verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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rappelt’s wohl manchmal?“ eine bescheidene Erkundigung, die Liesbeth mit überlegenem Schweigen beantwortete.
Um die Weihnachtszeit sollte unsere kleine Heldin natürlich nach Hause kommen. Da in der befreundeten Familie der Sohn zu diesem Feste erwartet wurde, so war dies ein nagender Schmerz – aber was half’s!
Es schien, als sollte Liesbeth ihr Ideal vom Reinmachetag her nicht wiedersehen und die Mark am Bettelarmbande die einzige Beziehung bleiben, die sie zu ihm haben durfte.
Da traf eines Morgens die überraschende Nachricht ein, daß der Lieutenant mit einem Kameraden, der mehrere Jahre nicht zum heiligen Abend daheim gewesen war, den Urlaub getauscht hätte und schon am nächsten Tage bei den Seinigen eintreffen würde, um diesmal im November vierzehn Tage bei den Eltern zu verleben.
Eine freudige Aufregung bemächtigte sich der ganzen Familie. Die Stube für den Sohn wurde aufs schönste geschmückt, und Lina forderte Liesbeth auf, sich an der Herstellung eines „Willkommen“-Transparents zu betheiligen, welches sie für den Bruder mit unsäglichem Aufwand von Oelpapier anfertigte.
Aber Liesbeth lehnte ab.
„Ich kenne ihn ja gar nicht!“ sagte sie kurz.
„Ja, richtig!“ bemerkte die andere, „es war eigentlich schade, daß er Euch damals nicht zu Hause traf, als er bei Euch war!“
„Hat er Dir davon erzählt?“ frug Liesbeth athemlos.
„Weiter nichts, als daß er ins Hauptscheuerfest gekommen sei,“ versetzte die ahnungslose Freundin.
„So!“ sagte Liesbeth gedehnt.
„Er ist göttlich!“ rief die begeisterte Schwester, „Liesbeth, Du wirst Dich bis über beide Ohren in ihn verlieben – ich sage es Dir!“
„Höchst unwahrscheinlich!“ erwiderte Liesbeth würdig.
„Du wirst schon jetzt roth!“ jubelte Lina, „das ist nett von Dir!“ Und sie umarmte die Freundin vor Freude.
Liesbeth zuckte mit gut gespielter Unbefangenheit die Achseln.
„Wenn ich nicht bei Euch zu Besuch wäre, würde ich jetzt etwas sagen!“ meinte sie kühl.
„Thu Dir keinen Zwang an!“ ermuthigte Lina freundlich.
„‚Schaf!‘ würde ich sagen,“ erwiderte die Freundin mit großer Ruhe, machte eine Pirouette auf dem Absatz und ging in ihre Stube. – – –
Der Erwartete war endlich angekommen, und am Theetisch wurde es Liesbeth vergönnt, ihr Ideal wiederzusehen! Sie gab sich, als sie an diesem Abend im Begriff war, einzuschlafen, mit innerer Befriedigung das Zeugniß, daß sie sich tadellos benommen hätte.
„Er“, im Tagebuche so: ER (mit zwei großen lateinischen Buchstaben) bezeichnet, war zwar womöglich noch bezaubernder geworden seit ihrer ersten Begegnung, und als er ihr vorgestellt wurde, konnte sie sich eines höchst peinlichen, wie ihr schien, bis in die Augäpfel sich erstreckenden Erröthens nicht erwehren, welches, schlecht gerechnet, drei Minuten lang anhielt – aber sie erwiderte, trotz dieses verhaßten Uebelstandes, seine Verbeugung gerade so kurz, so gehalten und so obenhin wie die meisten siebzehnjährigen Damen, die auf die Wahrung ihrer weiblichen Würde eifrig bedacht sind.
Er hatte nicht viel mit ihr gesprochen an jenem ersten Abend, da die Seinigen ihn natürlich sehr in Anspruch nahmen, aber ab und zu sah er sie flüchtig und mit einer Art von fragendem Blick an, als wollte er sagen: „Wo der Tausend habe ich doch dieses allerliebste Mädchen schon einmal gesehen?“ was für Liesbeth jedesmal eine wahre Folterqual bedeutete.
Ob er sich innerlich über die Sache noch weiter den Kopf zerbrach, mußte dahingestellt bleiben. In jedem Falle begann er vom folgenden Tage an, dem jungen Gaste des Hauses seine besonderen Aufmerksamkeiten zu widmen. Dieselben verstiegen sich schon in den ersten vierundzwanzig Stunden bis zum Wollehalten, was stets als ein äußerst bedrohliches Anzeichen zu betrachten ist.
Die kurze Zeit, die Liesbeth noch im Hause des Generals vergönnt war, gestaltete sich denn von Tag zu Tag reizender und bedeutsamer, und ihre heldenhaften Versuche, die kühnen Hoffnungen und Pläne ihres Herzens vor sich selbst für „Blödsinn“ zu erklären, wurden merklich schwächer und lebensunfähiger.
Am Tage vor der drohenden Abreise sollte noch ein kleines Tanzfest stattfinden, und die Mädchen saßen am Fenster zusammen und nähten Cotillonschleifen aus buntem Band.
„Du!“ begann Lina nach einem ziemlich langen beiderseitigen Stillschweigen.
Liesbeth erhob die Augen von der Arbeit. „Was giebt’s?“
„Wie findest Du Kurt?“ frug Lina mit einem kleinen Triumphblitz in den Augen, der ihrer Freundin nicht entging.
Liesbeth wendete eine wahrhaft übermenschliche Selbstbeherrschung an, um nicht roth zu werden – es glückte – ausnahmsweise glückte es!
„Nun?“ wiederholte Lina, als ihre Frage unbeantwortet blieb, „ich will wissen, wie Du Kurt findest?“
„Ganz nett!“ sagte Liesbeth herablassend.
Lina sah sie sprachlos an.
„Ganz nett?“ wiederholte sie in schneidendem Ton, „nun, das nimm mir nicht übel – das ist wirklich großartig!“
In diesem Augenblick zeigte sich der Besprochene in der Thür.
„Darf man in diese hochwichtige Konferenz eintreten?“ frug er lachend, als beide jungen Damen bei seinem Erscheinen verstummten, „oder werden hier Geheimnisse verhandelt?“
„Gar nicht!“ sagte Lina mit einem boshaften Blick auf die Freundin, „Liesbeth hat Dir mir soeben Dein Zeugniß ausgestellt!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_824.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2023)