Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Sein scharfer Ton fand ein Echo an dem ihrigen.
„Sie thun mir zuviel Ehre an, wenn Sie mir Phantasie zutrauen; ich hielt Sie für einen zu guten Beobachter, als daß Sie nicht hätten wissen sollen – ich „habe“ keine Phantasie! Träume, Schwärmereien, Einbildungen – was soll ein Wesen wie ich damit anfangen? Aber Annie habe ich lieb, ihr Glück liegt mlr am Herzen, und ich hatte gedacht, sie würde eine andere Wahl treffen –“
„Etwa den Lieutenant von Conventius erhören!“ fiel er ein.
„Das glauben Sie ja selbst nicht,“ gab sie ruhig zurück, „warum also sprechen Sie es aus? Der Ulanenlieutenant ist eine liebenswürdige, offene, einnehmende Natur, aber er hat es leider versäumt, seinen Geist und Charakter zu vertiefen und zu bilden, obschon er sehr gutes Material dazu hatte. Ein solch’ lustiger Bruder konnte Annie niemals gefährlich werden, ich hätte ihn ihr, trotz meines persönlichen Wohlgefallens an seiner munteren Frische, nie gewünscht –“
„Desto mehr seinen Vetter Reginald, den großartigen Pfarrer von Sankt Lukas – nicht wahr?“ unterbrach Delmont sie von neuem.
„Warum sprechen Sie in diesem Ton von ihm?“ gab Thekla ernst zurück. „Warum nennen Sie ihn so geflissentlich den ‚großartigen‘ Pfarrer von Sankt Lukas, ihn einen Mann, der sich gerade durch die ungewöhnliche Schlichtheit seines Auftretens auszeichnet?“
„Nun – die ganze Stadt klingt ja bereits von seinem Lobe wieder – bis zu Ihnen werden diese Gerüchte nicht dringen, man wird es absichtlich vermeiden, Ihnen jetzt von ihm zu sprechen – ich höre desto mehr! Nicht nur die Unmündigen und Einfältigen singen sein Lob, nein, auch die Erleuchteten im Geist reden in Zungen von ihm. Adel, hohe Beamtenwelt und Finanzkreise umlagern seine Abendmahlsspenden, er muß die Gläubigen, die in hellen Haufen herbeiströmen, zurückweisen – die Thür seiner Wohnung steht nicht still – schöne Frauen mit feuchten Augen, verschämte junge Mädchen, die sich angeblich mit ihrem Glauben nicht zurechtfinden, Leute aller Gattung, vom ordensbesternten Geheimrath bis zum Handwerker, streiten sich um die Gunst dieses Wundermannes, man hat ihm jetzt bereits mehr Konfirmanden angemeldet, als er überhaupt annehmen kann, – die Kirche von Sankt Lukas kann die Gläubigen nicht fassen.“
„Nun – und was weiter?“ kam es von Theklas Lippen. „Soll dies etwa eine Anklage gegen den Mann sein? Was soll es beweisen?“
„Es soll beweisen, daß er es eben allen anthut, allen, ohne Ausnahme, wie der Rattenfänger von Hameln, selbst meiner Braut, die mir gestanden hat, daß, wäre ich nicht gekommen, sie diesen Ausbund von Tugend und Schönheit ohne weiteres geheirathet hätte.“
Thekla zog die Brauen hoch. „Also eifersüchtig – sieh da!“ dachte sie. „Darum die erbitterte Philippika gegen den Pfarrer von Sankt Lukas!“
„Und so hat sein Anblick und Wesen auch Sie, eine so kluge und scharfblickende Dame, gleich beim ersten Male überwältigt,“ fuhr Delmont in demselben scharfen, bittern Ton fort, „er, von dem man im Publikum behauptet, er drehe mit seinen zwingenden Worten und Blicken selbst den verstocktesten Verbrechern des Gefängnisses das Herz in der Brust herum … ich habe keine näheren Einzelheiten erbeten, mir genügte schon dies Gerücht.“
„Mich hat weder sein Anblick noch sein Wesen überwältigt,“ sagte Thekla trocken. „Glauben Sie, ich habe in meinem langen Leben noch nie einen schönen Mann gesehen? Ich wüßte überhaupt auf der weiten Welt keinen Menschen, der einen überwältigenden Eindruck auf mich hervorzubringen vermöchte – das wäre höchstens ein großartiges Naturschauspiel imstande. Aber eben weil ich nicht ohne Verstand und Scharfblick bin, wie Sie es soeben in solch schmeichelhaften Worten anerkannt haben, weil mein stilles Leben, das mir doch soviele Menschen vor Augen führt, mein von Natur schon richtiges Beobachtungsvermögen geübt hat – darum erkannte ich allerdings schon beim ersten Zusammentreffen in diesem Pfarrer von Conventius einen echten, guten, wahrhaft edlen Menschen, abgesehen von seiner Begabung und seinem bestechenden Aeußern, – eine jener durch sich selbst großen Naturen, die des Adels nicht bedürfen, um adlig, der Schönheit nicht bedürfen, um schön zu sein, die einfach durch sich selbst Wirkung machen, weil sie das ganz sind, was sie sind, und durch ihr festes Beruhen in sich und durch den Glauben an ihre Sendung in unserer haltlosen Zeit die Leute unwiderstehlich an sich ziehen wie die stetig brennende Flamme die Mücken und Motten. Und daß Annie sich dem Eindruck einer solchen Persönlichkeit nicht verschließt, das freut mich um ihretwillen, und sollte auch Sie freuen, anstatt Sie mit einer ganz grundlosen Eifersucht zu erfüllen!“
„Grundlos?“ Delmont stand auf und trat hart an Theklas Sessel heran. „Wissen Sie, was sie that, als ich neulich seinen Namen nannte? Sie brach in Thränen aus – in Thränen – und sagte, das Herz thäte ihr weh bei dem Gedanken an das Leid, das sie ihm zugefügt, denn sie wisse, er habe sie über alles lieb gehabt!“
„Es macht Annie nur Ehre, daß sie so empfindet!“ rief Thekla lebhaft. „Sie wäre herzlos, wenn sie kaltes Blut behielte bei dem Gedanken, was es heißt, einen solchen Mann so unaussprechlich zu kränken. Liegt denn in diesem Geständniß nicht gerade der höchste Beweis ihrer Liebe zu Ihnen, daß sie unbedenklich Sie wählte und jenen, so theuer er ihr war, zurückwies – ist dies nicht die beste Gewähr für Ihr künftiges Glück?“
Er starrte sie mit trüben Augen an und antwortete eine ganze Weile nicht.
„Mein künftiges Glück!“ wiederholte er endlich. „Mein Glück! Wenn ich nur daran glauben könnte! Ich verdiene es nicht, ich weiß es – und anstatt es nun in Demuth hinzunehmen wie aus der Götter Hand, verbittere und verderbe ich es mir – und es wird mir zuletzt doch noch vom Schicksal erbarmungslos in Scherben geschlagen werden, das fühle ich deutlich! Jener hat ruhig und einfach seinen Weg durchs Leben gemacht, wenn er sich auch mühsam den Beruf erkämpfen mußte … ich … durch wieviel Schlamm und Schmutz habe ich waten, gegen welch trostloses Verhängniß ankämpfen müssen, ehe ich dahin kam, wo ich jetzt stehe! Nun stehe ich da – jawohl – und es ist eine ganz leidliche Höhe – aber ich blicke hinunter – und ich blicke zurück – und es läßt mich nicht glücklich sein – und ich bin meines Glückes nicht werth – ich kann nur dann vergessen, wenn ich sie an meinem Herzen halte, wenn ich sie sehe, sie höre – und man wundert sich, daß ich mit jeder Minute geize, die mir gehören könnte – daß ich mein einziges Heilmittel keinem andern gönne!“
Thekla sah es zucken in seinen Zügen, und ein Gefühl des Mitleids wallte in ihr auf, zugleich aber auch die alte Angst, zehnfach verstärkt gegen früher: er wird Annie nicht glücklich machen – er ist kein Mann für sie! Woher denn seine Furcht, sein Glück könne ihm in Trümmer gehen? Wozu die immer wiederkehrende Anklage, er verdiene Annie nicht – er sei ihrer nicht werth? Wenn er den Vorhang von seiner Vergangenheit zöge – welches Bild würde sich dort entrollen?
„Sie sollten offen gegen uns – ich meine, gegen Annie – sein!“ sagte Thekla, und ihre spröde Stimme klang fast sanft. „Wer hat denn ein näheres Anrecht auf Ihr Leid als sie? Vielen wird doch das Herz leichter, wenn sie sich rückhaltlos aussprechen dürfen, und, glauben Sie mir, so jung meine Schwester noch ist, sie verdient jedes Vertrauen. Als Kind schon verstand sie, unverbrüchlich zu schweigen, wenn mein Vater oder ich sie einmal heimlich mit diesem oder jenem Versprechen, das wir ihr abnahmen, auf die Probe stellten. Und wie süß sie zu trösten, mitzuempfinden, zu entschuldigen und endlich zu verzeihen versteht – so, als wär’ es gar keine Verzeihung ihrerseits, nur ein Aufgehen im Schmerz und in der Reue anderer! Ich bin durch meine Krankheit zuweilen bitter und ungerecht gegen sie gewesen – aber unser Vögelchen um Vergebung zu bitten, das ist mir nie schwer geworden, ich konnte mich nur jedes Blickes freuen in ihr goldenes Herz. Sie sollten das auch versuchen!“
Er hatte ihr gesenkten Hauptes zugehört und schüttelte schließlich nur stumm den Kopf; da klang die Thür, und ein fröhliches Stimmchen wurde laut.
„Das hat aber schön lang’ mit mir gedauert! Bist Du böse, Karl? Was sind denn das wieder für Augen! Gar nicht meine Augen, wie ich sie für mich liebe! Hat Thea Dich so schlecht unterhalten? Sieh nur, wie der Regen nachgelassen hat – es gewittert auch fast gar nicht mehr! Mach’ dieses Fenster auf, daß wir die Luft herein bekommen, ich hab’s drüben in meinem Zimmer auch gethan, es duftet so herrlich nach jungem Laube. Und wenn’s aufhört zu regnen, gehen wir in den Garten – da, sieh, ich hab’ mir schon feste Lederstiefel angezogen und einen von Deinen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_807.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)