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Seite:Die Gartenlaube (1890) 818.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ergriff er seinen Hut und ging zu Fabrikant Winkler. – Ein kluger Mann hat stets mehrere Eisen im Feuer, und die Entscheidung stand ja schließlich immer bei ihm!

Da – vor Neujahr noch erhielt er ein großes weißes Couvert und entnahm demselben – die Verlobungsanzeige Ottiliens mit einem jungen Kaufmann. Teufel – das hatte er nicht gedacht! … Welche Gemeinheit! … Das war ja eine ganz raffinirte Kokette, die erst mit seinem Herzen spielte und dann – –

Der schöne Streber lief wüthend im Zimmer auf und ab, es dauerte lange, bis er seiner Empörung Herr wurde und zu dem Entschluß kam, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die kleine Fabrikanten-Lina verlangte es nicht besser … Wenn er gleich hinginge?! …

Aber da sah er im Geiste wieder mit demselben kalten Abscheu wie am Weihnachtsabend die plumpen Hände und Füße des Parvenukindes, die steifen Haare von einem unmöglichen Zwiebelblond, er hörte wieder ihr nichtssagendes Gerede – brrr! … Nicht um alles! … Nein, nur in der ersten Wuth keine Dummheiten machen! Er hatte ja Zeit, er konne wählen!

Und er wählte so lange, bis die Mütter anfingen, kalte Gesichter zu machen, und die Töchter in ihren Kränzchen ihn mit dem Namen eines „bloßen Courmachers“ brandmarkten. Noch zwei Jahre, und er erlebte es, nicht mehr ernsthaft genommen zu werden.

Dann – dann kam die Geschichte mit der schönen Frau von M. ., das dumme Geschwätz der Leute und der Bruch mit dem eifersüchtigen Ehemann. Und als er dann, um den verdammten Klatschereien ein Ende zu machen, sich entschloß, in einer der ersten Familien wirklich als Freier anzuklopfen, da bekam der schöne Streber einen Korb – auch an einem Weihnachtsabend – und dieser Korb blieb nicht verschwiegen! …

Ja, es sind keine erfreulichen Bilder, die aus dem Glase emportauchen! Längst ist der Amtsrichter das geworden, was man einen eingefleischten Junggesellen nennt. Es muß ja nicht geheirathet sein, Gott bewahre! Man lebt eigentlich bequemer so …

Aber am Weihnachtsabend, wenn überall die Lichter flimmern und andere Männer in Weib und Kind nicht die Summe ihrer Sorgen, sondern ihres Glückes ans Herz drücken, da wird es ihm sonderbar eng um das seinige. Erinnerungen steigen auf und der Blick wird trübe. Wenn er damals Ottilie geheirathet hätte, sie oder eine andere – wie wäre es wohl heute? …

Die geschäftigen Weihnachtsgeister haben nur auf dies Stichwort gewartet. Sie rücken den Wirthstisch zur Seite, lassen Tannengrün aufsprießen, füllen den Raum mit Weihnachtsduft, und jetzt wird es hell – dort schimmert der Baum, darunter staunen glückselig ein paar rosige Kindergesichter, das jüngste trägt die Großmama auf dem Arm, während sein eigener alter Vater vergnügt im Lehnstuhl ein Pfeifchen raucht. Er selbst aber, er hält die immer noch schöne, glückstrahlende Frau im Arm, und sie stammelt an seinem Herzen: „Lieber, liebster Mann! Wie glücklich sind wir, daß wir uns haben!“

– – – Ach, es war alles nur ein Traum! Die nüchterne Wirthslampe scheint wieder und die unglücklichen Bierkrugdeckel erglänzen in ihrem Licht. Es ist alles wie vorher. Und doch nicht ganz! Die Weihnachtsgeister haben in dem erkalteten Herzen noch ein Fünkchen unter der Asche gefunden und eifrig darauf geblasen. Nun brennt es. Der unlustige Trinker steht rasch auf, er hat einen plötzlichen Entschluß gefaßt. In seinem Hause wohnt ein Mädchen von achtundzwanzig Jahren – nicht schön und nicht reich, aber gut und klug. Daß sie ihn im stillen liebt, weiß er längst, es war dies Bewußtsein für ihn eine Art von unsichtbarer Nelke im Knopfloch. Nun aber – er tritt vor den Spiegel und sieht beim Handschuhanziehen prüfend hinein.

„Ja, ja,“ flüstert ihm der kleine Weihnachtsgeist ins Ohr, „sie paßt ganz gut zu Dir, denn Du bist auch nicht mehr der Jüngste, und Du hast sie lieber, als Du weißt. Erinnerst Du Dich noch des Plätzchens im Erker, wo Du es neulich abends so gemüthlich bei ihr und ihrer Mutter fandest? Dort sitzt sie jetzt und denkt an Dich! Also eile Dich, schnell, schnell!“

Und er eilt sich und stürmt unaufhaltsam in die Dunkelheit hinaus. Denn wenn einer das Glück einfangen will, das er zehn Jahre lang umsonst vor seiner Schwelle warten ließ, da muß er große Schritte machen – es könnte im letzten Augenblick davongeflogen sein.

Die Christglocken aber tönen verheißungsvoll durch das Schneegestöber, sie geben ihm das Geleit, und ihr Ruf klingt dem sehnsuchtsvollen Manne deutlich wie:

„Nächstes Jahr – nicht mehr allein!“ R. A.




Eine Großthat der Wissenschaft.

Robert Koch und die Heilung der Lungenschwindsucht.

Acht Jahre sind es her, seit Robert Koch durch die Entdeckung des Tuberkelbacillus allgemeines Aufsehen in der medizinischen Welt erregte, und sieben Jahre sind es, seit er durch die Auffindung des Cholerabacillus der berühmteste unter den Aerzten der Gegenwart wurde. Als seinerzeit die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1884 ihren Lesern Kenntniß gab von diesen epochemachenden Erfolgen des großen Forschers, durch welche zunächst einmal die Ursachen bisher für unheilbar geltender Krankheiten festgestellt wurden, da hat sie ihrer festen Zuversicht Ausdruck gegeben, daß nunmehr auch die Frage der Heilung dieser Leiden ihrer Lösung sicher entgegengehe. Und diese Hoffnung ist nicht getäuscht worden. Ein gutes halbes Jahrzehnt eifrigster, gewissenhaftester, aber dabei auch von einem genialen Geiste gelenkter Forschung haben Robert Koch, den heute 47jährigen Mann, dahin geführt, das Mittel zu finden, welches den Tuberkelbacillus, jenen entsetzlichen, schleichenden Zerstörer des menschlichen Körpers, zu überwinden vermag, welches Hunderttausenden, ja Millionen das Leben zu retten, die Gesundheit wiederzugeben berufen ist. Ein Segen ohne gleichen wird ausgehen von dieser wissenschaftlichen Großthat, die auf solchen Ehrentitel um so mehr Anspruch hat, als sie nicht aus einem glücklichen Zufall, wie z. B. die Schutzpockenimpfung, sondern auf planmäßigster, angestrengtester Arbeit aufgebaut ist, und es will uns scheinen, als ob sie gerade damit den Stempel der deutschen Wissenschaft trüge. Da, wo es sich um das Heil der Menschheit handelt, giebt es keine Schranken der Nationen. Ehre dem Guten, es komme, woher es komme! Aber stolz können wir Deutsche doch darauf sein, daß wir diesen Mann, der so Großes vollbracht hat, den unsern nennen dürfen, daß es ein Sohn unseres Vaterlandes ist, den alle Völker als ihren Wohlthäter verehren werden. Ein Werk der Menschenliebe, so erhaben wie selten eines, geht von dem bescheidenen Manne in der Berliner Gelehrtenstube aus, und ein erlösender Lichtstrahl fluthet von dort in die Welt, die das Fest der Liebe zu begehen sich rüstet. Möge die Weihe solcher Geburtstunde fortan schweben über dem Werke Robert Kochs!

Und nun geben wir einer berufenen sachverständigen Feder das Wort, daß sie uns über das Wesen der Kochschen Entdeckung eingehender unterrichte.


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Als Robert Koch im Jahre 1882 seine Forschungen über den Krankheitserreger der Tuberkulose, der Lungenschwindsucht, veröffentlichte, in denen er den Nachweis führte, daß ein kleines Lebewesen, ein dem Pflanzenreiche angehöriger Mikroorganismus von Stäbchenform, ein Bacillus, als die Ursache der Krankheit anzusehen sei, bemächtigte sich eine tiefe Erregung der ganzen Welt, denn es waren nicht nur die wissenschaftlichen Kreise, die mit diesem neuen überraschenden Thatsache zu rechnen hatten, nein, die ganze Menschheit durchzitterte eine nur zu berechtigte Aufregung. Handelte es sich doch um eine Krankheit, die als eine der schlimmsten Geißeln Gesundheit und Leben bedrohte, auf deren Rechnung die ungeheure Zahl von 1/7 aller Todesfälle zu setzen ist! Während aber das Laienpublikum aufathmend die Kochsche Entdeckung als erster Schritt auf dem Wege zur wirksamen Bekämpfung der bis jetzt nur ganz ausnahmsweise und eigentlich mehr zufällig geheilten furchtbaren Krankheit jubelnd begrüßte, stellte sich ein großer Theil der Aerzte der neuen Auffassung zweifelnd, ja geradezu ablehnend gegenüber. Aber der stolze Schluß Kochs, „daß die Tuberkelbacillen nicht bloß eine Ursache der Tuberkulose, sondern die einzige Ursache derselben sind, und daß es ohne Tuberkelbacillen keine Tuberkulose giebt“, ging in kurzer Zeit aus allen Anfechtungen der Kritik siegreich hervor, und es konnte sich zuletzt nur darum handeln, die gewonnene Thatsache auch in Betreff der Behandlung der Lungenschwindsucht richtig zu verwerthen, ein Mittel zu finden, die kleinen verderblichen Lebewesen, die „pathogenen Mikrobien“, im Körper zu vernichten, sie wenigstens unschädlich zu machen, ihrer zerstörenden Einwirkung auf den Organismus Einhalt zu thun. Und aller Orten in der ganzen civilisirten Welt wurden denn auch zahlreiche Versuche angestellt und wieder und wieder vorgenommen, ohne jedoch zu dem gewünschten Ende zu führen. Man drang immer tiefer in die Lebensverhältnisse, die Daseinsbedingungen des Mikroorganismus ein, lernte erkennen, welche Umstände sein Wachsthum, seine Vermehrung zu fördern imstande sind, welche Luft-, Wärme- etc. Verhältnisse, welche Arzneimittel ihn im bakteriologischen Laboratorium, der Werkstatt für Untersuchungen über die Bakterien (der Gattungsname für alle derartige Pilzbildungen) zu schädigen, zu tödten vermögen – allein praktische Erfolge in Bezug auf die Heilung der Tuberkulose

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_818.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)
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