Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Antwort auf die vielen Fragen des lebhaften kleinen Schwätzers. Letzterer vergalt ihm seine Freundlichkeit durch grenzenlose Liebe, die, da er ein sehr lebhaftes Kind war, in deutlichster Weise zu Tage trat. Lautes Jubeln verkündete stets den Hausbewohnern Ruperts Rückkehr vom Felde, Magnus’ erste Frage, wenn ihn die Bäuerin am Morgen zwischen den hochgethürmten Federkissen hervorholte, galt Rupert und seine Abendsuppe aß er nicht, wenn ihn Rupert nicht dabei auf dem Schoße hielt und sich von Zeit zu Zeit den kleinen zinnernen Suppenlöffel in den Mund führen ließ.
Aber nicht allein durch seine Freundlichkeit gegen Magnus erwarb sich Rupert die Achtung seines Dienstherrn. Jakob war bis jetzt der stärkste und größte Mann in Wieselbach gewesen, derjenige, dem jede Arbeit Kinderspiel war, der keine Ermüdung und kein Ruhebedürfniß kannte und der wie körperlich, so auch geistig durch sein schnelles, scharfes Urteil, seine Unbeugsamkeit und seine Herrschsucht allen überlegen war. Wenn die andern über etwas den Kopf verloren, so behielt er seinen klaren Blick und seine ganze Ruhe, plötzliche Ereignisse beraubten ihn nicht seiner Fassung, er kannte weder Angst, noch Gemüthserschütterungen, und es ergab sich daher ganz von selbst, daß er bei allen das Dorf in Aufregung versetzenden Anlässen, bei Bränden und Unglücksfällen, derjenige war, nach dessen Anordnungen sich alle andern richteten. Im Vollgefühle seiner Kraft und seiner Ueberlegenheit wie im Bewußtsein seines gewaltigen Reichtums hatte er in seinem ganzen Wesen etwas Verächtliches, Wegwerfendes gegen die andern Bauern, namentlich seitdem Magnus durch sein sehnlichst erwartetes Erscheinen den letzten Vortheil beseitigt hatte, den diese vor dem reichen Jakob vom Otterhofe gehabt hatten.
Jetzt fand aber Jakob an Rupert jemand, der ihm an Körperkraft, an Unermüdlichkeit, an Ruhe des Geistes, an Klarheit des Urtheils, an Festigkeit des Willens vollkommen gleich war. Es hatte lange gedauert, bis Jakob seinen eigenen Sinnen getraut hatte, daß dem wirklich so sei; denn wo sollte der Sohn des schüchternen, sanften Moorheidlers und der armseligen Lohnspinnerin solche Eigenschaften her haben? Wie konnte man, wenn man als zweiter Sohn in dem niedrigen schwarzen Gebäude auf der öden Moorheide aufgewachsen war, zu Selbstgefühl, zu festem Willen kommen? Wie konnte man einen widerspenstigen Bullen so kaltblütig händigen, wenn man höchstens Gelegenheit gehabt hatte, an einem Ziegenbocke seine Kraft zu erproben? Dann aber, als ihm die Einsicht gekommen war, daß er Rupert wirklich in nichts überlegen war, wurde er von dem Gefühle größter Achtung für ihn erfüllt und er beschloß, alles zu thun, was in seiner Macht stand, um ihn sich möglichst lange zu erhalten.
Rupert fühlte sich trotz aller dieser unerwartet günstigen Umstände nicht glücklich auf dem Otterhofe. Es wurde ihm nicht leicht, zu dienen; so sehr er sich zu Hause auch seinem ältern Bruder und seinen Eltern untergeordnet hatte, so war das doch etwas ganz anderes, war sein ganz freier Wille gewesen. Jetzt mußte er gehorchen, weil er dafür bezahlt wurde, er hatte kein Wort mitzureden, wurde um nichts befragt, und wenn sich auch das letztere bald änderte, nachdem Jakob angefangen hatte, ihn besser zu würdigen, so hatte er doch vorher genug Demütigungen erfahren, um sich unglücklich zu fühlen und die spätere gute Behandlung als eine ihm gewährte Gunst, nicht als ein ihm zugestandenes Recht hinzunehmen.
Das Schlimmste aber für ihn war das tägliche Zusammensein mit Eva, die er schon längst im stillen liebte und die ihm jetzt, wo er sie immer besser kennenlernte, begehrenswerther erschien als je. Täglich sah er sie in ihrer frischen blühenden Jugendkraft, thätig vom frühen Morgen bis zum Abend in Haus und Hof, überall selbst zugreifend und nach dem Rechten sehend; dabei war sie nicht ruhelos, hastig, herrisch, trotz ihrer Thätigkeit und ihres Eifers, sondern es war in ihrem Wesen etwas Ruhiges und Sanftes, das selbst inmitten der gehäuften Arbeit wohlthuend zur Geltung kam. Schön war sie nur nach bäuerischen Begriffen, d. h. sie hatte sehr grelle Farben, sehr rothe Wangen und Lippen, sehr blaue Augen, sehr weiße glänzende Zähne, sehr dichtes, gelbes Haar; dabei war sie groß und schlank und hatte viel Anmuth in ihren Bewegungen. Was aber am meisten dazu beitrug, Ruperts Liebe zu hellen Flammen ausschlagen zu lassen, war die Wahrnehmung, daß dieses Zusammenleben mit ihm für Eva nicht minder gefährlich geworden war wie für ihn. Sie hielt zwar streng ihr Versprechen und näherte sich ihm in keiner Weise; sie wußte ja, daß zwischen einem Knechte und ihr eine Kluft war, welche die innigste Liebe nicht zu überbrücken vermochte. Aber sie konnte es nicht hindern, daß ihre Gefühle für Rupert an den Tag kamen; sie war sichtlich gekränkt bei jeder Demütigung, bei jeder Zurechtweisung, die er anfangs erfuhr, sichtlich stolz und in freudig gehobener Stimmung, so oft sie ihn rühmen hörte. Im Verkehre mit ihm war sie befangen und offenbar ängstlich bemüht, ihre Ruhe zu bewahren, und zum Tanze ging sie nicht mehr, seitdem Rupert diesem Vergnügen, bei dem er früher eine Hauptrolle gespielt hatte, ganz entsagte. Man sah auf dem Tanzboden nicht gerne Knechte und nur mit Mägden durften sie tanzen. Darum brachte es Rupert nicht mehr über sich, hinzugehen.
Vom Weihnachtsbüchertisch.
Wiederum will es Weihnacht werden auf Erden, und die Liebe rüstet sich, dieses traulichste und schönste aller Feste mit Duft und Glanz und Gaben zu schmücken. Unter all den dargebotenen Weihnachtsgaben nun nimmt von altersher das Buch eine der ersten Stellen ein; denn, so sagt der altdeutsche Weihnachtsbrief des Kreutznacher Buchhändlers Schmithals mit Recht:
„Eyn gvtt boch ist travn die bast der
gaben / so ze findten weytt vndt
breytt vndt spricht eyn gar beredt
Sprach von hertze ze hertze.“
Viel Schönes, Gutes und Nützliches bietet der Büchermarkt gerade zur Weihnachtszeit, und ganz besonders auf dem Gebiete der Jugendschriften weist die zeitgenössische Litteratur den erfreulichsten Reichthum auf. Ersichtlich aber sind Schriftsteller, Künstler und Verleger nicht nur bemüht, diese wichtige Abtheilung des nationalen Schriftthums fortwährend zu erweitern, sondern mit Lust, Liebe und vielem Verständnis arbeiten sie seit Jahrzehnten auch an der Erhöhung des inneren Wertes der für die Jugend bestimmten Buchgaben. Die neuesten Erscheinungen reihen sich in dieser Beziehung vielfach ebenbürtig an das gute Alte. Das gute Alte! Man wolle es über dem Neuen nicht vergessen! Aber recht und billig ist es doch, auch dem guten Neuen diejenige Aufmerksamkeit zu schenken, auf welche es Anspruch hat.
Wir bieten hier eine gedrängte Uebersicht dessen, was uns besonderer Beachtung werth erscheint.
Bücher für die Kleinen. „Kommt herein!“ (Verlag von W. Effenberger [F. Loewes Verlag] in Stuttgart). Ein Bilderbuch ohne Text. Die in sauberem Farbendruck ausgeführten Bilder bieten in buntem Durcheinander Darstellungen von Menschen, Thieren, Früchten und Gebrauchsgegenständen, welche dem Anschauungskreise der Kleinen angehören oder doch nahe liegen. Unter freundlicher Leitung eines Erwachsenen werden die Kinder eifrig sein, über das, was sie hier sehen, Geschichtchen zu erzählen, und solche Anregung ist offenbar der Zweck des Werkchens. –
„Goldene Reime für die Kinderstube“, gesammelt von Cornelie Lechler, mit 12 Farbdruckbildern nach Aquarellen von W. Claudius, sowie 11 Vollbildern in Holzschnitt nach Zeichnungen von Prof. E. Klimsch (ebenda). Die Texte sind mit Sorgfalt ausgewählt. Neues bieten sie, soweit wir sehen können, nicht. Es entspricht aber durchaus unserer Ansicht, für ein solches Buch lieber den Goldschatz der vorhandenen Kinderdichtung in Anspruch zu nehmen, als Neues von zweifelhaftem Werthe handwerksmäßig herzustellen. Der Bilderschmuck ist prächtig. – „Unser Singvögelchen“, ein Liederschatz für die deutsche Jugend, gesammelt von Klara Reichner, 2. Aufl., mit 100 Textillustrationen und 79 Melodien (Stuttgart, Gustav Weise). Eine reiche Fundgrube von sangbaren Liedern und von Weisen, deren Ausführung wegen ihres meist geringen Tonumfanges den Kleinen möglich ist. Poesie, Zeichenkunst und Musik haben sich hier zu einer schönen Gesammtleistung verbunden.
Märchenbücher. „Es war einmal“, eine Sammlung der schönsten Märchen, Sagen und Schwänke, für die Jugend herausgegeben von Paul Arndt, mit 6 Farbdruckbildern von E. Klimsch und C. Offterdinger, ferner 12 Tondruckbildern und 116 Textillustrationen (Stuttgart, Wilh. Effenberger). Wir begegnen in diesem Buche, dessen künstlerische Ausstattung prächtig ist, den lieben alten Namen; aber neben Grimm, Bechstein und Andersen, deren schönste Märchen in freier Bearbeitung dargeboten werden, kommen auch Neuere zum Wort: wir heben Blüthgen, Lausch, Leander und Sturm hervor. Auch der Herausgeber ist mit einigen hübschen eigenen Arbeiten vertreten. – „Aus der goldenen Märchenwelt“, fünfzig Märchen, gesammelt von Klara Reichner, mit vier Farbdruckbildern nach Aquarellen von P. Wagner (Stuttgart, Gustav Weise). Die Bilder sind gut. Für die Texte sind auch hier die klassischen Autoren bevorzugt worden. Eine Bereicherung des Märchenschatzes finden wir in der Mittheilung einiger Stücke, die mit den Bezeichnunge „wendisch“, „schweizerisch“, „italienisch“ versehen sind.
Bücher für Knaben und Mädchen reiferen Alters. „Auf der Wacht im Osten“, geschichtliche Erzählung aus den Zeiten der Kämpfe
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_832.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)