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Seite:Die Gartenlaube (1890) 802.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Um 11 Uhr trat Moltke aus dem Hause; dort vor dem Hauptportal des Generalstabsgebäudes waren die Zöglinge der Hauptkadettenanstalt aufgestellt, welche vom Kaiser hierher befohlen waren, damit sie Zeugen der erhebenden Feier wären. Einem „Guten Morgen“ folgte ein kräftiges „Guten Morgen, Excellenz“, und der Jubilar richtete auch an einen der jungen Krieger beim Abschreiten der Front einige huldreiche Worte. –

Inzwischen war es 11½ Uhr geworden. Da erschien unter einem wahrhaften Jubelsturm aus den Kehlen der Massen, die sich ringsum aufgestellt hatten, der Kaiser, um selbst Moltke seine Glückwünsche darzubringen. Er wartete zunächst das Eintreffen der auf dem Königsplatz aufgestellten und sich sofort in Marsch setzenden Fahnen- und Standartenträger ab. Unter den schmetternden Klängen des Pariser Einzugsmarsches nahte sich die erste Compagnie des zweiten Garderegiments, voran die flatternden Feldzeichen in sechsfachen Reihen, und alsbald wurden diese, gleich darauf auch die Standarten der Kavallerie in das Generalstabsgebäude gebracht; erst dann begab sich der Kaiser selbst in das Innere des Gebäudes, und, gefolgt von seinem persönlichen Dienst, in den auch der Reichskanzler von Caprivi eingereiht war, in den Empfangssalon. – Nachdem lautlose Stille eingetreten war unter den Fürsten und Vertretern der Armee, befahl der Kaiser, den Jubilar in den Festsaal zu geleiten. Er schritt dem Feldmarschall bis an die Thür des Saales entgegen, und an seines Herrschers Hand nahm Graf Moltke in der Mitte der im Halbkreis aufgestellten Anwesenden seinen Platz. Dann ergriff der Kaiser das Wort und Dankeslaute, die aus dem Innern des Herzens drangen, gingen über seine Lippen und riefen sichtlich nicht nur in der Brust des Gefeierten einen gewaltigen Eindruck hervor. Der Kaiser verwies in seiner Rede auch auf die versammelten Fürsten, insbesondere auf den König von Sachsen, der sich persönlich eingefunden habe, um dadurch seine Empfindungen für den Jubilar an den Tag zu legen.

Nachdem Moltke aus den Händen seines Kaisers noch einen prächtigen Marschallstab entgegen genommen und tiefbewegte Dankesworte gesprochen hatte, endete dieser Theil des Festes, und der Kaiser begab sich in offenem Wagen über die Linden nach dem Schloß zurück. –

Diese Straße war zu Ehren des Tages festlich geschmückt. Fahnen in allen Farben wehten auf Dächern und Fenstern, und von früh bis spät fand eine gewaltige Menschenansammlung hier und bis über das Brandenburger Thor hinaus statt. In und bei dem Generalstabsgebände aber regte sich gewaltiges Leben, das auch jetzt nicht nachließ. Unabsehbare Wagenreihen hielten vor dem Gebäude und entluden Gratulanten und Boten, welche Gaben brachten. In der Wohnung des Feldmarschalls waren die ersten Geschenke schon in der Frühe eingetroffen und aufgebaut worden; aber immer neue Spenden trafen ein aus Berlin und aus dem ganzen Deutschen Reiche. Schon um Mittag brachen die Tische fast unter der Last und Fülle. Wohl das werthvollste Geschenk unter allen war dasjenige, welches die Großherzogin von Baden dem Jubilar gespendet hatte: die Schreibmappe des Kaisers Wilhelm I. Freilich, neben der Glücksempfindung, ein so kostbares Andenken in Händen zu halten, brachte es dem Feldmarschall auch eine wehmüthige Erinnerung an denjenigen, an dessen Seite er einst die unsterblichen Siege erfochten hatte, an denjenigen, der nicht mehr Zeuge sein konnte, in welcher Weise das deutsche Volk die Verdienste seiner großen Mitlebenden ehrt.

Und noch eines mag die Seele Molkes bewegt haben: die Stadt Schleswig, auf deren Friedhof das Grab seiner Mutter sich befindet, bittet, in Zukunft für den Hügel derjenigen sorgen zu dürfen, die einem der größten Menschen, die je gelebt haben, das Leben gegeben!


Blätter und Blüthen.


Hydraulisches Schiffshebewerk zu Fontinette im Neuffossé-Kanal (Mit Abbildungen Seite 773 und 802.) Der Neuffossé-Kanal hat in erster Reihe die Aufgabe, den Verkehr der Stadt Paris mit dem nördlich gelegenen Landstriche und den dort befindlichen Seehäfen zu vermitteln. In der Nähe von Fontinette waren, wegen des starten Gefälles an dieser Strecke, fünf Schleusen nach alter Einrichtung angelegt, welche dem Verkehr jedoch dadurch sehr hinderlich wurden, daß sie für jedes Schiff einen Aufenthalt von 2 bis 2½ Stunden bedingten. Da der Verkehr auf dieser Strecke sich ungemein hob, so wurde dieser Uebelstand mehr und mehr fühlbar und verlangte dringend Abhilfe. Die Kanalverwaltung sah sich deshalb zu einem Umbau veranlaßt und ersetzte die fünf Schleusen durch eine einzige Schiffshebevorrichtung, welche, nach einem englischen Vorbilde, der Hebevorrichtung in Arlington, erbaut, es ermöglicht, die ganze Hebung der fünf Schleusen d. i. eine Höhe von über 13 Meter mit einem Male zu überwinden. Dabei werden zwei Schiffe in der kurzen Zeit von 20 Minuten befördert, so daß die Leistung die 12- bis 15fache derjenigen der früheren Einrichtung ist. Jetzt fährt einfach das Schiff aus dem Kanale in eine mit Wasser gefüllte Schleusenkammer von 45 Metern Länge, 6 Metern Breite und 2 Meter Wassertiefe und wird, zusammen mit dem Wasser- und dem Kammergewichte, in einem Zuge gehoben. Das Heben an und für sich nimmt nur 4 bis 5 Minuten in Anspruch, die übrige Zeit, also 15 bis 16 Minuten, ist zum Ein- und Ausfahren der Schiffe, zum Anbringen und Dichten der Verschlüsse erforderlich. Da das ganze zu hebende Gewicht gegen 842 000 Kilo beträgt (also so viel wie zwei ansehnliche Eisenbahnzüge, jeder mit 42 Doppelladern, befördern) und dieses Gewicht 13 Meter hoch gehoben werden muß, so entspricht das der bedeutenden Leistung von annähernd 480 Pferdekräften.

Schematische Ansicht des Schiffshebewerkes im
Neuffossé-Kanal.

Nun werden unsere Leser denken, dazu sei eine mächtige, große Maschinenanlage erforderlich. Aber weit gefehlt: die ganze Arbeit geht, so zu sagen, von selber – ganz von selber! Die erforderliche, sehr geringe Kraft muß das Wasser des Oberkanals liefern, und fremde Hilfe ist von dem Ingenieuer Clark, der die Anlage für die Firma Clark, Standfield and Clark ausgeführt hat, gar nicht in Anspruch genommen. Wie das unglaublich klingende Ergebniß erreicht wurde, wollen wir im Nachstehenden zu erklären versuchen.

Aus dem landschaftlichen Bilde S. 773 ist die Anordnung im großen und ganzen ersichtlich: es sind zwei Schleusenkammern vorhanden, welche miteinander so in Verbindung stehen, daß die eine sinkt, wenn die andere steigt, geradeso wie bei den Schalen einer Tafelwage; nur hat man hier an die Stelle der Wagschale die Schleusenkammer und anstatt des Wagebalkens von Metall einen solchen von Wasser zu setzen. – Vom obern Kanal aus ist soeben ein Schiff in die Schleusenkammer gefahren, die untere Kammer ist zur Aufnahme eines Schiffes bereit. Es kann demnächst sich der Vorgang wiederholen, und so geht’s fort im steten Wechsel.

Den innern Zusammenhang der Hebevorrichtung und die Art ihrer Wirklung ersehen wir nun mit Leichtigkeit aus der zweiten Figur S. 802. Jede Schleusenkammer wird von einem sauber abgedrehten, 2 Meter im Durchmesser haltenden Kolben getragen, der in einem mit Wasser gefüllten gußeisernen Cylinder schwebt. Beide Cylinder sind durch eine Rohrleitung miteinander verbunden. Da nun das Wasser derselben durch Stopfbüchsen abgeschlossen ist und nicht entweichen kann, so ist es erklärlich, daß, wenn der jetzt obenbefindliche Kolben heruntergedrückt wird, der andere steigen muß, denn wir haben eine hydrostatische Wage im großen vor uns. Dies Herunterdrücken wird nun auf eine sehr einfache Weise bewirkt.

Man beachte einen Augenblick die schematische Figur: diese entspricht dem Augenblick, wo das rechts befindliche Schiff unten und das links befindliche oben angekommen ist. Schließt man jetzt das Kopfstück der unteren Schleusenkammer an den untern Wasserspiegel an, so fließt ein Theil des Wassers in den offenen Kanal ab. In der obern Schleusenkammer vollzieht sich der umgekehrte Vorgang; sie füllt sich aus dem etwas höheren Oberwasser. Nur eine Handbreite hoch ist erforderlich, alsdann ist die obere Kammer um so viel schwerer als die untere, daß die Hebevorrichtung nunmehr „fertig“ zur neuen Arbeit ist. Stellt jetzt der Maschinist das in der Rohrleitung befindliche Ventil, so geht’s sofort los. Also, wie gesagt – es geht ganz von selbst; zu jeder Hebung gebraucht man nur das geringe Uebergewicht von 20000 Kilo, für welche man 20 Kubikmeter Wasser aus dem obern Kanale entnehmen muß, wo dergleichen genug gratis zu haben ist.

Ob hierbei das Schiff beladen ist oder nicht, ist ganz gleichgültig, ja – die Ladung zählt gar nicht einmal mit. Der scheinbare Widerspruch erklärt sich dadurch, daß nach dem Einfahren des Schiffes ebensoviel Wasser aus der Schleusenkammer herausfließt, als das Schiff, mit oder ohne Fracht, schwer ist. Die Schleusenkammer wiegt also nach wie vor 842 000 Kilo, kein Gramm mehr oder weniger, sobald nur die Füllung genau bis zur Wasserstandsmarke reicht.

Es ist natürlich, daß das ganze auf den Kolben wirkende Gewicht der Schleusenkammern sich durch den Kolben fortpflanzt und hier einen hohen Druck von beiläufig 27 Atmosphären hervorbringt. Das Wasser sucht infolgedessen durch etwaige undichte Stellen der Stopfbüchse zu entweichen. Einestheils um diese Verluste zu ersetzen, anderntheils um die Hebevorrichtung bei verändertem Wasserstande, oder wenn der Maschinist seine Ventile unpünktlich gehandhabt hat, sowie außerdem zur Verrichtung von Nebenarbeiten, wie das Heben der Schützen, ist noch eine Vorrichtung erforderlich, die unsern Lesern unter dem Namen „Accumulator“, das ist Kraftsammler, wohl bekannt sein wird. Der Accumulator ist ähnlich eingerichtet wie die unter der Schleusenkammer befindliche Hebevorrichtung, der Kolben hat jedoch nur 54 cm Durchmesser und ist nur 8 m lang.

Mit Hilfe einer verhältnißmäßig kleinen Preßpumpe, die auch wieder vom Oberwasser des Kanales mittels einer Turbine getrieben wird, wird der Accumulator stets gefüllt gehalten. Jederzeit steht nun dem Maschinisten eine bedeutende Kraft zur Verfügung, die er durch Drehung eines Hähnchens entfesseln kann, um von ihr die erwähnten Arbeiten verrichten zu lassen. Auf diese Weise werden alle Arbeiten vom Wasser selbst besorgt und vier Mann genügen für die Bedienung der ganzen Anlage.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_802.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)
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