1811 gestorben und er besaß aus seiner Ehe sonst nur noch eine Tochter Rosine – in die Gemeindegrundbücher einschreiben ließ. Seinen Leuten erklärte er zur Rechtfertigung dieser dritten Gründung und der nun nochmals ihnen auferlegten Mühsal der Anlage und Einrichtung, daß dies die dritte Einwohnung Gottes in der Welt sei, wie sie nach der Bibel stattfinden müsse, ehe das tausendjährige Reich allen Prüfungen der Auserwählten ein Ende bereite. Und triumphirend konnte er dann bald auch auf den großen Owen verweisen, der mit allen seinen Geldmitteln nichts von seinen kommunistischen Glückseligkeitsverheißungen erreicht habe, während er, der Erleuchtete Gottes, auch zum dritten Mal seinen Getreuen den christlichen Staat der Bruderliebe und Gütergemeinschaft herrlich auferrichte.

In der That erstand Economy glänzender, als die beiden Gründungen vorher gewesen waren. Die Häuser wurden aus Backsteinen erbaut, es gediehen die angelegten Obstgärten und Weinberge, die Aecker und Weiden. Es gab auf der Rappschen Kolonie das beste Vieh, die besten landwirthschaftlichen Maschinen, aufblühende Fabriken und Gewerbebetriebe. Der große Wohlstand war allen ersichtlich und weit und breit stand die Gemeinde wegen ihrer Leistungskraft wie wegen der Sparsamkeit, Rechtschaffenheit, Wohlthätigkeit, Gastfreundschaft und strengen Ehrbarkeit ihrer Bewohner in hohem Ansehen. Diese waren jetzt unzweifelhaft Millionäre, und doch lebten sie wie Sklaven, indem nicht nur ihre spartanisch einfachen Leibesbedürfnisse, sondern auch ihr Seelenleben ganz nach der unbedingten Willkür ihres Patriarchen bestimmt und geregelt wurden.

Rapp und sein Adoptivsohn bewohnten dagegen das größte und festeste Haus in Economy, hielten zu ihrem Vergnügen vier prächtige Pferde, aßen und tranken köstlich und arbeiteten fast gar nicht mehr. Rapp fühlte sich als König in seinem selbsterschaffenen Reich und ließ sich daher von seinen Unterthanen reichen, was er brauchte. Sein Wille als der eines göttlichen Gesandten galt als unumstößliches Gebot, und er verkündete ihn sowohl in den Predigten, die er zweimal wöchentlich abhielt, wie abends in den gemeinsamen Unterhaltungen, die mit Gebet und Gesang begonnen und beschlossen wurden.

Mehr und mehr ging es freilich mit der Mitgliederzahl der Gemeinde, die mit tausend etwa ihren Höhepunkt erreicht hatte, rückwärts, theils durch Tod, theils wegen der zum Dogma gewordenen Ehelosigkeit, theils weil die Jüngeren es nach Erreichung ihrer Volljährigkeit vorzogen, die Kolonie zu verlassen, obgleich sie sich damit ihrer Anrechte auf deren Vermögen entschlugen und gewöhnlich für ihre zehn- bis fünfzehnjährige Arbeitsleistung nur mit einem Hundertdollarschein unter argen unchristlichen Flüchen abgespeist wurden. Auch fuhr der böse Geist in manches Haus und brachte den Glauben an Rapps Verheißungen vom Gottesreich ins Wanken. Als endlich das verkündigte Erfüllungsjahr 1820 kam und sich nichts erfüllte, brach mehreren die Geduld und sie verließen Economy.

Da ereignete sich etwas, was Rapp sogleich mit der ihm eigenen Klugheit zur Beschwichtigung der Zweifler benutzte. Aus Europa lief ein bogenlanges Schreiben an ihn ein mit der Einleitung: „Fried[e,] Gnade und Barmherzigkeit, wie auch Heil und Segen werde dem alten Patriarchen Georg Rapp und seinen Mitvorstehern, wie auch der ganzen in Gott vereinigten Gesellschaft der Harmony zu Theil.“ Dieses Schreiben kündigte Rapp die nahe Ankunft des wahren Gesalbten Gottes an, der bei ihm den Thron des neuen Jerusalems aufrichten wolle, und war unterzeichnet von dem Geheimsekretär des Propheten Proli, dem Dr. Göntgen profanen Namens.

Rapp war immerhin noch Schwärmer genug, um zunächst an den neuen Gottgesandten und die von ihm angekündigte Aufgabe zu glauben; jedenfalls hielt er es für seinen Zwecken förderlich, die Sache in seiner Gemeinde so darzustellen, daß Christus zuerst im Geist und, wenn er durch den Dienst dieses seines Gesandten Proli die Guten alle gesammelt habe, dann auch leibhaftig erscheinen werde. Er antwortete daher dem europäischen Propheten, daß er ihn hoffnungsfreudig erwarte, wobei er freilich mit Schlauheit verschiedene Fragen that, deren Beantwortung er zuvor erwarten müsse. Proli, von dessen abenteuerlichem Treiben und Leben die „Gartenlaube“ im Jahre 1867[1] eine ausführliche Schilderung unter dem von ihm geführten Titel eines „Herzogs von Jerusalem“ gebracht hat, beliebte nicht, dem amerikanischen Patriarchen Bescheid darauf zugehen zu lassen, und darüber gerieth dessen Gemeinde in nicht geringe, für Rapp höchst verdrießliche Unruhe. Denn es trieben in seinem Reich ersichtlich Zweifel und Unzufriedenheit aus religiösen wie aus sehr egoistischen Ursachen einer Krisis zu, die das Werk seines Lebens zu vernichten drohte.

Er athmete daher auf, als er endlich nach zwei Jahren von New-York die Nachricht amtsmäßig erhielt, daß Proli, nunmehr königliche Hoheit Erzherzog Maximilian von Este sich zeichnend, als „Gesalbter Gottes vom Stamme Juda und von der Wurzel David“, sich persönlich und zwar zuerst incognito unter dem Namen Graf Leon bei ihm einstellen werde. In dieser Mittheilung wurde auch zu verstehen gegeben, daß der mit vornehmem Gefolge ankommende Prinz im Besitze großer Geldmittel sei, und das Gerücht drang zu Rapp, Graf Leon habe nicht weniger als sechs Millionen Thaler, um das himmlische Reich der Herrlichkeit mit allem irdischen Glanze einzurichten. Dieser Umstand bestimmte Rapp, den Gast mit aller ihm wegen seiner göttlichen Eigenschaft gebührenden Auszeichnung zu empfangen und allem zu vertrauen, was er ihm so feierlich angekündigt hatte.


  1. Nr. 21 und 22.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sragten
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_787.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
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