Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Decke herabhängend über dem massiven Tisch, zwei nach Seewasser und Fischen riechende, seemännisch gekleidete Männer daran, die schweigend Karten spielen – dumpfes Brausen, das eigenthümliche Schlürfen der Wasser, Pfeifen und Heulen des Sturmes vor den wie Schiffsluken geformten Fenstern; alles schwankend, zitternd, feuchten Seegeruch athmend – man hätte schwören können, in einer Schiffskajüte sich zu befinden. Und doch war es des Seerichters Wohnzimmer auf Oland und zu Claus Buiksloot war sein alter Kamerad Lars Tönningen von Föhr gekommen auf Besuch. Der ehemalige Kapitän der stattlichen „Laura“ führte jetzt ein kleines Küstenfrachtschiff; Rungholt hatte ihm zwar trotz seines Unglücks ein anderes Schiff anvertrauen wollen, doch Lars selbst fehlte der Muth, es anzunehmen ohne seinen Rolf.
Man sprach davon, daß es bei Lars nicht recht geheuer sei seit seinem Unglück mit der „Laura“, der Kater spuke ihm im Gehirn. Er hatte keinen Freund mehr als Claus, den Richter, der hörte noch immer gerne seine Geschichte. Darum fand Lars auch oft den Weg herüber nach Oland. An holzgetäfelten, mit blauer Farbe gestrichenen Wänden leuchteten bunte rohe Skizzen von Schiffen und Schiffbrüchen, an die sich wohl Familienerinnerungen knüpften; die Lehnen der Eichensessel zeigten Walroßköpfe, Meerungeheuer; auf den Gesimsen lagerten vielgestaltige Muscheln, Korallen aus der Südsee, grellfarbige Vogelbälge hingen neben der alten Wanduhr, Erinnerungen an des Besitzers Meerfahrten.
Der Sturm brüllte draußen gegen das Watt, er rüttelte und schüttelte das Haus des Seerichters.
„Bill ist auf der Fahrt nach Sylt, ein verdammtes Wetter, soll sich in acht nehmen,“ unterbrach Claus das Schweigen, während Lars von neuem Karten gab. Der zog die buschigen Augenbrauen steif hinauf.
„Hat auch kein Glück mehr, der Lührsen! Wie geht es denn seinem Kinde jetzt?“
„Schwach, Lars, recht schwach, wird’s nicht weit bringen! Wie’s nur möglich ist von solchem Blut! Holde sagt, die Angst um ihren Mann habe der Frau so zugesetzt. Ein Seemannskind – Angst! Keine Kraft ist mehr drin in dem jungen Volk!“
Lars spielte aus.
„Mein Gott, ich verdenk’ es ihr nicht einmal.“
Claus sah ihn erstaunt an, er hielt die zum Auswurfe erhobene Karte in der Luft.
„Geht das am Ende auf Bill? Zu jung zum Kapitän, meinst Du? Laß doch die Geschichten! Du wirst doch nicht glauben, daß er Dich verdrängt hätte!“
Lars lachte.
„Nicht das, mich hat niemand verdrängt –“
Plötzlich gab es beiden einen Stoß. Horch! Ein lang gezogener Ton – noch einer –
Claus öffnete das Fenster. Finstere Nacht, der Ton wiederholte sich, und dort –
„Das kann doch Langeneß nicht sein – das Licht dort, siehst Du, Lars!“
Ein rothes Pünktchen schwankte wie ein Funken in der Finsterniß.
„Er sitzt auf dem Watt,“ entgegnete Lars.
„Wer?“ rief Claus erbleichend.
„Wer? Irgend wer – nach oder von Föhr oder Sylt.“
„Sylt!“ wiederholte Claus, langte ein dütenförmiges Horn von der Wand und rannte zur Thür hinaus. Derselbe Ton erscholl wie von dem Lichte her, nur kräftiger, wie ein Schlachtruf – von dort Antwort heischend.
Die Fenster erhellten sich in den nächsten Häusern, dunkle Gestalten bewegten sich auf den Werften. Die Männer sammelten sich um Claus, einige Worte genügten: der rothe, auf und ab sich schwingende Funke, die den Sturm durchdringenden, sich immer schneller wiederholenden Hilferufe sagten alles. Eile that Noth, jede Schwingung des Funkens kostete eine Schiffsrippe, das wußten die Männer.
Am Wiesgrund ging es rasch vorwärts mit Stangen und Seilen, die schmalen Wattbäche, die sich hereindrängten, wurden übersprungen, durchwatet. Claus Buiksloot trieb zur Eile, hoch schwang er die Laterne. Da begann der schlammige Schlick, der sich wie Blei an die Füße hängt, es quatschte, gurgelte, man sprang auf die weißen Steine, die vom schwankenden Boden heraufleuchteten, mit den Stangen und Seilen sich im Gleichgewicht haltend; das Licht draußen machte wilde Sprünge, das Nothhorn tutete wie besessen; immer näher toste die Brandung – über den Köpfen sausten die aufgeschreckten Seevögel. Man erreichte die Fischerboote im Wattstrom; das Schiff konnte dem Lichte nach nicht weit von seinem Laufe gestrandet sein.
Claus und Lars sprangen zusammen in ein Boot.
„Von Sylt glaubst Du, Lars?“ fragte der Richter, die Ruder schwingend.
„Nach H.,“ war die Antwort.
Claus holte stärker aus, sein Boot hatte einen Vorsprung vor den andern.
Das Licht vergrößerte sich, in fernem dunstigen Kreis glaubte man eine riesige, schwarze Masse sich auf und ab bewegen zu sehen. Die weißen Schaumhäupter der Brandung blitzten durch die Nacht, sie schwangen sich über die dunkle Masse. Die Männer arbeiteten mit aller Kraft, das Schiff lag wenige hundert Schritte seitwärts vom Strome auf dem Schlick und schlug, von der Brandung gehoben, mit dumpfem Knall taktmäßig auf. Jetzt sah man den Rumpf, die Masten, kleine schwarze Gestalten in schwankenden Lichtkreisen. Aber die Brandung drängte die Boote zurück und warf ihren Gischt gegen die zu Hilfe eilenden Männer.
„Setzt Boot aus, nicht näher heranzukommen,“ signalisirte der Seerichter mit dem Horn.
„Boot über Bord! – Leine! – Höchste Noth!“ lautete die Antwort. Und als Bekräftigung dazu stieß das Schiff mit einem splitternden Krach von neuem auf den Boden auf, und wie ein gieriger Wolf die Gelegenheit benutzend, stürzte eine mächtige Woge darüber her.
Claus sah starr hinüber, sein graues Haar flatterte im Sturme.
„Rolf! Rolf!“ schrie plötzlich Lars neben ihm. „Komm’, mein alter Freund, ein Sprung nur – Rolf! hörst Du nicht?“
Er lachte gell auf, – Claus schauerte – er packte den Freund bei der Schulter.
„Siehst Du ihn denn nicht, meinen Rolf, meinen guten Rolf?“ rief dieser schmeichelnd, lockend.
„Narr, was soll das Thier auf dem fremden Schiff?“ schrie Claus dem verrückten Freunde in das Ohr.
„Fremdes Schiff? Es ist ja die ‚Laura‘ und der Rolf sitzt drauf!“ – er lachte wahnsinnig – „er holt sie, ich wußte es ja! Ich laß sie aber nicht – die Leine, Leute, die Leine!“
Er riß sie dem Nachbar aus der Hand, der sie bereits zweimal vergebens geschleudert hatte. Die Entfernung war groß, der Sturm lenkte den Wurf ab. Lars sprang aus dem Boot, bis an die Kniee versank er in dem weichen Schlick.
„Rolf! Rolf!“ tönte sein wahnsinniger Ruf, während er mühsam vorwärts watete. Er verschwand in der Finsterniß, keiner wagte dem Rasenden zu folgen. Aber die Leine wickelte sich stetig ab, er kam doch vorwärts – jetzt einen jähen Ruck – das Signal „An Bord!“ vom Schiffe herüber – Lars hatte das Wagstück glücklich vollbracht.
Claus machte die Leine fest, sie straffte sich, er folgte ihr mit gierigen Augen in die Finsterniß; am Schiffe drüben wurde es laut, jetzt eine zerrende Bewegung an dem Seil, dunkle Gestalten schwankten durch die Nacht.
„Bill, bist Du’s?“
Keine Antwort; – endlich kommt der erste durch den Schlick heran – das ist Bill nicht.
„Wie heißt das Schiff? – Woher?“ tönen die Fragen.
„‚Laura‘, von H.,“ erwiderte der schmutzbesudelte, durchnäßte Mann.
„Und der Kapitän?“
„Lührsen, noch an Bord!“
„Gehört sich auch, er allein ist schuld daran,“ sagte der Nächstfolgende.
„Das lügst Du,“ schrie Claus ihn an, „Lührsen versteht sein Geschäft.“
Der Matrose warf einen Pack in das Boot und stieg hinein.
„Dann kennt Ihr ihn wohl von früher, jetzt ist’s aus mit ihm.“
Wieder wankten zwei Männer, schwer bepackt, das Seil entlang dem Boot zu; Bill war nicht dabei, und das Schiff neigte sich bedenklich zur Seite.
„Was sind denn das für verdammte Lichter?“ fragte der eine.
„Die Lichter von Oland!“
„Sagt ich’s nicht dem Kapitän? Aber nein, er glaubt’ es
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_790.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)