verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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bereits Hausrathsgegenstände veräußert, um die Geldbedürfnisse des Mannes zu befriedigen.
Das war ein bitteres Wachen! Ein Glück, daß Maria den Schlaf der Jugend schlief, das Mädchen hätte sie gewiß an ihrem Vorhaben gehindert, das mit jeder Stunde in ihr fester wurde.
Endlich Stimmen auf der längst verödeten Straße; Laura schlich leise von Marias Seite in das Nebenzimmer, um ihren Mann zu erwarten. Die wankenden unsicheren Tritte die Treppe herauf machten ihr Herz erbeben. Er war in der letzten Zeit recht roh mit ihr gewesen – aber es mußte sein, heute noch, bis morgen verlor sie den Muth.
Er trat ein mit einer Laterne.
„Noch auf, Weibchen?“ lallte er, „das freut mich!“
„Bill!“ begann Laura in flehendem Tone, „hab’ Mitleid mit uns!“
Er pfiff in komischer Weise und schlug auf die Tasche.
„Laß’ das, Kind, und freue Dich! Runter mit dem Scherben da oben. Ich habe gewonnen, mehr als ich in einem Winter verdienen kann, den ganzen Krempel unten kauf’ ich Dir ab!“
Laura fühlte sich angewidert von seinem trunkenen Wesen, sie wich zurück.
„Das glaubst Du nicht, Unglücksrabe? Ist aber doch so! Da –“
Er schüttete einen Haufen Goldstücke auf den Tisch. „Und von wem, rath’ einmal! Wenn es nur nicht wieder eine Falle ist, ich merke so was! Von wem, rathe!“
Er lachte kindisch, mit den Goldstücken spielend.
„Von Lars Tönningens Sohn! Das glaubst Du nicht! Von Lars Tönningens Sohn, der Gott weiß woher mit einem Sack voll Geld zurückgekehrt ist; von Jakob Tönningen –“
Ein leiser Aufschrei ertönte aus dem Nebenzimmer. Laura fuhr auf.
„Das arme Kind! Kein Wunder, daß es schwere Träume hat! – Ich sag’ Dir aber, daß ich dieses Geld verachte!“ fuhr sie mit einer Leidenschaft auf, die Bill an ihr lange nicht mehr gewohnt war – „daß ich nur ein neues Unglück darin sehe! Es wird Dich nur von neuem verlocken, und das Ende wird doch ein erbärmliches sein. Bill, denk’ an Maria! Gott hat Dich wieder gesund werden lassen, arbeite wieder! Es ist nicht wahr mit dem Glas, nur dumme Einbildung ist es, die uns unser ganzes Lebensglück gekostet hat. Ich ahne es längst, wir selbst sind schuld an allem.“
„Ei, ei, wie klug auf einmal! Nur damit ich meine Knochen noch einmal riskire!“ erwiderte verdrossen Bill. „Einbildung soll das sein mit dem Glas? Jakob Tönningen selbst gab mir recht! Frag’ ihn nur darum, morgen, wenn er kommt.“
„Immer Tönningen! Unser ganzes Unglück hängt an dem Namen. Was will er denn hier, dieser Mensch?“
„Was weiß ich! Mir kann’s nur recht sein, wenn er länger bleibt. Uebrigens wird er Euch schon gefallen, wenn Ihr ihn einmal seht, ein schöner lieber Mann! Sieht gar nicht so aus, als ob er Unglück bringen könnte. Da nimm’, Laura!“
Er reichte ihr eine Hand voll Geld.
„S’ ist ehrlich Geld und –“ er sah sich lange im Zimmer um – „es fehlt einiges – merk’ es wohl – hol’ es wieder! Es soll ja anders werden mit mir! Ja, wenn das nur Einbildung wäre – sagtest Du nicht so? – dann – dann – Herrgott, dann –“
Sein bleiches Gesicht bekam einen ängstlichen Ausdruck.
„Laura –“ er griff nach ihrer Hand – „dann wäre ich ein rechter Schurke! Laß’ mich jetzt, frag’ morgen den Tönningen – er wird Dir sagen, daß es keine Einbildung ist, daß es so Dinge giebt – jawohl!“
Er warf noch einen verschwommenen Blick nach dem Glas hinauf und wankte dann in seine Kammer. Als Laura nach einer Stunde voll bitterer Gedanken zu Maria zurückkehrte, fand sie dieselbe mit erhitzten Wangen, ein seliges Lächeln um den Mund, als träume sie einen schönen Traum, auf ihrem Lager liegen. Sie beugte sich besorgt mit dem Lichte über sie, da öffnete Maria weit die blauen, feuchten Augen, schlang die Arme um die Mutter und drückte dieselbe fest an sich.
„Endlich!“ flüsterte sie.
Bill verbrachte jetzt mit Jakob Tönningen die Abende zu Hause; der junge Mann zog ihn durch seine anregenden Gespräche, Vorschläge und Pläne wieder auf sein früheres Interessengebiet, belebte von neuem seinen Standessinn, erweckte in ihm ein neues Verlangen nach der See, der Heimath seiner Jugend; die bösen Dünste der Kneipe wichen langsam vor der gesunden Atmosphäre, die dieser Mann um ihn verbreitete.
Maria glaubte die Heilung des Vaters schon vollzogen und fürchtete die baldige Abreise des siegreichen Arztes. Sie wollte ihm gewiß ewig dankbar dafür sein, aber doch brach ihr das Herz schier. Sie hatte sich das doch anders gedacht, recht kindlich albern, das sah sie wohl ein, aber er war doch auch schuld daran, was brauchte er sich denn gar so in ihr Herz einzuschleichen, wenn alles nur dem Vater galt!
Da kam er in der dritten Woche seiner Anwesenheit eines Tages im Sonntagskleid und in einem Zustande eigenthümlicher Unruhe. Maria dachte: nun will er Abschied nehmen! und ihr ganzes Wesen krampfte sich zusammen. Er aber trat mit ernster Miene auf sie zu.
„Maria,“ sagte er, „heute gilt’s, ich darf nicht mehr länger zögern mit der Operation, sonst erneut sich das Uebel. Jetzt sprechen Sie, haben Sie Wort gehalten, haben Sie immer an mich gedacht seit unserer Begegnung in Oland, herzlich meiner gedacht?“
Seine Hand drückte fest die ihrige, sein großes Auge ruhte voll heißer Liebe und mit dem Ausdrucke inniger Ueberzeugung auf ihr.
„Mehr, Maria, haben Sie sich nach mir gesehnt? noch mehr – haben Sie mich lieb?“
Das Mädchen sank wonnebetäubt in seine Arme, und er hielt sie lange umfaßt und küßte ihr Blondhaar.
„Dann ans Werk, es muß gelingen!“
Er eilte zum Vater.
„Ich komme, von Ihnen die Hand Ihrer Tochter Maria zu erbitten. Unter uns Seeleuten sind lange Vorreden nicht Brauch; ich bin jetzt Eigenthümer eines Schiffes, besitze genug Vermögen, mich selbständig zu machen und eine Familie zu ernähren. Ihre Tochter liebt mich, ich denke, es steht nichts im Wege –“
Bill mit seinem düsteren Blick, seinem tiefergrauten Haar und seinen verlebten Gesichtszügen sah greisenhaft aus an der Seite des blühenden Mannes. Er zuckte schmerzlich zusammen unter diesen kurzen, biederen Worten und ein Blick tiefen Mitleides traf den Brautwerber.
„Nichts läge im Wege, Jakob Tönningen,“ erwiderte er, „wenn ich noch um einen Grad schlechter wäre, als ich so schon bin; dann könnt’ ich Euch sagen: da habt Ihr sie und meinen Segen dazu! Ich kann’s aber nicht, und Ihr selbst seid schuld daran, daß ich’s nicht kann, weil Ihr in der kurzen Zeit, da Ihr hier seid, das Gewissen in mir wachgerufen habt. Ihr fordert von mir Euren Fluch und stürzt, was Ihr gewiß nicht wollt, wenn Ihr sie liebt, Maria in das Unglück! Ihr habt mir selbst recht gegeben, als ich Euch einst mein sonderbares Schicksal erzählte von der Stunde an, wo das Unglücksglas zersprang an dem Eures Vaters. Die geheimnißvolle Kette von Umständen zwischen Tönningen und Lührsen bis auf Eure jetzige Werbung muß Euch selbst zu denken geben. Es ist blöde, ein Menschenschicksal an ein Glas zu hängen, ich weiß es, und hab’ mir’s tausendmal vorgehalten, und doch sag’ ich Euch, es ist mir, als sähe es drohend dort auf mich herab, – ich kann nicht ,Ja‘ sagen, Jakob Tönningen!“
Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, sein ganzes Inneres war in Aufruhr.
Der Kapitän blickte sinnend hinauf zu dem Glas. „Hm, Ihr habt recht, ein sonderbares Zusammentreffen von Umständen, und das Glas – zeigt mir doch das Unglücksding, das mir mein Liebstes rauben soll auf Erden!“
„Nehmt es nur herab, ich erreich’ es nicht mehr, so hat es mir den Rücken gebeugt.“
Jakob griff danach und trat an das Licht, das sich in der grünen Wölbung spiegelte, betrachtete es genau und prüfte mit dem Finger. Plötzlich lachte er laut auf – betrachtete wieder das Glas, dann Bill, der ihn nicht aus den Augen ließ.
„Bill Lührsen,“ sagte er, „Ihr seid ein Narr! Das Glas hat ja gar keinen Sprung, es ist ja nur eine Falte im Glas, welche so aussieht! Na hört, da sieht man doch genauer zu, wenn man so viel darauf hält!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 796. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_796.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)