Verschiedene: Die Gartenlaube (1890) | |
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Halbheft 27. | 1890. | |
(8. Fortsetzung.)
„Sie werden vielleicht denken, Herr Pfarrer,“ fuhr Schönfeld nach einer Pause fort, „der Verdacht habe sich sofort auf uns gerichtet. Aber das geschah nicht, und es ging auch alles dabei ganz natürlich zu. Die Leiche des alten Heßberg wurde am späten Abend erst von seinem Bedienungsmädchen in seinem Zimmer aufgefunden. Ob hier ein Selbstmord oder ein Raubanfall vorlag, hatte das Gericht nicht festzustellen vermocht – die Richtung, in welcher die Revolverkugel vorgefunden wurde, ließ beide Annahmen zu – doch lag größere Wahrscheinlichkeit zu der letzteren vor, da Heßberg sich mit der zähen Beharrlichkeit geiziger Greise um so mehr ans Dasein klammerte, je älter er wurde, und eine plötzliche Geistesstörung ebenfalls nicht vorauszusetzen war. Da aber die Papiere des Todten sich in vollkommener Ordnung befanden, kein Thaler an dem in sorgfältigsten Listen verzeichneten Vermögen fehlte, so mußte es entweder ein Mord, aus Wuth und Rachsucht verübt, sein – was bei dem allgemein verhaßten Wucherer leicht möglich war! – oder der Mörder war, unmittelbar nach vollbrachter That, aufgeschreckt, vielleicht durch ein Geräusch in der Nähe vertrieben worden und entflohen. Das tobende Unwetter hatte alle Bewohner des Hauses in ihre Wohnungen gebannt, niemand hatte es gewagt, auch nur
ans Fenster zu treten und hinauszuschauen – von einem Schuß, einer geöffneten und geschlossenen Thür, einem Kommen und Gehen hatte kein Mensch bei dem fast unaufhörlichen Grollen des Donners auch nur einen Laut vernommen, niemand vermochte daher auch nur andeutungsweise anzugeben, um welche Zeit etwa der Mord verübt worden sein konnte.
Uns beide, Karl und mich, hatte man gegen drei Uhr mit Mützen und Stöcken
aus dem Hause gehen sehen – gegen vier Uhr waren wir mit nassen Kleidern,
da wir den Rückweg über den Hof nahmen und der Regen wolkenbruchartig
herabstürzte, wieder heimgekehrt; wir erklärten, einen Gang in die Stadt unternommen zu haben, unter einen Thorweg geflüchtet und endlich, da der Regen nicht nachlassen wollte, rasch nach Hause gelaufen zu sein.
Der einzige Hausbewohner, der Heßberg an diesem verhängnißvollen Sonntagnachmittag gesprochen hatte, war der Buchhalter gewesen – er räumte dies ohne weiteres ein, sagte aus, daß er eine geschäftliche Auseinandersetzung mit seinem Prinzipal gehabt habe und daß diese, da ihre Meinungen weit auseinandergingen, nicht friedlich verlaufen sei, so daß Heßberg Drohungen ausgestoßen und er, der Buchhalter, um sich nicht von seinem mächtig aufkochenden Zorn fortreißen zu lassen, die Unterredung gar nicht zu Ende
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 837. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_837.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)