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Seite:Die Gartenlaube (1890) 789.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Daß er immer mit schwerem, sorgenvollem Herzen von daheim schied, das war ja ganz natürlich, dafür hatte er jetzt ein geliebtes Weib – ja, noch mehr, ein gesegnetes Weib.

Vor zwei Monaten war er nach Bergen ausgelaufen, da war der Abschied doppelt hart gewesen, das Herz ihm schier gebrochen. Ihre Blicke hatten sich zuletzt an dem Glase oben auf dem Schrank getroffen und er hatte, Thränen in den Augen, einen schlechten Witz gemacht. Es waren zwei harte Monate gewesen und zum erstenmal in seinem Leben fühlte Bill Lührsen die Schwere seines Berufes.

Laura war gesund und kräftig, ein Nordseeweib, es war eigentlich kein Grund vorhanden zu solcher Unruhe. Der Sprung im Glase am Ende? Das wäre denn doch zu kindisch für einen Mann, einen Seemann! Was kümmerten denn ihn diese dummen Landsagen, glaubte er ja nicht einmal an die der See, an den Klabautermann, den fliegenden Holländer und andern „Unsinn“.

In einer halben Stunde hatte er Gewißheit. Schon liefen die Lichterreihen von H. hinter der schwarzen Insel dort hervor. Das Geschäft war gut, die Fahrt glücklich, er sorgte schon dafür, noch nie fuhr er den gefährlichen Weg mit solcher Vorsicht – oder war es mehr als Vorsicht – Aengstlichkeit? Das macht alles die Familie – ein Seemann sollte ledig bleiben. Sie wird ihm entgegenkommen, das Kindchen auf dem Arme –

Er lachte laut in das schäumende Meer hinab, er vergaß die Watten, die Inseln, den Kurs.

Ein spitzes Signal machte ihn aufsehen: ein Segelboot zog schemenhaft mit flatternden Segeln vorüber.

„Steuerbord! Hörst Du nicht? Steuerbord! Ums Himmelswillen, Steuerbord!“ brüllte Bill dem Steuermann Jansen zu, sprang selbst zum Rad und riß es dem Starren aus der Hand, es mit aller Gewalt drehend, daß das Schiff jäh zur Seite schwenkte.

„Aber Kapitän – eine halbe Seemeile dazwischen!“ bemerkte Jansen.

Bill ließ das Rad und wischte sich den Schweiß von der Stirne.

„So dachte Lars Tönningen wohl auch und ließ sich übern Haufen rennen!“

Er ging wieder an die Brüstung, er fühlte sich so matt in den Beinen – der Schreck! Schreck vor einem Segelboot mit so viel Wasser dazwischen!

Bill! Bill! Er hielt sich den Kopf.

Wär’s am Ende nicht besser, es wäre weniger Wasser zwischen ihm und dem Segler gewesen und er hätte nicht Steuerbord gerufen – wenn am Ende doch ein Unheil bestimmt wäre für ihn – vielleicht hätten es ein paar Rippen der „Laura“ gesättigt, es abgelenkt von der andern Laura daheim – „Gute Fahrt mit beiden allewege!“ hatte der alte Rungholt damals gerufen. Da war das Glas gesprungen!

Das Schiff lief jetzt langsam in den Fluß ein, der in den Hafen von H. mündet. Der Mond leuchtete am Himmel, der Einfahrt stand nichts im Wege. Noch eine qualvolle Stunde – schnelle Fahrt ist hier verboten. Endlich ist die „Laura“ im Hafen.

Wie das Beidrehen langsam ging! Der Kapitän wetterte wie noch nie.

„Jansen, ich muß zu meinem Weibe, ich verlasse mich auf Dich!“ rief Bill.

Er wartete das Legen der Treppe nicht ab, mit einem Sprung war er am Land.

Es war schon spät, der Hafen leer, in den erleuchteten Kneipen lärmte das Schiffsvolk. Jetzt noch um die Ecke, dann – dann mußte er Rungholts Haus erblicken, wo Laura wohnte – er mußte anhalten, Athem schöpfen. Wie ein Dieb schlich er weiter. – Da lag es! Im ersten Stock rechts ein Licht, sonst alles dunkel; er studierte seinen Schein – kein sanfter, heimlicher, wie er von der gemüthlichen Lampe ausgeht – ein matter, grünlicher Schein! Wo sah er nur schon den Schein? – Als wenn er von dem zersprungenen, grünen Römer ausginge, gerade so! – Gott, hab’ Erbarmen!

Das Hausthor stand offen, eine dicke Frau mit einem Körbchen begegnete dem die Treppe hinaufstürmenden Bill.

„Lebt sie?“ keuchte er und wartete die Antwort nicht ab. Die dicke Frau sah ihm erstaunt nach.

Er sank in die Kniee, indem er an der Glocke riß – es war ihm, als donnere die See zu seinen Füßen.

Leise Tritte näherten sich von innen, vorsichtig wurde die Thür geöffnet.

„Pst!“ Die Magd legte den Finger auf den Mund – eine warme schwere Luft quoll aus dem Flur heraus.

„Lebt sie?“ keuchte er, vom Boden sich erhebend.

„Beide leben, freilich, man soll’s nicht glauben – Herrgott! der Herr Kapitän!“ schrie die Magd auf, in dem Mann mit dem blassen, feuchten Gesichte vor sich ihren Herrn erkennend.

„Beide? Und warum sollt man’s nicht glauben?“

Er drückte ihre Hand, daß sie aufschrie.

„Weil – weil – Herr, Sie dürfen nicht so plötzlich – weil sie so viel leiden mußte und das Kleine – der Doktor sagte es, ich versteh’s ja nicht – so schwach, so schwach – ein Hauch, Herr – aber es lebt, es ist ganz munter – ich werde nachsehen, Herr – pst!“

Sie verschwand hinter einer Thür. Leises Gewimmer drang heraus, eine Kinderstimme – die Stimme seines Kindes! Er knieete nieder, verbarg sein Antlitz in seine Hände und weinte.

Die Magd blieb lange aus. Bill wagte nicht, einzutreten in das Zimmer, aus dem das Kinderstimmchen kam, er hätte ja sein armes Weib tödten können durch ein plötzliches Erscheinen. Still horchte er – leises Geflüster – jetzt ein jubelnder, sich aus kranker Brust gewaltsam bahnbrechender Jubelruf: „Bill! Bill!“

Er riß die Thür auf.

„Bill!“ tönte es gell. Er sank vor dem Bett auf die Kniee und hielt sein bleiches, abgemagertes Weib in den Armen. Hinter ihm knarrte die Diele, er fuhr auf; Frau Holde stand lächelnd vor ihm; aus dem weißen Linnen in ihren Armen leuchteten zwei große blaue Augen.

„Maria, Deine Tochter!“ sagte die Mutter.

Er berührte scheu die zarten geballten Händchen und küßte den so eigenthümlich schmerzlich verzerrten Mund in dem schmalen, durchsichtigen Gesichtchen.

Lauras Blick hing zaghaft an ihrem Mann.

„Sie wird schon werden, Bill, ich ängstigte mich so um Dich –“ sagte sie mit zitternder, thränenerstickter Stimme.

„Ja, ja,“ grollte Frau Holde, „und so ein armes Wesen muß es dann büßen! Eine Kapitänsfrau! Und bei dem guten Wetter! Wie soll denn das noch werden?“

„Ja, es ist auch wahr, Laura – bei dem guten Wetter! Wie konntest Du nur – ?“

Der Blick des jungen Weibes war in die Höhe gerichtet, Bill folgte ihm unwillkürlich und erblickte auf dem Schrank den grünen Römer. Jäh sprang er auf, einen wilden Fluch auf den Lippen – eben erreichte er das Glas, hob es auf zum vernichtenden Wurfe –

„Aber Bill, sei doch vernünftig! Was kann denn das Glas dafür!“ sagte Frau Holde.

„Natürlich, was kann denn das Glas dafür!“ wiederholte Bill wie beschämt und stellte es auf seinen alten Platz.

Er setzte sich auf das Bett, Frau Holde legte Mariechen zwischen beide Eltern und schlich hinaus. Ueber Lauras Antlitz zog ein seliges Lächeln.

„Ich war recht albern, Bill, und recht gewissenlos!“ sagte sie leise. „Verzeih’, aber es lag mir auf der Brust, ich konnt’s nicht wegheben.“

Bill nickte stumm.

„Ich kenn’s – wenn sich’s nur an uns hält, das Unglück, und unser Mariechen verschont – !“

„Unglück? Haben wir denn Unglück?“

„Ich meine nur, wenn’s einmal hereinbricht, mein Gott, das kommt über Nacht – beruf’ es nicht!“

Sie wagten nicht, sich anzusehen, und blickten auf das Kind. Das streckte die Aermchen aus nach der Mutter; die nahm es und zog es an sich, und das junge Wesen blickte wie erstaunt nach dem bärtigen fremden Mann.

„Laura, ist das nicht das höchste Glück?“ rief Bill beseligt von diesem Anblick. „Jetzt spring’ noch einmal!“ drohte er mit geballter Faust nach dem unseligen Glase auf dem Kasten hinauf. „Wir sind glücklich, hörst Du?“

Sonderbare Lichter spielten darin, es blinkte so höhnisch, katzenartig – und Bill wandte sich rasch ab – zurück zu seinem Glück.


3.

Bettnischen in der hölzernen Wand mit auf und zu sich bewegenden Thürchen, in die Wand eingelassene Bänke, eine schwankende qualmende Lampe, von der sanft gewölbten, hölzernen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_789.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)
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