Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Halbheft 26. | 1890. | |
Weihnachten.
Die Glocken rufen mit festlichem Laut,
Die Sterne der Christnacht schimmern,
Und hinter den Fenstern heimlich und traut
Beginnt ein Leuchten und Flimmern;
Es hüllen in wonnigen Märchentraum
Die Düfte der Tannen den ärmsten Raum
In der seligen Nacht der Wunder.
Im deutschen Walde wächst deine Art,
Du Baum mit den grünen Zweigen,
So treu und beständig, so wetterhart:
Du bist so recht unser eigen.
Sind Fluren und Wälder auch tiefverschneit,
Wir holen dich heim zur festlichen Zeit,
Wir mögen dich nimmer entbehren.
Wir fühlen, von deinem Hauch umweht,
Im Herzen ein seliges Regen:
O, laßt uns die Hände mit stillem Gebet
Aufs Haupt der Kinder legen,
Daß von den Zweigen mit hellem Schein
Zieh’ deutsche Treue und Liebe ein
In die freudig bewegten Seelen.
Eine Weihnachtsbotschaft durchbraust die Welt
Von künftigen schöneren Tagen:
Die das zehrende Siechthum im Banne hält,
Sie dürfen zu hoffen wagen!
Aufathmet die Menschheit und dankt und preist
Des gottbegnadeten Forschers Geist,
Der die Bahn der Befreiung gewiesen.
Wann nahst du, o Fest, das die Völker befreit
Aus Neides und Irrwahns Banden? –
Wenn die reine Flamme der Menschlichkeit
Hell leuchtet über den Landen,
Wenn die Welt ein Haus wird von Brüdern sein,
Dann ist mit unvergänglichem Schein
Das wahre Christfest erstanden!
A. O.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_805.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2018)