Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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mit den Polen im vierzehnten Jahrhundert, von Oskar Höcker (Leipzig, Ferdinand Hirt und Sohn). Die vorliegende geschichtliche Erzählung (übrigens nicht die erste dieser Art von demselben Verfasser) ist wohl geeignet, die reifere deutsche Jugend beider Geschlechter in eine der wichtigsten Epochen deutscher Vergangenheit so einzuführen, wie es dem geschichllichen Lehrvortrag, dem geschichtlichen Lehrbuch, und wären sie noch so geistvoll, noch so anschaulich, allein einfach unmöglich ist. Hier hat alles individuelles Leben, hier alles künstlerische Abrundung. Die Abbildungen, mit denen Meister Gehrts das Buch geschmückt hat, verdienen uneingeschränkes Lob: denn abgesehen von der malerischen Auffassung der dargestellten Scenen, abgesehen auch von der zeichnerischen Tüchtigkeit, die sich überall offenbart, verräth jede, auch die unbedeutendste Einzelheit in diesen Bildern das gewissenhafteste Studium der Zeit. – „Auf gefahrvoller Prisenjagd“, nach dem Englischen des Kapitän Marryat bearbeitet von Adalb. Stein, mit 4 Farbdruckbildern von Fritz Bergen (Stuttgart, Wilh. Effenberger). Die meisten Seeromane des durch und durch gesunden Kapitän Marryat könnten der reiferen Jugend so in die Hände gegeben werden, wie sie sind, wenn nicht auch sie an der Weitschweifigkeit litten, die dem englischen Roman überhaupt eigen ist. Die vorliegende Bearbeitung hat die Urschrift in geschickter Weise gekürzt und führt in straff geschlossener Darstellung die Abenteuer des Midshipman Jack an dem Leser vorüber. – „Der Ostafrikaner“, eine deutsche Kolonialgeschichte aus vergangener Zeit, von C. Falkenhorst, mit 12 Tondruckbildern von Fritz Bergen (Stuttgart, Union Deutsche Verlagsgesellschaft). Das Buch wird sich viele Freunde gewinnen, und zwar nicht nur unter der Jugend. C. Falkenhorst, den Lesern der „Gartenlaube“ schon längst vortheilhaft bekannt, bietet hier eine Kolonialgeschichte aus dem 16. Jahrhundert, die Abenteuer des Junkers Konrad von Kulm. Der reiche Inhalt und der künstlerische Aufbau der Erzählung erhalten den Leser in angenehmster Spannung von der ersten bis zur letzten Seite des stattlichen Bandes; außerdem bereichert das Buch das kulturgeschichtliche und ethnographische Wissen, und so muß es als eine der bedeutsamsten Erscheinungen auf dem heurigen Weihnachts-Büchermarkte, soweit derselbe der Jugend dienen will, bezeichnet werden. – „Abenteurer“, bunte Bilder aus der Geschichte der Entdeckungsreisen von C. Falkenhorst, mit 6 Tondruckbildern und 54 Textillustrationen (ebenda). In elf abgerundeten, fesselnd geschriebenen, bald mehr, bald weniger ausgeführten Bildern und Skizzen macht uns der Verfasser mit interessanten Gegenden und Menschen bekannt.
Bücher für Alt und Jung. 1) „Emin-Paschas Vorläufer im Sudan“ und 2) „Emin-Pascha, Gouverneur von Hat-el-Estiwa“, beide von C. Falkenhorst, bilden die ersten beiden Bände der neuen Bibliothek denkwürdiger Forschungsreisen (Stuttgart, Union Deutsche Verlagsgesellschaft). Es ist ein dankenswerthes Unternehmen, die Fülle neuer Thatsachen, durch welche in unserm Zeitalter die Wissenschaft der Länder- und Völkerkunde bereichert worden ist, im gewissenhaften Anschluß an die großen Originalwerke der Forscher durch kurze und volksthümlich gehaltene Darstellungen auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen. In beiden Bänden (die ganze Bibliothek wird deren 12 umfassen) kommen die Vorzüge der Falkenhorstschen Erzählweise voll zur Geltung. Die einzelnen Nummern des Unternehmens werden darum schnell genug ihren Weg in die Büchereien gebildeter Familien finden, und gerade dort wären sie an ihrem rechten Platze. Jeder Band ist reich illustrirt, und die Einbände erfreuen durch besondere Schönheit.
Ein Buch für Knaben. „Schloß Rotensee und andere Erzählungen“ von Pauline Schanz, mit vier Farbdruckbildern nach Aquarellen von P. Wagner (Stuttgart, Gustav Weise). Die bewährte Freundin unserer Jugend, die vielgewandte Erzählerin, will’s hier einmal nur mit den Jungen zu thun haben, und das werden ihr die Jungen Dank wissen. Was sie ihnen bietet, ist klar und erfrischend wie der Bergquell und echt und lauter wie Gold. Die sechs Erzählungen entsprechen übrigens verschiedenen Altersstufen, und so kann das Buch in derselben Familie manches Jahr Freude bereiten.
Bücher für junge Mädchen. „Mädchenjahre in Lust und Leid“ von Marie Beeg, mit einem farbigen Titelbilde (Stuttgart, Union Deutsche Verlagsgesellschaft).
Es ist noch nicht allzu lange her, daß wir die englische Litteratur wegen ihres Reichthums an guten Erzählungen für junge Mädchen beneiden mußten. Das ist anders geworden. Seit einer Reihe von Jahren sind tüchtige Kräfte am Werke, diesen Zweig des Schriftthums auch in deutschen Landen zu pflegen, und so hat er manche köstliche Blüthe getrieben. Eine der duftigsten ist die vorliegende Erzählung. Mit warmem Herzen umfaßt, mit hellem Blick durchdringt Marie Beeg die so eigenartige Sphäre unserer herangewachsenen weiblichen Jugend, und da es ihr außerdem nicht an fruchtbarer Phantasie und an schriftstellerischem Können gebricht, da ihr frisch quellender Humor und tief sittlicher Ernst gleichmäßig eigen sind, so wird sie die jungen Gemüther durch ihr liebenswürdiges Weihnachtsgeschenk fesseln und entzücken, belehren und erheben. – „Daheim und draußen“ von Sophie Verena (Berlin, H. W. Müller). Eine interessante und (im besten Sinne) rührende Geschichte in Form eines Briefwechsels. Sie kann durchaus zum Lesen empfohlen werden. – Auch Brigitte Augustis neueste Erzählung, „Zwillingsschwestern“ (Leipzig, Ferdinand Hirt u. Sohn), ist gesunde Kost für Geist und Herz. Das Buch schildert in recht gutem Deutsch die Erlebnisse zweier deutschen Mädchen in Skandinavien und England; vielleicht tritt hier die lehrhafte Tendenz dann und wann zu deutlich hervor. – „Elfriede“ von Clementine Helm (Stuttgart, W. Effenberger [F. Loewes Verlag]). Im Schatten stand als Blümchen klein sie einst, dem Sturme fast erliegend; doch endlich lacht ihr Sonnenschein, und, alles Ungemach besiegend, ist sie in jugendfrischer Pracht zur duftigen Blume aufgewacht, und wem sie blüht, dem tritt nur Segen und Freud’ und Glück fortan entgegen! Die lieben Backfischlein werden in jeder Zeile des neuen Buches das brave Herz und die Meisterhand ihrer Clementine Helm deutlich spüren. – „Aus vornehmen Kreisen“, zwei sehr hübsche Erzählungen von H. Waldemar (Reutlingen, Robert Bardtenschlager). – „Eva“ von T. von Heinz (Stuttgart, Gustav Weise). Aus einem schönen und reichen Familienleben sehnt sich Eva hinaus in die Welt, von der sie das Glück erhofft. Was sie in einem vornehmen Hause der Reichshauptstadt und in einem hocharistokratischen Schlosse auf dem Lande erlebt, und wie sie zur Erkenntniß des wahren Glückes durch ihre Lebensschicksale gelangt, das alles ist mit anerkennenswerther Kunst dargestellt. Es klingt ein warmer Herzenston durch das Ganze, der die Herzen trifft und der Heldin und der Verfasserin Liebe gewinnt.
Welches Werk ließe sich als Christgeschenk den Lesern der „Gartenlaube“ mehr empfehlen als die jetzt in zehn Bänden vorliegende illustrirte Ausgabe von E. Marlitts gesammelten Romanen und Novellen (Leipzig, Ernst Keil’s Nachfolger)! Es hieße alle Pietät verleugnen, wenn die „Gartenlaube“ nicht diese Gesammtausgabe in die vorderste Reihe der von ihr besprochenen Festgeschenke stellte. Der Name der Marlitt ist mit der Chronik unserer „Gartenlaube“ aufs engste verwebt; sie hat mit das meiste dazu beigetragen, diesem Blatte seine hervorragende Stellung unter den volksthümlichen Zeitschriften der Gegenwart zu verschaffen, und ihr hervorragendes Erzählertalent, das ihr so große Erfolge erringen half, wird von einem unparteiischen Urtheil nie in Abrede gestellt werden können. Diese jetzt in so geschmackvoller Einkleidung vorliegende Sammlung ihrer Romane wird auch zuerst ein erschöpfendes Gesammturtheil über ihre Leistungen ermöglichen. Die Phantasie begabter Zeichner, eines C. Koch, Erdm. Wagner, Wilhelm Claudius u. a., hat, was die Dichterin geschaffen, die Hauptgestalten und Hauptvorgänge ihrer Romane in lebensvoller Bildlichkeit der Phantasie der Leser nähergerückt, und man darf diesen Zeichnungen wohl nachrühmen, daß sie nirgends, wie das wohl öfters geschieht, die Bilder der Dichterin entstellen und so die nachschaffende Empfänglichkeit der Leser auf Abwege führen.
Der Roman „Flammenzeichen“ von E. Werner (Leipzig, Ernst Keil’s Nachfolger) bedarf ebensowenig einer Empfehlung: er ist den Lesern der „Gartenlaube“ bekannt und gewiß in bester Erinnerung. In eleganter Buchausgabe eignet er sich zu Geschenken für den Weihnachtstisch; die markige Charakteristik der Verfasserin, die vor herben Konflikten nicht zurückschreckt, aber sie zu versöhnen weiß in einer Darstellung, welche große geschichtliche Ereignisse heilkräftig in die Zerrüttung des Familienlebens eingreifen läßt, prägt sich auch in dem neuesten Roman aus und wird dieser Schriftstellerin neben der Marlitt und Heimburg stets eine eigenartige Stellung unter den Lieblingen des Lesepublikums unseres Blattes einräumen.
Von Heinrich Seidels „Gesammelten Schriften“ sind drei neue Bändchen, der sechste, siebente und achte erschienen (Leipzig, A. G. Liebeskind). Heinrich Seidel hat sich durch die Natürlichkeit und köstliche Frische seiner Darstellungsweise eine anhängliche Gemeinde gesichert; seine Aquarellmalerei erinnert bisweilen an diejenige Theodor Storms, in dem er seinen Meister zu verehren scheint. Doch sind seine Genrebilder mehr von einem unbefangenen Humor durchleuchtet.
Anton Ohorn hat vier Klostergeschichten erscheinen lassen (Breslau, Schlesische Buchdruckerei, Kunst- und Verlagsanstalt, vormals S. Schottlaender), denen es an Wärme der Empfindung und Lebendigkeit der Schilderung nicht fehlt. Den Mittelpunkt der Sammlung, das innere Band der einzelnen Geschichten bildet der Kampf des strebenden Geistes und des fühlenden Herzens mit den klösterlichen Satzungen. Namentlich die erste Klostergeschichte „Trinkgold“, mit welcher die zweite, „Aus den Fesseln“, viel Verwandtes hat, schildert uns das Schicksal eines der Chemie und Alchimie beflissenen Klosterbruders, dessen Herz plötzlich von Liebesleidenschaft ergriffen wurde, in ergreifender Weise.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 833. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_833.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)